# taz.de -- Solidarität für russische Frauen-Band: Sympathy for the Pussy | |
> Weltweit gibt es große Unterstützung für die russische Frauenband Pussy | |
> Riot. In Berlin dreht die Musikerin Peaches ein Unterstützer-Video. Woher | |
> kommt eigentlich der Hype? | |
Bild: Eine Musikerin und ihre Statisten: Peaches beim Videodreh am Mittwoch in … | |
Eine jubelnde Menge auf Plateau-Stilettos und mit Silberperrücke, in | |
Zebra-Röhrenjeans und Nieten-BH, halbnackt oder in grellen | |
Ganzkörperleggins hopst durch den Berliner Mauerpark. Ihr gemeinsames | |
Markenzeichen: Masken – meist bunte Strickwaren. | |
Von dem Treiben inmitten von Gräsern und wild blühendem Lavendel sind | |
Prenzlauer-Berg-Flaneure wenig überrascht. „Irgendwas wegen Pussy Riot, die | |
drei Musikerinnen, die in Russland vor Gericht stehen“, raunt eine | |
graumelierte Frau in Barbour-Jacke ihrer Freundin zu, zückt ihr Handy und | |
macht ein paar Fotos. Pussy Riot kennt in diesen Tagen jeder. | |
Auch die kleine Frau inmitten der bunten Menge, die sich darum bemüht, die | |
Bestverkleidetsten vor der Kamera zu positionieren. Dabei ist auch sie | |
durchaus eine Szenegröße: Peaches, die kanadische Elektroclash-Sängerin. | |
Peaches war es, die die Aktion rund um den Berliner Mauerpark ins Leben | |
gerufen hat: Mit ihrer Kollegin Simonne Jones hatte sie ein Lied | |
komponiert, in dem sie die Freilassung der angeklagten | |
Pussy-Riot-Aktivistinnen fordert. Für den Video-Dreh rief sie via Facebook | |
auf: „Wenn du in Berlin bist, marschiere mit uns durch die Straßen und | |
singe FREE PUSSY RIOT!“ | |
Im Gegensatz zu ihren Video-Statisten erscheint Peaches heute – im türkisen | |
Body – beinahe unauffällig. „Come on girls and boys“, ruft sie. „Let�… | |
fun.“ Energisch gibt sie Anweisungen, Hände hoch, Masken auf, springen. | |
Gerechnet hatte die Sängerin mit 150 Personen, gekommen sind etwa doppelt | |
so viele. | |
## Wachsende Solidarität | |
Schnell zieht die Menge von einer Location zur nächsten. Allen wird klar, | |
das hier ist nicht nur Spaß, sondern Business – ein Soli-Business: Am | |
Montag soll das Video fertig im Netz stehen. Was sich Peaches davon | |
erhofft? „Jetzt sind wir erst mal hier und machen ein Video“, sagt die | |
Sängerin mit rauer Stimme. „Das Geld, das wir mit dem Song einnehmen, geht | |
an die Anwälte der Mädchen, das ist alles, was ich sagen kann.“ PR für die | |
gute Sache. Und vielleicht auch ein wenig für sich selbst? | |
[1][Mit ihrer Unterstützungsaktion] ist Peaches nicht allein – seit Wochen | |
wächst die Solidarität mit Pussy Riot: Musiker der Pet Shop Boys, von Pulp | |
und Franz Ferdinand schrieben in der britischen Zeitung Times einen Brief | |
an den Kremlchef. Die Vorwürfe gegen die Pussy-Riot-Mitglieder Nadeschda | |
Tolokonnikowa, Jekaterina Samutsewitsch und Maria Alechina seien „absurd“, | |
hieß es da. Anthony Kiedis, Frontmann der Red Hot Chilli Peppers, trug beim | |
jüngsten Konzert in Moskau ein Pussy-Riots-Shirt. Auch Peter Gabriel, Sting | |
und Madonna protestierten. | |
Schauspieler Danny DeVito twitterte: „Mr. Putin? Lassen Sie sie frei“. Und | |
parteiübergreifend kritisierten zuletzt 121 Bundestagsabgeordnete in einem | |
Brief an den russischen Botschafter die drohende Haftstrafe für die | |
russischen Musikerinnen. Das Pussy-Riot-Verfahren steht unter Beobachtung | |
der Weltöffentlichkeit. | |
## Ein Phänomen. Das Pussy-Riot-Phänomen. | |
Dass in Russland Justizwillkür herrscht ist nicht neu. Viele Putin-Kritiker | |
sitzen in russischen Gefängnissen. Wie konnte also gerade der | |
Pussy-Riot-Fall zu solch einem Aufreger werden? Warum gerade diese Frauen, | |
die im Februar mit gestrickten Strumpfmasken über den Köpfen den Altarraum | |
der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale stürmten, dort tanzten und die | |
Gottesmutter anflehten, Russland von Putin zu erlösen? | |
„Die neuen Medien sind zumindest eine der Ursachen für den Hype“, sagt | |
Kulturwissenschaftler und Protestforscher Klaus Schönberger von der Zürcher | |
Hochschule der Künste. Der Auftritt der russischen Musikerinnen sei | |
eigentlich relativ harmlos gewesen. Zu einem Riesenskandal wurde er erst, | |
als die Gruppe ihn ins Internet stellte und er dort rasant verbreitet | |
wurde. Protest sei Mainstream geworden. „Es bedarf nicht mehr einer | |
besonderen Lebensform, um zu protestieren.“ Ein „Gefällt mir“, reiche au… | |
„Sich mit Plakaten hinstellen, auf Gleise setzen, die Zeiten seien vorbei. | |
Der Protest läuft heute nebenbei, bleibt unverbindlich.“ | |
Natürlich spiele auch die Eitelkeit der digitalen One-Klick-Aktivisten eine | |
Rolle. Es schmücke, die Frauen zu unterstützen, sagt der Forscher. „Das ist | |
aber generell nichts Schlechtes.“ Und es sei einfach, zu dem Thema etwas zu | |
sagen – denn die Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen sei wenig subtil, man | |
brauche keinen besonderen Background, um mitreden zu können. | |
In Prenzlauer Berg hat in der Zwischenzeit der Pussy-Riot-Flashmob den | |
Mauerpark erreicht: „Wir wollen, dass Pussy Riot frei sind“, sagen zwei | |
junge Frauen, die ihren Namen nicht nennen. „Heute sind wir alle Pussy | |
Riot“, ruft einer aus der Menge. Unmut macht sich breit. Unter das bunte | |
Volk haben sich Kameramänner gemischt. „RTL II ist hier. Was soll das?“, | |
echauffiert sich einer aus der Menge. Das hier sei eine Kunstaktion, kein | |
Kommerz, sagt der Mann. Und versucht damit eine Grenze zu ziehen, die im | |
Fall Pussy Riot schwer zu ziehen ist – in all dem Chaos aus populären | |
Unterstützern und Merchandise-Produkten, die auf Ebay vertrieben werden. | |
„Die Masse soll das Video ansehen, hier hat sie nichts zu suchen“, sagt der | |
Mann. | |
## Resonanzboden und Verstärker | |
Medien seien ein Resonanzboden und Verstärker für ein Protestphänomen wie | |
bei Pussy Riot, sagt Forscher Schönberger, aber nicht der Grund: „Wenn eine | |
junge Frau in Afghanistan gesteinigt werden soll, dann gibt es auch | |
Proteste in sozialen Netzwerken, die jedoch niemals diese Reichweite | |
erfahren.“ | |
Für Andreas Pettenkofer, Autor des Buches „Radikaler Protest“, hängt der | |
„Pussy-Riot-Hype“ mit einer „latent existierenden sexistischen | |
Grundordnung“ zusammen, die sich die Frauengruppe zu Nutzen gemacht hätte. | |
Die US-Sängerin Patti Smith sagte auf einem Konzert, die einzige Schuld | |
dieser Frauen sei, „dass sie jung, selbstbewusst und schön sind“. Auch | |
Pettenkofer findet: „Immer noch spukt in unseren Köpfen herum: Frauen sind | |
unschuldiger als Männer.“ Wenn sich Aktivisten noch gängiger Kulturbilder | |
bedienen, können sie das positiv für sich nutzen. „Allein der Name der Band | |
ist Programm: ,Muschi-Aufstand‘ –Provokation und Spielerei mit der | |
Weiblichkeit in einem“, sagt er und vergleicht sie mit den | |
„Brüste-Aktivistinnen“ Femen, aus der Ukraine, die sich nackt präsentiere… | |
Der Erfolg eines Protests hängt laut Pettenkofer von der Mischung ab – | |
zwischen „richtig böse“ und „völlig unschuldig“. Böse ist im Fall vo… | |
Riot vor allem die Wahl ihres Performance-Ortes: in Russland, aber auch im | |
säkularisierten Westen garantiert das Thema Religion Medienaufmerksamkeit. | |
Unschuldig sind Pussy Riot aber andererseits als junge, schöne Frauen – | |
moderne Heldinnen, deren Aktionen kurz vor Putins Wiederwahl zum | |
Präsidenten besondere Aufmerksamkeit bekam. | |
Im Mauerpark ist Peaches nach einer Stunde plötzlich verschwunden, die | |
Menge beginnt sich allmählich aufzulösen. „Der Clip ist im Kasten, wir | |
sagen Danke“, ruft noch ein Assistent der Sängerin in die Menge. Hier und | |
da ist noch ein „Free Pussy Riot“ zu hören. Dann wird es ruhig um Pussy | |
Riot. Zumindest an diesem Tag. | |
9 Aug 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.change.org/freepussyriot | |
## AUTOREN | |
Barbara Opitz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Urteil gegen Pussy Riot: Zwei Jahre Knast | |
Für zwei Jahre müssen die Musikerinnen von Pussy Riot wegen religiös | |
motovierten Rowdytums ins Gefängnis. Weltweit finden Solidaritäts-Aktionen | |
statt. | |
Unterstützer von Pussy Riot verhaftet: Solidarität für Pussies | |
Die russische Polizei löst gewaltsam eine Kundgebung für die | |
Frauen-Punkband Pussy Riot auf. Den drei Angeklagten wird „Rowdytum“ | |
vorgeworfen – ihnen drohen drei Jahre Haft. | |
Oppositionspolitiker in Russland vor Gericht: Die Widerspenstigen sollen schwei… | |
Früher ließ der Kreml den Duma-Abgeordneten Gudkow als einen der wenigen | |
Kritiker gewähren. Nun wird ihm der Prozess gemacht – offenbar um ihn | |
mundtot zu machen. | |
Madonna in Russland angefeindet: „Gealterte Hure aus dem Ausland“ | |
Madonna provoziert mit ihrer Welttour die Machthaber in Russland. Sie | |
kämpft für die Freilassung der Band Pussy Riot und gegen die | |
Diskriminierung Homosexueller. | |
Prozess gegen Pussy Riot: Urteil soll am 17. August fallen | |
Im Prozess gegen die drei Musikerinnen der russischen Punkband Pussy Riot | |
soll das Urteil am 17. August verkündet werden. Eine Angeklagte verglich | |
das Verfahren mit der Stalin-Zeit. | |
Prozess gegen Pussy Riot: Staatsanwalt fordert drei Jahre Haft | |
Im Prozess gegen den russische Punkband Pussy Riot fordert der Staatsanwalt | |
drei Jahre Haft. Die drei Frauen hätten die Gefühle von Gläubigen grob | |
verletzt. | |
Chodorkowski zum Pussy-Riot-Prozess: „Eine Schande für Russland“ | |
Der frühere Oligarch Michail Chodorkowski hat den Prozess gegen die | |
Punkmusikerinnen von Pussy Riot kritisiert. Den Angeklagten drohen sieben | |
Jahre Straflager. | |
Kommentar Prozess gegen Pussy Riot: Putin straft, verzeiht und vergibt | |
Die inhaftierte russische Punkband Pussy Riot hätte ihre Lektion gelernt, | |
meint Wladimir Putin auf einmal. Er will Respekt ausstrahlen, wirkt aber | |
nur lächerlich. | |
Inhaftierte Punkband Pussy Riot: Putins Gnade | |
Wladimir Putin zeigt sich milde gegenüber der inhaftierten Frauenpunkband | |
Pussy Riot. Liegt es daran, dass London dem Kremlchef mit Vorbehalten | |
begegnet? |