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# taz.de -- Integrativ einlochen: Auf dem Golfplatz der Guten
> Inklusion in einem exklusiven Sport? In Lilienthal bei Bremen gibt es den
> ersten und immer noch einzigen integrativen Golfplatz Deutschlands. Sein
> Motto: "Mit Handicap zum Handicap". Nebenbei gilt er auch noch als
> Öko-Kleinod.
Bild: Der Exklusionssport mal inklusiv: auf dem Lilienthaler Golfplatz.
BREMEN taz | Das soll also öko sein? Fritz-Martin Müllers Schläger saust
über einen millimeterkurzen Rasen, dessen Dichte unmöglich natürlichen
Ursprungs sein kann. „Nein, ist sie nicht“, sagt er. Müller ist das
Gegenteil eines Beschönigers. Er ist Psychiater. Und Gründer des bundesweit
ersten integrativen Golfclubs. Jetzt liegt sein Ball im Loch.
Der in Lilienthal bei Bremen sitzende Verein sieht sich in einer doppelten
Vorkämpfer-Rolle: für Ökologie und für die Rechte Behinderter. Sowohl die
Europäische Union als auch das Land Niedersachsen haben den Bau der
Zwölf-Loch-Anlage deswegen mit mehreren Millionen subventioniert. Das
Vereins-Logo zeigt einen Rollifahrer und einen „Stehgolfer“ beim
einträchtigen Schlägerschwung. Allerdings: Es gibt keinen Rollstuhlfahrer
im Club. „Blinde Golfer haben wir derzeit auch nicht“, sagt Müller. Obwohl
der Deutsche Blindengolf-Verband hier seine Geschäftsstelle hat.
Das Vereinshaus, an dem all die integrative Plaketten prangen, ist ein
beeindruckender Fachwerkbau von 1826. Früher stand er in der Gegend von
Verden, wurde dort ab- und auf den Wörpewiesen wieder aufgebaut. Das
Clubhaus weist weitere Besonderheiten auf: Die an den Wänden angebrachten
Heizkörper sind Attrappen.
„Wir haben sie nicht angeschlossen, weil wir eine Fußbodenheizung haben“,
erklärt Müller. Die wiederum wurde eingebaut, weil die EU, ganz der
Barrierefreiheit verpflichtet, nur die Bauten bis auf Bodenniveau
subventionierte. „Ohne sichtbare Heizkörper würden die Leute frösteln“,
sagt Müller. Hm.
Sind diese potemkinschen Placebo-Heizungen ein unfreiwilliges Symbol? Für
etwaige Differenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit?
Erst mal weitergolfen. Wer gemeinsam mit Paul Hofschröer spielt, hat einen
veritablen Vorteil: Man darf mit auf dem Elektro-Cart sitzen. Hofschröer
ist halbseitig gelähmt, muss deswegen seine Schläger nicht zu Fuß über das
34 Hektar große Gelände schleppen. In seinem Fall sind es 14 Stück.
Hofschröer ist ehemaliger Bauunternehmer. Schlaganfall-Opfer. Und
mittlerweile versierter Einarm-Golfer. 100-Meter-Schläge schafft er locker.
Das Gelände, das man in diesen Hunderter-Etappen durchmisst, ist eine
Hochmoorlandschaft voller Büsche und Schilfinseln. „Früher waren hier nur
gedüngte Wiesen“, sagt Müller, heute werde fast die Hälfte des Geländes
sich selbst überlassen. Nicht mal nach Fehlschlägen darf man die
Wildwuchs-Flächen betreten. Sind es also Biotope voller Bälle, in denen der
blauköpfige Moorfrosch haust und in Ruhe der Blutweiderich wächst?
Der Blick von außen: „Für uns war der Golfplatz-Bau zunächst eine
Gratwanderung“, sagt Hans-Gerhard Kulp von der Biologischen Station (Bios)
im nahe gelegenen Osterholz-Scharmbeck – eine, die sich sehr gelohnt habe.
Der Vorher/Nachher-Vergleich habe eine eindeutige Aufwertung des Geländes
ergeben: Während die Umgebung zunehmend durch „totgespritzte Grünflächen“
und Mais-Monokulturen großflächig verarme, sei auf dem Golfgelände der
Artenreichtum gestiegen. Aber die Abschlagflächen? Bei denen sei für
Naturschutz natürlich „nichts zu holen“, sagt Kulp, auch nicht bei den
Einloch-Greens. Aber immerhin werde dort nicht gedüngt. „Ganz zu schweigen
vom Nährstoffeintrag der früheren landwirtschaftlichen Nutzung!“
Kulp ist kein Golfer, aber er mag den Platz: Die Libellen hätten sich durch
die Anlage einiger Wasserflächen deutlich vermehrt, ebenso die Sumpfsegge,
der blütenreiche Gilbweiderich – die Bios-Leute haben das Gelände
systematisch kartiert.
Auf so einem zertifizierten Ökoplatz im Moor empfehlen sich wasserdichte
Golfschuhe – es sei denn, man darf Cart fahren. Die Spielbahnen sind aus
ökologischen Gründen enger als üblich, umso genauer muss man schlagen.
Hofschröer probiert das jetzt … Ja! Der Ball pfeift übers bällefressende
Biotop hinweg, Hofschröer, der sich nach seinem Unfall lange kaum bewegen
konnte, guckt zufrieden hinterher. „Er ist durchs Golfen wieder unglaublich
fit geworden“, sagt ein Freund.
Zurück also zur Inklusion: Ein Handicap hat hier im Golfclub ja jeder,
könnte man kalauern – wobei dieses ausgetüftelte System der
Spielstärken-Erfassung tatsächlich faire Wettkämpfe zwischen
unterschiedlichen Partnern ermöglicht. Aber wenn von 500 Mitgliedern „nur“
50 behindert sind – wie integrativ ist dann das Geschehen vor Ort?
Eine Inklusions-Quote von zehn Prozent liegt weit über den
durchschnittlichen Verhältnissen – vor allem aber über denen „normaler“
Golfclubs. Oft sei zu hören: „Wenn bei uns ein Behinderter eintritt, treten
vier andere Mitglieder aus“, sagt Müller. Selbst für die Special Olympics
wollte keiner der Clubs in der Bremer Gegend seinen Platz zur Verfügung
stellen. „Die fühlen sich sowieso durch die Tchibo-Golfer in ihrer
Exklusivität gestört“, sagt ein Vereinswechsler. Seit der Kaffeeröster
nicht nur Ausrüstung verkauft, sondern auch Fernmitgliedschaften, die
überall zum Spielen berechtigen, sei das Abgrenzungsbedürfnis noch mal
gestiegen.
In Lilienthal golfen viele, die andernorts üble Erfahrungen gemacht haben.
„Dies Elend wollen wir nicht auch noch in unserer Freizeit sehen“, musste
sich ein Vater anhören, der seinen geistig behinderten Sohn mit auf den
Platz nahm. „Ich wurde massiv rausgemobbt“, erzählt ein emeritierter
Hochschul-Professor, der seit einem Segelunfall halbseitig gelähmt ist.
Selbst als Vizepräsident des Clubs hatte er seiner Schilderung nach keine
Chance: „Die forderten die Annullierung aller vorgabewirksamen Spiele, an
denen ich teil genommen hatte.“ Vorgabewirksam heißt: relevant für die
persönliche Leistungseinstufung.
„Natürlich geht das alles langsamer“, sagt ein nicht-behinderter Golfer,
der regelmäßig mit behinderten Freunden um den Lilienthaler „Intego-Pokal“
kämpft. Vor kurzem hat er eine Jugendgruppe der Rotenburger Diakonie bei
einem Golfnachmittag begleitet. „Die waren so glücklich“, sagt er, und
seine Augen beginnen zu leuchten.
In den Aufbau des Platzes ist reichlich Herzblut geflossen. Initiator
Müller, seit einem schweren Schädeltrauma ebenfalls halbseitig gelähmt, hat
mit seinen Mitstreitern jahrelang nach geeigneten Plätzen gesucht. Mal
wollten die Bauern zu viel Geld, mal „keine Behinderten“ auf ihrer Wiese –
es kam zu handfesten Auseinandersetzungen auf Dorfversammlungen. Dass
Müller mal was von „blöden Reichen und beschissenen Schönen“ sagte, die …
Golfsport leider fest im Griff hätten, machte ihn auch beim Golfverband
nicht zu Everybody’s Darling. „Mittlerweile werden wir vom Verband
toleriert, aber nicht gerade unterstützt“, sagt Müller. Nur der
Behinderten-Leistungssport erfahre Aufmerksamkeit.
Eine Gruppe geistig behinderter Schüler aus der nächsten Kreisstadt kommt
regelmäßig nach Lilienthal. „Unsere Schüler fühlen sich hier wohl“, sagt
Konrektor Holger Westphal – für sie sei Golf „eine sehr gute Alternative zu
anderen Sportarten, die sie nur selten in einem Verein ausüben können“. Mit
den Schülern kommt auch der „Paragolfer“ zum Einsatz, den der Verein eigens
angeschafft hat: ein Gerät auf Rädern, das Gelähmten eine aufrechte
Schlaghaltung ermöglicht. Trotzdem ist Müllers Golfplatz eine Wirklichkeit
gewordene Vision, der ein wenig die Akteure fehlen. „Ich hatte den Traum,
dass beispielsweise auch die örtliche Grundschule eine Golf AG aufbaut“,
sagt Müller. Aber da zögen die Lehrer nicht mit – ebenso wenig wie die
Mitarbeiter der Behinderteneinrichtungen vor Ort. Von seinen
Mediziner-Kollegen hatte sich Müller ebenfalls mehr Unterstützung erwartet.
„Für dicke und hyperaktive Kinder ist Golf mit seiner steten Abwechslung
zwischen Konzentration und Entspannung ideal“, beteuert er – entsprechende
Reha-Empfehlungen blieben dennoch aus. Warum? „Golf hat eben immer noch den
Touch der Oberschicht.“
Vielleicht zu Recht? Wenn ein guter Schläger 100 bis 300 Euro kostet –
funktioniert die Ausgrenzung dann nicht schlicht und schlecht über das
Geld? Den Einwand mit der sozialen Segregation lässt Müller nicht gelten.
Ein Erwachsener zahlt in seinem Club unermäßigt 52 Euro monatlich. Die in
anderen Clubs meist horrende Aufnahmegebühr beträgt 1.500 Euro. Die könne
man bei Bedarf auch abarbeiten – was allerdings bislang keiner tut, wie
Müller einräumt.
Misst man die Golfszene an ihren eigenen Maßstäben, erscheinen die
Lilienthaler Verhältnisse tatsächlich enorm anders – was schon am Parkplatz
beginnt. Im Vergleich zu den SUV-gesättigten Parkarealen anderer Clubs,
sieht es in Lilienthal wie auf einem Kfz-Gebrauchtmarkt aus. Und wenn man
weiß, dass die Vereinsmitglieder lange in einem ausgemusterten Container
auf Regenpausen warteten, dann wirkt auch das jetzige Fachwerk-Clubhaus
nicht mehr exklusiv. Acht „würdevolle Arbeitsplätze“ für Behinderte hat …
Verein hier und bei der Pflege der Anlage geschaffen – das ist Müller
besonders wichtig. Denn: „Die stereotypen Tätigkeiten, die Behinderte oft
in Werkstätten ausüben müssen, sind für mich der Inbegriff von
Grausamkeit.“ Der besondere Heimtücke noch dadurch erhalte, dass sich diese
Werkstätten einen Preiskampf mit Gefängnissen lieferten.
Dann also lieber Greenkeeping. Das perfekte Gras vor dem Loch ist,
sozusagen, das Ergebnis integrativer Grünpflege.
2 Aug 2012
## AUTOREN
Henning Bleyl
Henning Bleyl
## TAGS
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Golf
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