# taz.de -- Integration von Roma II: Exkursionen in die Mehrheitsgesellschaft | |
> Der Verein südost Europa betreut in einer "Sommer-Ferien-Schule" Kinder | |
> und Jugendliche aus rumänischen und bulgarischen Roma-Familien. | |
Bild: Roma sind im Straßenbild sichtbar, schreibt die Verwaltung - allerdings … | |
„Museeum, Museeum!“, singt Tanja und tanzt fröhlich um das Grüppchen heru… | |
das sich an diesem Morgen vor der Stephanuskirche im Weddinger Ortsteil | |
Gesundbrunnen versammelt hat. Die Sommer-Ferien-Schule für Kinder aus | |
Roma-Familien in Mitte begibt sich heute auf eine Exkursion nach Kreuzberg | |
ins Deutsche Technikmuseum. Doch bis Tanja tatsächlich vor dem gläsernen | |
Neubau steht, von dessen Dach ein Rosinenbomber herabhängt, muss sich die | |
Sechsjährige noch eine ganze Weile in Geduld üben. | |
Denn etwa die Hälfte der 20 Kinder und Jugendlichen, die an der | |
Ferien-Schule teilnehmen, werden von ihren BetreuerInnen jeden Morgen zu | |
Hause im Quartier Pankstraße abgeholt. Von sich aus würden viele Eltern | |
ihre Kinder nicht schicken, sagt Betreuerin Andrea Zsigmond. „Die Familien | |
müssen sich erst einmal eine Existenzgrundlage schaffen. Bildung ist für | |
viele der zweite Schritt.“ Eine Stunde später steigen die auf Rumänisch, | |
Bulgarisch und Deutsch durcheinanderplappernden Jungen und Mädchen in die | |
U-Bahn in Richtung Kreuzberg. | |
Während der gesamten Sommerferien können Kinder und Jugendliche aus | |
Roma-Familien an dem Projekt des Vereins südost Europa Kultur in der | |
Wiesenstraße teilnehmen. Einige der 6- bis 16-Jährigen besuchen seit einem | |
Jahr die Schule und wollen ihre Leistungen durch Nachhilfeunterricht | |
verbessern. Andere bekommen Vorschulkenntnisse und Verhaltensregeln | |
vermittelt und werden so auf ihre Einschulung vorbereitet. Danach sollen | |
Eltern und Kinder noch zwei Wochen lang von SprachmittlerInnen und | |
Lerncoaches begleitet werden. Der Verein pflege auch engen Kontakt zu den | |
LehrerInnen, um den Kindern und Jugendlichen einen guten Schuleinstieg zu | |
ermöglichen, sagt Zsigmond. | |
Zwischen drei Wochen und zwei Jahren leben die teilnehmenden Familien | |
bereits in Berlin. Entsprechend unterschiedlich sind die Sprachkenntnisse | |
der Jungen und Mädchen. Die meiste Zeit werden sie nach ihrer | |
Herkunftssprache – Rumänisch oder Bulgarisch – getrennt unterrichtet. | |
Einmal in der Woche unternehmen beide Gruppen gemeinsam eine Exkursion, | |
wobei die sieben rumänisch oder bulgarisch sprechenden BetreuerInnen | |
dolmetschen. Ziele sind neben dem Deutschen Technikmuseum beispielsweise | |
der Zoo, die Siegessäule und der Reichstag. „Dabei lernen die Kinder viel | |
mehr Vokabeln als durch den normalen Schulunterricht“, sagt Zsigmond. | |
## Die Mädchen lernen, sich zu behaupten | |
Am Eingang des Technikmuseums wartet die Gruppe auf ihre Eintrittskarten. | |
Einem Jungen fällt auf, dass Gaby, Tanjas ältere Schwester, eine ähnliche | |
Jacke trägt wie er. „Du trägst ja eine Jungenjacke!“, ruft er und zeigt m… | |
dem Finger auf Gaby. Die lässt sich das nicht bieten und ruft zurück: | |
„Nein, du trägst eine Mädchenjacke!“ In der Sommer-Ferien-Schule sollen | |
gerade die Mädchen lernen, sich zu behaupten, sagt Zsigmond. Am Anfang | |
seien die Jungen noch sehr dominant gewesen, doch langsam entwickelten auch | |
die Mädchen neue Selbstentwürfe. „Einige sprechen mittlerweile davon, dass | |
sie Schuldirektorin oder Mathematiklehrerin werden wollen.“ | |
Neben Geschlechterklischees werden auch Themen wie Körper und Hygiene sowie | |
sexuelle Aufklärung behandelt. Dafür werden altersgerechte Gruppen | |
gebildet. Zu kulturellen Konflikten mit den Eltern sei es deshalb noch | |
nicht gekommen, sagt Zsigmond. Die BetreuerInnen gingen sensibel mit den | |
Hintergründen der Jungen und Mädchen um. Auch mit der Geschichte ihrer | |
Herkunftsländer setzten sie sich auseinander. „Viele Kinder schämen sich | |
und wollen verschweigen, wo sie herkommen“, sagt Zsigmond. „Das soll sich | |
ändern.“ Erst kürzlich seien sie auf einem Spielplatz wieder als „Zigeune… | |
beschimpft worden. | |
Misstrauisch waren die Eltern besonders zu Beginn des Projekts, als | |
Zsigmond die Familien mehrmals besuchte, um die Kinder für die Teilnahme zu | |
gewinnen. „Manche befürchteten, ich könne eine Mitarbeiterin des Jugendamts | |
sein“, erklärt sich Zsigmond dieses Verhalten. Sie selbst stamme zwar | |
ursprünglich aus Rumänien und spreche auch fließend Rumänisch, eine Romni | |
sei sie aber nicht. „Gerade in Rumänien werden Roma stark von der | |
Mehrheitsgesellschaft diskriminiert und ausgegrenzt“, sagt sie. Daher seien | |
die Familien auch ihr gegenüber vorsichtig. Langsam spreche sich aber | |
herum, wie nützlich das Projekt sei. Nach der ersten Sommer-Ferien-Schule, | |
die der Verein vergangenes Jahr in Moabit angeboten hat, konnten 10 Kinder | |
neu eingeschult werden. | |
## Die Kinder sollen „selbst Kultur schaffen“ | |
Auch unabhängig von der Sommer-Ferien-Schule erhalten Roma-Familien auf | |
Wunsch Beratung und Begleitung durch das Projekt „Roma-Horizonte“ von | |
südost Europa Kultur und dem Verein Kulturen im Kiez. Neben | |
Nachhilfeunterricht und einer BürgerInnensprechstunde sind auch | |
Kulturworkshops für Kinder im Angebot. „Es ist wichtig, dass die Kinder | |
nicht nur die Kultur kennenlernen, sondern selbst Kultur schaffen“, erklärt | |
Workshopleiter Boris Zujko. Gerade veranstaltet er einen Workshop unter dem | |
Motto „Mein Wedding“, bei dem die Kinder Digitalkameras zur Verfügung | |
gestellt bekommen, um ihren Kiez zu fotografieren. | |
Tanja hat ihre Eintrittskarte für das Technikmuseum endlich in der Hand. | |
Drinnen flitzt sie begeistert von einem Ausstellungsstück zum nächsten. Bei | |
der Sonderausstellung „Windstärken“ bläst sie mit einem Fön in einen | |
„weinenden Bambus“ und freut sich über das dumpfe Pfeifgeräusch, das dabei | |
entsteht. Danach lässt sie sich vor einem Strandmotiv die Haare | |
durchpusten. Als sich die Gruppe nach zwei Stunden auf den Heimweg nach | |
Wedding macht, sagt Tanjas Schwester Gaby: „Das war das beste Museum, in | |
dem ich je war.“ Für die meisten Kinder war es auch das erste. | |
## ■ Mehr über die Angebote des Vereins südost Europa Kultur unter | |
30 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Kerstin Dembsky | |
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