# taz.de -- Ermittlungen gegen Günter Wallraff: Niedermacher niedergemacht | |
> Gegen den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff wird wegen des | |
> Verdachts auf Sozialbetrug ermittelt. Besonders „SZ“-Rechercheur | |
> Leyendecker profiliert sich damit. | |
Bild: Ausnahmsweise mal in Zivil: Günter Wallraff. | |
Als ich am Samstag in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel von Hans | |
Leyendecker mit der Überschrift „Das doppelte Gesicht“ las, packte mich die | |
blanke Wut. Der journalistische Scharfrichter, dem Eitelkeit und | |
Selbstgefälligkeit nicht fremd sind, schreibt über einen politisch | |
engagierten Kollegen, über Günter Wallraff, und versucht diesen mit bislang | |
unbewiesenen Verdächtigungen zu demontieren. | |
Sicher ist es reiner Zufall, dass auch im neuen Spiegel über Günter | |
Wallraff berichtet wird („Enthüllungen über einen Enthüller“). Dieser | |
Bericht ist immerhin ohne die offene Häme Leyendeckers geschrieben, auch | |
wenn er sich überwiegend auf die Aussagen eines enttäuschten | |
Ex-Mitarbeiters von Wallraff stützt. | |
Dabei geht es mir offen gesagt überhaupt nicht darum, ob die Vorwürfe gegen | |
Günter Wallraff zutreffend sind oder nicht. Bislang jedenfalls gibt es im | |
Prinzip nur die Aussage des von Wallraff enttäuschten Exmitarbeiters. Und | |
dass sich dann auch andere Vernachlässigte melden – das gehört wohl dazu. | |
Was jedoch im Fall Wallraff auffällt, ist die gnadenlose Vorverurteilung | |
eines Kollegen, der im Gegensatz zu seinen Kritikern eine politische | |
Geradlinigkeit gezeigt hat, die heute leider nur noch bei wenigen | |
Journalisten zu finden ist. Denn es ist ja nicht so, dass in Deutschland | |
viele JournalistInnen schreiben, die politisch Farbe bekennen, die Partei | |
ergreifen. Nein, viele verziehen sich lieber in die warme Ecke der | |
sogenannten journalistischen Neutralität, um bloß nicht anzuecken. | |
Günter Wallraff hingegen hat sich, unabhängig von seinen umstrittenen | |
Methoden, nachhaltig für die Unterdrückten und politisch Verfolgten | |
eingesetzt. Und er hat sich damit viele Feinde geschaffen. Dass der | |
Hauptbelastungszeuge gegen Wallraff, sein Exmitarbeiter, mit dem Anwalt | |
einer Großbäckerei (über die Wallraff kritisch berichtet hatte), laut | |
Spiegel, Wallraff „belastende Dokumente“ der Kölner Staatsanwaltschaft | |
überreichte, zeigt ja, woher der Wind weht. | |
## Für Unterdrückte engagiert | |
Laut Hans Leyendecker kursieren in der „Szene seit Wochen viele Geschichten | |
über den 69-jährigen Aufklärer, die ihn als eine Mischung aus Despot und | |
Trickser erscheinen lassen“, durch den Erfolg seiner Bücher sei er „zum | |
Vermögensmillionär geworden“, habe aber „eine Vorliebe fürs Bare behalte… | |
Er habe bei 13 Vorträgen „im Jahr 2010 Honorare und Reisekosten von knapp | |
30.000 Euro“ erhalten. Und tückisch fragt Leyendecker: „Hat er alle | |
Einnahmen ordentlich versteuern lassen?“ Es werden Vorwürfe ausgebreitet: | |
„Ist Wallraff ganz echt oder ist er es nicht?“ Er soll – welch ein Skandal | |
– „Helfer beim Schreiben“ gehabt haben, „soll bei Reden, Vorworten oder | |
Zeitungsartikeln externe Schreibhilfe gefunden haben“. So viel soll, soll, | |
soll. | |
Hat Hans Leyendecker bei seinen Geschichten nie Unterstützung bei | |
KollegInnen gesucht? Und natürlich helfen gute Kontakte zu | |
Ermittlungsbehörden. Denn wie sonst kommt man an die Information, dass das | |
Kölner Finanzamt für Steuerstrafsachen der Staatsanwaltschaft den | |
Strafverfolgungsbehörden Unterlagen über ein „Steuerverfahren gegen | |
Wallraff“ zukommen lassen wird. Damit bekomme Wallraff jetzt „ein | |
Aktenzeichen“, schreibt Leyendecker. | |
Ich erinnere mich an ein Interview im Deutschlandfunk am 31. Mai 2011. | |
Darin sagte der gleiche Hans Leyendecker: „Die Schwierigkeit für Medien | |
besteht eigentlich darin, wenn sie ganz ungestüm und auch mit so einer | |
Vorverurteilungs- oder Vorfreispruchmentalität herangehen, dass sie immer | |
außer Acht lassen, dass Millionen Ermittlungsverfahren eingestellt werden. | |
Ein Ermittlungsverfahren ist erst mal nur ein Ermittlungsverfahren, das so | |
oder so ausgehen kann, und man hat auch tatsächlich von der | |
Unschuldsvermutung auszugehen. Das wird immer stärker ignoriert.“ | |
Also stellt sich die Frage: Wer urteilt da so gnadenlos über Günter | |
Wallraff? Ich erinnere mich noch gut an die ehemalige Bochumer | |
Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen. Sie arbeitete in der | |
Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft, auch von Leyendecker als | |
Informantin jahrelang geschätzt. Bundesweit bekannt wurde die | |
Staatsanwältin während einer dienstlichen Aktion gegen einen prominenten | |
Steuerbetrüger, der sein Kapital in Liechtenstein vor dem Zugriff des | |
Finanzamts in Sicherheit gebracht hatte. Es war Klaus Zumwinkel, der | |
ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post AG. Margrit Lichtinghagen | |
war wegen ihrer Unbeugsamkeit von Kriminalisten, Steuerfahndern und vielen | |
Kollegen hoch geschätzt. Geradlinigkeit und Unbeugsamkeit von Untergebenen | |
– das konnte es in der Führung der Staatsanwaltschaft Bochum jedoch nicht | |
geben und musste als Ungehorsam gegenüber der Amtsführung verstanden | |
werden. Wie kann man also die Kollegin Lichtinghagen unglaubwürdig machen | |
und zum Kotau zwingen? | |
## Behördeninterne Intrige | |
Hilfreich sind in derartigen Fällen immer zwei Praktiken für eine effektive | |
behördeninterne Intrige: Die Amtsleitung (deren Qualifikation für | |
Wirtschaftsstrafsachen von außen als eher bescheiden beurteilt wird) | |
sammelt Gerüchte und leitet daraufhin ein Disziplinarverfahren ein. Und | |
damit das auch bundesweit bekannt wird, füttert man einen | |
vertrauenswürdigen Journalisten mit den entsprechenden exklusiven | |
Informationen. Es war Hans Leyendecker, der den damaligen leitenden | |
Oberstaatsanwalt Bernd Schulte mit den Worten zitierte, die Staatsanwältin | |
habe sich „ungebührlich verhalten und agiert hinterhältig“. Aus | |
Leyendeckers Feder stammt auch der bemerkenswerte Satz: „Es ist im Leben | |
und auch als Strafverfolger nicht einfach, immer saubere Hände zu behalten. | |
Im Fall der Staatsanwältin gibt es den Verdacht von Mauscheleien“ | |
(Süddeutsche Zeitung vom 17. Dezember 2008). | |
Oder: „Neben Illoyalität und Eigenmächtigkeiten wird der Ermittlerin von | |
ihrer eigenen Behörde vorgeworfen, bei Millionen schweren | |
Bußgeldzuweisungen an gemeinnützige Institutionen über Jahre getrickst und | |
gemauschelt zu haben“ (Süddeutsche Zeitung vom 16. Dezember 2008). Zuerst | |
war die Staatsanwältin nützlich. Dann jedoch, als sie für die Amtsleitung | |
zu forsch beim Jagen der Steuersünder wurde, verbreitete Leyendecker, wenig | |
zurückhaltend, die Behauptungen der Amtsführung gegen Margrit | |
Lichtinghagen. Alle Vorwürfe stellten sich später als haltlos heraus – aber | |
Lichtinghagens berufliche Reputation war zerstört. Sie verließ nach diesen | |
publizistischen Jagdszenen die Staatsanwaltschaft. | |
## Von Mitvorstand abgerückt | |
Erinnert sei auch an das Netzwerk Recherche, in dem Hans Leyendecker bis | |
zum großen Knall mit im Vorstand saß – bis Ungereimtheiten auftauchten, die | |
so überhaupt nicht in das gepflegte Image der journalistischen | |
Aufrichtigkeit und Qualitätskontrolle der selbst ernannten journalistischen | |
Chefaufklärer passte. Am 13. Oktober 2011 konnte man in der taz nachlesen, | |
wie Hans Leyendecker, jahrelang stellvertretender Vorsitzender vom Netzwerk | |
Recherche, auf einmal gegen seinen langjährigen Vorsitzenden loslegte: | |
Thomas Leif sei „größenwahnsinnig gewesen, von ihm verantwortete Vorgänge | |
kriminell und seine Handlungen vorsätzlich. Es sei dumm gewesen, ihm zu | |
vertrauen“, fasste die taz zusammen. | |
Ach ja, die gemeinsame Verantwortung und Solidarität unter Journalisten – | |
wo sind die ethischen Maßstäbe geblieben? Hauptsache, Leyendecker kann sein | |
Image als Moralapostel weiter pflegen. | |
13 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Roth | |
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