# taz.de -- Integration von Roma I: Strategie gegen Ausgrenzung | |
> Seit einigen Jahren kommen immer mehr Roma nach Berlin. | |
> Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) hat eine Strategie vorgelegt, die | |
> die prekären Lebensbedingungen vieler Familien verbessern soll. | |
Bild: Roma sind im Straßenbild sichtbar, schreibt die Verwaltung - allerdings … | |
Die Lebensbedingungen zuwandernder Roma in Berlin müssen besser werden, | |
findet Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. Deshalb | |
hat sie in ihrer Verwaltung ein Strategiepapier „zur Einbeziehung | |
ausländischer Roma in Berlin“ erarbeiten lassen. Vor zwei Wochen hat sie es | |
ihren KollegInnen im Senat vorgelegt. Ziel der Strategie, so Kolat, sei es, | |
die Bildungschancen, die Gesundheitsversorgung und die Wohnsituation der | |
Roma zu verbessern. | |
Anders als Roma, die bereits seit Jahren in der Stadt leben, seien die aus | |
Bulgarien und Rumänien neu zuwandernden Roma-Familien teilweise „im | |
Straßenbild sichtbar“, heißt es in einer Pressemitteilung der | |
Senatskanzlei. Vor allem in Nord-Neukölln und im Wedding lebten und | |
arbeiteten sie tagsüber auf der Straße und wohnten in schlechten und | |
überbelegten Wohnungen. Die Strategie ziele also besonders auf die prekäre | |
Lage dieser Gruppe. | |
Hintergrund der wachsenden Zuwanderung ist der EU-Beitritt von Rumänien und | |
Bulgarien im Jahr 2007. Lebten Ende 2006 rund 8.000 rumänische und | |
bulgarische Staatsangehörige in Berlin, waren es Ende 2011 fast 20.000 | |
gewesen. Das Freizügigkeitsgesetz gewährt allen EU-BürgerInnen | |
gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt und damit auch das Recht, sich | |
niederzulassen. Allerdings sieht der EU-Beitrittsvertrag für Bulgarien und | |
Rumänien Übergangsregelungen bis 2014 vor, die für rumänische und | |
bulgarische Staatsangehörige weiterhin eine Arbeitserlaubnis erforderlich | |
machen. Ausgenommen sind seit Anfang 2012 HochschulabsolventInnen bei | |
entsprechend qualifizierter Beschäftigung, Auszubildende und | |
Saisonbeschäftigte. Ab 2014 rechnet der Senat mit weiter steigenden | |
Zuwanderungszahlen. | |
## Ungeimpft, wohnungslos | |
Die Probleme liegen auf der Hand: Erst Anfang Juni musste die | |
Gesundheitsverwaltung zugeben, dass die Bezirke zugewanderte Kinder nicht | |
ausreichend mit Impfungen versorgen können – darunter viele Roma. Und seit | |
Mitte Juli Wochen rund 80 Roma ihre Wohnungen in der Turmstraße verlassen | |
mussten, haben einige von ihnen noch immer keine Bleibe gefunden. | |
Kolat fordert nun, dass eine „Lenkungsgruppe“ aus Vertretern von | |
Senatsverwaltungen und Bezirksämtern bis zum Jahresende einen Aktionsplan | |
erarbeitet. Vereine wie südost Europa Kultur, der deutsch-russische Verein | |
Club Dialog oder die Roma-Selbstorganisation Amaro Drom sollen zwar | |
themenspezifisch konsultiert werden, sind aber laut Senatsverwaltung keine | |
Mitglieder des Arbeitskreises. | |
Von Roma-Organisationen wurde Kolat nach eigener Aussage über | |
antiziganistische Angriffe auf Kinder und Erwachsene informiert. Daher | |
wurde laut Senatsverwaltung die interkulturelle Jugendorganisation Amaro | |
Drom beauftragt, Präventions- und Interventionsmöglichkeiten vorzuschlagen. | |
Kolat betont aber, die Mehrheit der BerlinerInnen zeige sich sehr tolerant | |
im Umgang mit Roma. | |
Maßnahmen, die die Integration von Roma fördern sollen, finanziert der | |
Senat auch jetzt schon. Der Haushalt für 2012 und 2013 sieht jeweils | |
300.000 Euro für Angebote wie SprachmittlerInnen in Kitas, Schulen und | |
Gesundheitseinrichtungen vor. Die Senatsverwaltung für Bildung und Jugend | |
hat Lerngruppen für Kinder zugezogener Familien eingerichtet – wie die | |
derzeit stattfindende Sommer-Ferien-Schule (s. Text oben). | |
„Es geht bei der Sommer-Ferien-Schule nicht um die Schulpflicht“, erklärt | |
Ulrike Grassau von der Senatsverwaltung. Vielmehr solle Vertrauen in die | |
Institution Schule und in die Gesellschaft geschaffen werden. Für das | |
Projekt wie auch für die Einschulung spielt es laut Grassau keine Rolle, ob | |
die Familien gemeldet seien. | |
Integrationssenatorin Kolat will aber, dass das Thema auch auf höherer | |
Ebene angegangen wird: An der europäische Strategie müsse gefeilt werden, | |
um die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Roma zu verbessern: | |
„Die Bekämpfung der Ursachen von Armutswanderung darf nicht aus den Augen | |
verloren werden.“ Für ihre Berliner Strategie habe sie bislang nur positive | |
Reaktionen geerntet, sagt Kolat. Die Europäische Kommission und das | |
europäische Städtenetzwerk Eurocities hätten bereits ihre Unterstützung | |
zugesagt. Auch mehrere deutsche Städte wollten kooperieren. | |
Der Verein Amaro Drom ist nach eigenen Angaben nicht in die Ausarbeitung | |
des Strategiepapiers eingebunden worden. Auch jetzt sei dem Verein das | |
Papier noch nicht durch den Senat vorgelegt worden, sagte | |
Amaro-Drom-Mitarbeiterin Anna Schmitt gegenüber der taz. Die Einbeziehung | |
der Organisation sei allerdings vom Senat geplant. Schmitt verwies auf den | |
„EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“. Der | |
sieht vor, die „aktive Beteiligung“ der Roma „auf allen Ebenen der | |
Politikgestaltung“ zu fördern. | |
30 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Kerstin Dembsky | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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