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# taz.de -- Nach Brandanschlägen auf Vereinsheim: Idyll hinterm Sicherheitszaun
> Für eine Feuerversicherung müssen die Neuköllner Falken ihr Gelände
> einzäunen. Das ist teuer.
Bild: Das Vereinsheim der Sozialistischen Jugend Deutschlands ist zur Zielschei…
Einhunderttausend Euro. Mirjam Blumenthal muss nicht lange überlegen, was
sich mit so viel Geld anfangen ließe. „Mehr Gedenkstättenfahrten und
internationale Jugendbegegnungen“, zählt sie auf. „Wir könnten Kinder zu
unseren Zeltlagern mitnehmen, deren Familien sich das nicht leisten
können.“ Auch die Seilbahn, die die Kinder sich schon lange wünschen,
könnte endlich gebaut werden.
Blumenthal lässt ihren Blick über das Gelände schweifen, das der
sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation „Die Falken“ im Neuköllner
Ortsteil Britz zur Verfügung steht. Hier fehlt fast nichts zur perfekten
Bullerbü-Idylle: ein alter Zirkuswagen, eine versteckte Hütte, auf einem
Hügel eine von den Kindern selbst gebaute kleine Bühne, ein
Riesentrampolin, auf dem vier kleine Mädchen heute fast den ganzen
Nachmittag verbringen. Schwedisch-rot steht in der Mitte das
Anton-Schmaus-Haus für die Gruppentreffen, rundherum wuchert verwildertes
Grün. Auch der hohe Holzzaun um das Grundstück, mit selbst gezimmerten
Ausgucken wie Baumhäusern versehen, passt in das Kinderparadies.
Lange wird es den allerdings nicht mehr geben: „Ein Metallzaun, mindestens
2,60 Meter hoch, mit Überkletterschutz, also oben umgebogen, und mit einem
durchgezogenen Draht versehen, der bei bestimmter Gewichtsbelastung Alarm
in der Wachschutzzentrale und hier auf dem Gelände Flutlicht auslöst.“
Emotionslos rattert Falken-Gruppenleiterin Blumenthal herunter, was in
Gesprächen mit der Polizei als notwendig zur Sicherung der Anlage befunden
wurde. Nur ihre streng gerunzelten Brauen lassen vermuten, dass das Bild,
das sie mit dieser Beschreibung zeichnet, auch für sie ein ziemlich
unerfreuliches ist: Bullerbü hinterm Sicherheitszaun.
Zweimal wurde das Haus der Neuköllner Falken im vergangenen Jahr durch
Brandanschläge schwer beschädigt. Dass die Anschläge von Rechten begangen
wurden, steht für die linke Jugendorganisation fest: Beim ersten Brand im
Juni 2011 wurden zeitgleich Anschläge auf andere linke Einrichtungen in
Berlin verübt – das Neonazi-Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ hatte
im Internet dazu aufgerufen. Der zweite Anschlag auf das Anton-Schmaus-Haus
fand dann am 9. November statt: am Jahrestag der Pogromnacht von 1938.
Wieder gab es parallel dazu weitere Anschläge.
Erst kürzlich konnten die Falken ihr Britzer Domizil wieder beziehen.
Während der Instandsetzung hatten sie ein Ausweichquartier in einem
Jugendzentrum in Rudow. Jetzt riecht es frisch renoviert im
Anton-Schmaus-Haus – und trotzdem noch ein bisschen nach Rauch. Ein
Sachschaden von 200.000 Euro war zu reparieren. Dass nun auch noch der
teure Zaun nötig wird, hat einen ganz konkreten Grund: Ihre bisherige
Brandschutzversicherung hat den Falken zum Jahresende gekündigt. Ein
Mehrfach-Opfer versichert man nicht – jedenfalls nicht ohne entsprechenden
Sicherheitsschutz.
Der junge Sozialist Anton Schmaus hat dem Neuköllner Falken-Domizil seinen
Namen gegeben. „Ich habe die Rechtlosigkeit satt, ich will mich nicht
ständig verstecken“, zitiert den 1910 Geborenen ein Plakat, das im Haus
hängt: Es war seine Begründung, sich 1933 der Polizei zu stellen, als die
SA-Schlägertrupps der Nazis ihn suchten. Sein Mut und sein Glaube an das
Recht waren sein Tod: 1934 starb Schmaus im Polizeigewahrsam an den Folgen
von Misshandlungen.
Die Falken sammeln jetzt Spenden für einen neuen Zaun: 40.000 Euro haben
sie schon. Nein, verstecken wollten sie sich auch nicht, sagt Blumenthal.
Aber man könne die Kinder und Jugendlichen, die ab und zu auf dem Gelände
übernachten, nicht der Gefahr weiterer Anschläge aussetzen. Manche kommen
schon jetzt nicht mehr, andere werden jetzt von den Eltern gebracht, um den
kurzen Waldweg nicht alleine laufen zu müssen, der die Straße mit dem
Falken-Gelände verbindet.
Verstecken wollen und werden sie sich auch nicht. Für die jugendlichen
Falken, die auf den Rückenlehnen der Holzbänke vor dem Anton-Schmaus-Haus
sitzen, ist das klar. Aber es sei schon ein „ungutes Gefühl“, Ziel
rechtsradikaler Anschläge zu sein, sagt Isabel. Die Adresse der Neuköllner
Falken stand auch auf der Zielliste der Terrorgruppe
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).
## Keine Hasskappen
„Geburtsfalkin“ nennt Mirjam Blumenthal die blonde 16-Jährige, deren Vater
schon als Jugendlicher bei den Falken aktiv war. Solche Familientraditionen
gibt es hier viel: Es sind auch Blumenthals Töchter, die auf dem Trampolin
spielen. Die 40-Jährige selbst ist seit 32 Jahren dabei – eine
„Bartfalkin“. „Demokratieerziehung in einem geschützten Umfeld“, das s…
Ziel und Aufgabe der Falken, sagt sie. Zeltlager, Treffen mit Jugendlichen
aus anderen Ländern, aber auch Schulungen von SchülervertreterInnen gehören
dazu. So engagiert und kommunikativ wirken auch die vier Jungfalken vor dem
Schmaus-Haus: sportlich, frisch, geradezu wohlerzogen. Hasskappen und
schwere Stiefel sieht man nicht. Die Jugendlichen gehören eher zur Shorts-
und Badelatschen-Fraktion.
Dass sie nach den Brandanschlägen in der Öffentlichkeit von manchen als
linksextrem eingestuft wurden, ärgert die Falken. „Dass Rechtsextreme etwas
gegen uns haben und wir gegen sie, ist klar. Aber das macht uns nicht zu
Linksextremen. Wir machen hier ehrenamtliche Arbeit mit Kindern. Wir planen
keine Anschläge“, sagt Fabienne (17).
Die Gefahr, die von Rechtsextremen ausgehe, werde in Politik und
Gesellschaft nicht ausreichend ernst genommen, da sind die jugendlichen
Falken sich einig. „Es gibt wenig Einsehen darüber, wie gut organisiert und
präsent die Rechten sind“, sagt der 16-jährige Marcel: „Als könnte man d…
Gefahr wegignorieren. Und dann tut man regelmäßig völlig überrascht, wenn
etwas passiert.“
Der Zaun sei deshalb für den Schutz der Kinder und Jugendlichen leider
wichtig, sagt Isabel: „Aber genauso dringend brauchen wir Leute, die sich
mit uns dafür einsetzen, Rechtsextremismus zu bekämpfen.“
31 Jul 2012
## AUTOREN
Alke Wierth
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