# taz.de -- Olympiasport Synchronschwimmen: Clowns mit Riesenlungen | |
> Albern oder hohe Kunst? Synchronschwimmen ist Theater und Ausdauersport | |
> zugleich. Eine Australierin machte Wasserballett salonfähig. Dafür kam | |
> sie ins Gefängnis. | |
Bild: Golden Girls: Die Russinnen Swetlana Romaschina und Natalja Ischtschenko … | |
LONDON taz | Bühne frei! Das Schwimmbad wird zum Varieté-Theater. | |
Schrauben, Hebeübungen und Salti. Ganz viel Bein, gestreckt und abgekickt. | |
Showmusik. Eine Hommage an Michael Jackson, Tango, AC/DC. Junge Frauen in | |
knappen Trikotagen. Ganz viel Strass und noch mehr Schminke. Es ist | |
Showtime im Aquatic Centre. | |
Ganz große Geschichten werden erzählt im Chlordunst des olympischen | |
Schwimmbads. Schwäne, die sich einen neuen Teich erobern müssen, Wölfe, | |
denen auf der Jagd zum Heulen ist, weil sie lange keine Beute finden, ein | |
Tiger, der durch den Dschungel streift und Angst und Schrecken verbreitet. | |
Zwei Aufziehpuppen, deren Arme und Beine hin und her fliegen – aber wer | |
zieht sie wieder auf, wenn die Bewegungen langsamer werden? Akrobatik, die | |
Geschichten erzählen will. | |
Die Zuschauer sehen die Unterschiede. Das italienische Drama verstehen sie | |
nicht oder wollen sie sich von der traurigen Geschichte ihre olympische | |
Partystimmung nicht vermiesen lassen? Die kanadische Clownnummer finden sie | |
witzig. Sie lachen. Doch auf den Applaus sind die Varietékünstlerinnen | |
nicht aus in diesem Theater, das nach Chlor riecht. Er ist ihnen ohnehin | |
gewiss. Sie wollen gute Noten von den Kampfrichterinnen. Dieses aufgesetzte | |
Lächeln, diese übertriebenen Gesten, muss das sein? Ist das gutes Theater. | |
„Eine alte Geschichte“, sagt Natalja Ischtschenko. Nach der Show, die ihr | |
zusammen mit ihrer Partnerin Swetlana Romaschina [1][Gold im Duett] | |
beschert hat, ist sie ganz Sportlerin. Sie weiß, dass viele albern finden, | |
was sie macht. „Wir arbeiten jeden Tag zehn Stunden im Becken und im | |
Kraftraum. Ich möchte jetzt zwar nicht alle unsere Geheimnisse verraten, | |
aber mit dem Kopf nach unten im Wasser zu stehen, ist echt kein Witz.“ Im | |
Trainingsanzug steht sie breitbeinig sie vor den Männern, die sie nach | |
ihrem Sieg ausfragen. Eine starke Frau. | |
## Die Pionierin des Wasserballetts | |
Das war auch Annette Kellerman. Mit ihr hat einst alles begonnen. Die | |
Synchronschwimmerinnen der Gegenwart sehen sich als ihre Erbinnen. Im | |
London des Jahres 1904 zeigte die damals 18-jährige Kellerman als | |
Meerjungfrau in einem Wassertank auf der Varieté-Bühne des Hippodroms eine | |
verblüffende Show. Ihr Wasserballett begeisterte die Gesellschaft. | |
In London hatte sich herumgesprochen, wer da als Nixe auftrat: eine der | |
besten Schwimmerinnen jener Zeit. Mit 15 hatte sie in ihrer australischen | |
Heimat alle Männer besiegt, war schneller als der schnellste Mann über die | |
Meilendistanz. Um in London auf sich aufmerksam zu machen, schwamm sie 47 | |
Kilometer lang die Themse hinab. Sie war ein sportliches Wunderkind. Dass | |
sie drei mal bei einer geplanten Durchquerung des Ärmelkanals scheiterte, | |
konnte ihren Ruhm nicht mindern. | |
„Wir müssen Ausdauersport machen, und können dabei oft nicht einmal atmen�… | |
sagt Ischtschenko. In Russland hat sie es mit Duettpartnerin Romaschina | |
schon zu großem Ruhm gebracht. Wenn die beiden eine neue Kür vorstellen, | |
wird sie in allen Sportzeitungen besprochen. Welche sportliche Leistung | |
dahinter steht, wissen die Sportfreunde in Russland. | |
Ischtschenko hat schon als Kind die Paddeltechniken gelernt, die es einer | |
Synchronschwimmerin ermöglichen, die Ballettfiguren und Formationen zu | |
turnen, auf die die Kampfrichterinnen so genau schauen. Die Techniken, die | |
ein gutes Team zeigen muss, sind katalogisiert. Das macht das olympische | |
Wasserballett erst zur Sportart. Nicht jede, die sich im Wasser elegant | |
bewegen kann, darf sich Synchronschwimmerin nennen. | |
## Ein unschlagbares Duo | |
Ein Jahr braucht es, bis Romaschina und Ischtschenko eine neue Kür zur | |
Zufriedenheit ihrer Trainerin Tatjana Dantschenko vorführen können. Die | |
Russinen gelten als unschlagbar. 15 Goldmedaillen haben sie gewonnen seit | |
Synchronschwimmen olympisch ist – seit 1984. Niemand kann die Athletik so | |
künstlerisch präsentieren wie die Russinnen. Das schätzen die | |
Kampfrichterinnen, die neben den technischen Fähigkeiten auch den | |
künstlerischen Eindruck bewerten. | |
Für Annette Kellerman war der künstlerische Eindruck wichtiger als der | |
sportliche. Sie wurde in den USA mit ihrer Wassershow zum Varieté-Star. Ihr | |
Outfit wurde ebenso bewundert, wie ihre Tauchfähigkeiten. Was sie dem | |
Publikum vorführte war mehr als ein erotischer Tanz. Ihre Auftritte waren | |
ein emanzipatorischer Akt. Sie hat in den USA als erste einen eng | |
anliegenden einteiligen Badeanzug getragen. Weil sie den auch bei Boston am | |
Strand trug, musste sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses für ein | |
paar Tage ins Gefängnis. Als albern wird das Tun dieser Frau wohl niemand | |
beschreiben können. | |
Natalja Ischtschenko muss lachen, als das Männerthema aufkommt. Die dürfen | |
bei Olympia nicht mitmachen. Dabei gibt es längst Männer, die sich mit den | |
Frauen im Becken messen wollen. In den USA und Kanada sind Wettbewerbe, in | |
denen Männerformationen oder gemischte Teams antreten schon normal. Auch | |
erste reine Männerwettbewerbe gibt es. | |
In Deutschland gilt der Bochumer Niklas Stoepel als Unikum. Er performt mit | |
der Formation der FS Bochum und ist mit der schon deutscher Vizemeister | |
geworden. Selbstbewusst sagt er über sein Verhältnis zu den Schwimmerinnen | |
im Team: „Ich trainiere wie sie, bin auf dem gleichen Niveau.“ Er würde | |
gerne einen Männerwettbewerb bei Olympia sehen. Er würde der Sportart ein | |
neues Gesicht geben, glaubt er, „mehr Kraft bei weniger Gelenkigkeit“. | |
## Keine angemessene Bühne in London | |
Noch aber gehört die Bühne allein den Frauen. Die sieht indes arg nach | |
Wettschwimmbecken aus. Die Bahnmarkierungen am Boden zerstören viel von der | |
Kunst, die da gezeigt wird. Und die Musikanlage in London ist einfach | |
schauerlich. Kein Varieté-Theater würde so mit seinen Künstlerinnen | |
umgehen. | |
Die Aufziehpuppen Ischtschenko und Romaschina haben zur Dramamusik aus dem | |
Horrorfilm Suspiria ein irres Stück aufgeführt. Die | |
Mehrzweckhallenatmosphäre, in die man sie gepackt hat, ist ihnen nicht | |
gerecht geworden. Wenn Sport zur Kunst wird, braucht er eine angemessene | |
Bühne. | |
9 Aug 2012 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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