# taz.de -- Olympische Marketingstrategie: „Die Bedrohung wird vorweggenommen… | |
> Checkpoints und Verteidigungszäune: Städte werden immer mehr in Green | |
> Zones verwandelt. Stadtforscher Stephen Graham über Olympia als | |
> Schaufenster der Sicherheitsindustrie. | |
Bild: Sieht nett aus, ist aber Teil der überdimensionierten Sicherheitsmaschin… | |
taz: Mr Graham, Raketen auf den Dächern, Soldaten auf den Straßen – sind | |
aus den Olympischen Spielen Sicherheitsspiele geworden? | |
Stephen Graham: Zwischen Sydney 2000, kurz vor dem 11. September 2001, und | |
Athen 2004 fand eine massive Veränderung statt. Griechenlands Regierung | |
veranlasste eine ausgereiftere und wuchtigere Sicherheitsoperation, | |
inklusive der Beteiligung von Privatfirmen und US-Geheimdiensten. Seit 2001 | |
erleben wir jedes Mal eine Steigerung des Vorangegangenen. | |
In Ihrem Buch „Cities Under Siege“ schreiben Sie, dass Sicherheitsmaßnahmen | |
oft im globalen Süden getestet werden, bevor sie auch im Norden zur | |
Anwendung kommen. | |
Michel Foucault hat das als Bumerangeffekt bezeichnet: Technologien, die | |
zunächst gegen Bevölkerungen in kolonialen Räumen zum Einsatz kommen, | |
werden in die Metropolen zurückgebracht. Historisch lässt sich das zum | |
Beispiel gut an der Verwendung des Fingerabdrucks oder an | |
Stadtplanungsideen nachweisen. Heute verkaufen private Söldnerarmeen, die | |
an Orten wie Bagdad mit der Besatzungsmacht in Verbindung gebracht wurden, | |
ihre Dienste in Nordamerika und Europa. | |
Welche Technologien und Produkte werden reimportiert? | |
Zu beobachten ist, wie städtische Zonen in Großbritannien und den USA in | |
eine Art Green Zone verwandelt werden, mit Checkpoints und | |
Verteidigungszäunen. Der Aufschwung der Biometrie ist mit der Verwendung | |
biometrischer Technologien zur Kontrolle aufständischer Städte verbunden. | |
Grundidee ist, dass der Feind ein ziviler, nichtstaatlicher Akteur ist, der | |
sich nicht vom Rest der Bevölkerung unterscheidet, dem der urbane Raum als | |
Tarnung und Versteck dient. Deshalb brauche man all diese | |
Identifizierungssysteme, um die Bedrohung vorwegzunehmen. | |
Wovor haben denn die Olympia-Macher am meisten Angst? | |
Ihre große Sorge wird sein, dass die Marke Olympia als sauberes und | |
perfektes Sportspektakel zerstört werden könnte. Es fließen Milliarden von | |
Pfund, um London als verlockendes Ziel für Touristen und Geschäftsleute | |
darzustellen. Im Grunde ist Olympia eine große, gut organisierte | |
Marketingstrategie. | |
Sicherheitsmaßnahmen sollen aber nicht mehr nur die Vermarktung von Olympia | |
gewährleisten, sie sind zu einer lukrativen Ware geworden. | |
Sicherheit ist ein großer, schnell wachsender Sektor, und die Olympischen | |
Spiele sind dafür ein außergewöhnliches Schaufenster, vor allem für | |
britische Sicherheitsfirmen. Sie sehen die Spiele als große Chance. | |
Und dann kommt die Blamage: Der weltgrößte private Sicherheitskonzern G4S | |
kann nicht genug Personal aufbieten, ruiniert sein Image und muss hohe | |
Vertragsverletzungsgebühren zahlen. Und nun wird selbst für | |
Taschenkontrollen Militär eingesetzt. Was hat Sicherheit überhaupt zu so | |
einer lukrativen Ware gemacht, dass da so viel dranhängen kann? | |
Die klassische Rüstungsindustrie erfährt einen Niedergang. Aber nun | |
verschmilzt sie mit IT-Unternehmen, Kommunikationsfirmen, privaten | |
Sicherheitsdienstleistern, universitärer Forschung und Biotechnologie zum | |
großen Komplex des Heimatschutzes (Homeland Security), basierend auf einer | |
äußerst vagen Idee von Sicherheit, die insbesondere von den USA und Israel | |
durchgesetzt wurde, deren Unternehmen die Märkte zum Beispiel für Drohnen | |
beherrschen. Ich befürchte, dass wir am Ende unsere eigenen Städte in | |
Festungen verwandeln, nur um Produkte und Dienste an autoritäre Regime im | |
Rest der Welt verkaufen zu können. Ein sehr problematisches Modell. | |
Und ein sehr männliches. | |
Ja, die Sicherheitstechnologien werden von einem männlich dominierten Kreis | |
imaginiert und vermarktet. Ein interessanter Aspekt des maskulinen Ethos | |
ist seine starke Technophilie, die jeglicher Unsicherheit und Bedrohung | |
harte technologische Konzepte entgegensetzt – die aber am Ende in | |
komplizierten, chaotischen Situationen gar nicht funktionieren. In Athen | |
wurde zum Beispiel für die Olympischen Spiele ein 300 Millionen Dollar | |
teures Überwachungssystem durch Siemens installiert. Als Griechenland in | |
die Krise stürzte, hat diese Technologie Unruhen nicht stoppen können. | |
Tatsächlich haben auch die Sicherheitskosten für die Athener Spiele eine | |
Menge zur Schuldenkrise in Griechenland beigetragen. Sie betrugen damals | |
zwei Milliarden Dollar. | |
Und in London? | |
Ein ähnlicher Betrag, ein bis zwei Milliarden Pfund. | |
Was wird davon nach Olympia bleiben? | |
Ich vermute, dass sich die Sicherheitsbehörden angesichts dieser einmaligen | |
Gelegenheit neue Kontrollsysteme angeschafft haben. In Dorset, wo die | |
Segelwettbewerbe stattfinden, brüstet sich die Polizei schon damit, dass | |
sie dank Olympia nun über eine CCTV-Überwachung verfügt, die | |
Autokennzeichen erkennt. | |
4 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Oliver Pohlisch | |
Oliver Pohlisch | |
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