# taz.de -- Sachbuch von Paul Krugman: Sparen macht arm | |
> Selten war ein Buchtitel so klar: „Vergesst die Krise! Warum wir jetzt | |
> Geld ausgeben müssen“, heißt das neue Buch des Nobelpreisträgers Paul | |
> Krugman. | |
Bild: So ist's richtig: Amerikaner mit vollen Einkaufswagen bei den „Black Fr… | |
Es wird einfach nicht besser: Fünf lange Jahre dauert die Finanz- und | |
Wirtschaftskrise nun schon. In den USA sind 15 Prozent unterbeschäftigt | |
oder arbeitslos, in Europa ganze Länder überschuldet. | |
Entsprechend ungeduldig betitelt der Nobelpreisträger Paul Krugman sein | |
neues Buch. „End this Depression Now!“ heißt es auf Englisch. Der deutsche | |
Titel bringt dies nicht ganz auf den Punkt: „Vergesst die Krise!“ Krugman | |
will nicht noch einmal darstellen, wie es zur Finanz- und Eurokrise kommen | |
konnte. Ihm geht es um Auswege aus der Rezession, nicht um | |
Schuldzuweisungen. | |
„Wirtschaft ist keine Moralfabel.“ Das Buch richtet sich vor allem an | |
US-Amerikaner. Rechtzeitig vor der Wahl im November will Krugman seine | |
Landsleute überzeugen, dass ein milliardenschweres Konjunkturprogramm nötig | |
ist. Die Eurokrise kommt eher am Rande vor. | |
Wie Krugman bestens weiß, löst das Wort „Konjunkturprogramm“ bei vielen | |
Lesern Aversionen aus, weil sie Angst vor einer zu hohen Staatsverschuldung | |
oder aber einer Inflation haben. Also beginnt er noch mal ganz von vorn. Es | |
ist ein sehr pädagogisches Buch geworden, das niemanden überfordern will. | |
Dazu gehört auch, dass die Leser immer wieder direkt angesprochen und | |
Zitate aus Comics und Hollywoodfilmen eingestreut werden. | |
## Alle versuchen zu sparen | |
Auf jeden Fall sollen die Leser verstehen, dass die jetzige | |
Weltwirtschaftskrise eine echte Depression ist – und nicht eine normale | |
Konjunkturdelle, wie sie zyklisch immer wieder auftritt. Eine solche | |
Depression entsteht nur, wenn vorher eine Kredit- und Hypothekenblase | |
geplatzt ist. Denn dann ist fast jeder überschuldet: Firmen, | |
Privathaushalte und Banken. Also versuchen sie alle zu sparen. | |
Dabei geraten sie jedoch in ein „Sparparadox“, das erstmals 1933 von dem | |
US-Ökonomen Irving Fisher beschrieben wurde: Je mehr die Leute sparen, | |
desto mehr Schulden haben sie hinterher. Denn wenn jeder seine Ausgaben | |
reduziert, bricht die Nachfrage ein. Die Wirtschaft gerät in eine | |
Rezession, was wiederum bedeutet, dass die Gesamteinkommen und die Preise | |
sinken. Nur die Schulden sinken nicht, sie bleiben nominal gleich. Bizarre | |
Konsequenz: In realen Preisen steigen die Schulden sogar! | |
Daraus folgt im Umkehrschluss: Schulden lassen sich nur abbauen, wenn die | |
Wirtschaft wächst. Da jedoch überschuldete Privathaushalte und Firmen | |
niemals ihre Ausgaben steigern werden, muss der Staat einspringen. Er muss | |
sich verschulden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. | |
Die Gegner einer solchen Konjunkturpolitik wenden gern ein: „Wenn Schulden | |
das Problem sind, wie können dann noch mehr Schulden die Lösung sein?“ | |
Dahinter verbirgt sich jedoch ein Fehlschluss, wie Krugman zeigt: In der | |
volkswirtschaftlichen Gesamtschau steigen die Schulden gar nicht. Sie | |
werden nur zwischen den Sektoren verschoben. Der Staat nimmt Schulden auf | |
und schafft damit Einkommen, das die Firmen und die Privathaushalte | |
wiederum nutzen, um ihre Schulden zu reduzieren. Durch diese Rochade werden | |
die Blockaden gelöst, die die Wirtschaft stocken lassen. | |
## Eine moderate Inflation soll helfen | |
Allerdings ist Wachstum nur ein Weg, um Schulden abzubauen. Sehr hilfreich | |
wäre auch eine moderate Inflation. Krugman selbst schlägt eine | |
Geldentwertung von jährlich 4 Prozent vor und ist damit keineswegs allein: | |
Auch der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, | |
empfiehlt diese Rate. | |
Einziges Problem: Eine Inflation ist gar nicht so leicht zu erzeugen, wie | |
auch Krugman feststellt. So hat die US-Notenbank Fed seit 2008 fleißig Geld | |
gedruckt, um die Finanzkrise abzufedern, aber die amerikanische | |
Inflationsrate dümpelt trotzdem bei nur 2,5 Prozent dahin. Und selbst diese | |
moderate Preissteigerung hat fast nichts mit der Fed zu tun, sondern wurde | |
vor allem durch die steigenden Ölpreise ausgelöst. | |
Die Erklärung für dieses scheinbar seltsame Phänomen: Das meiste Geld | |
entsteht gar nicht, indem es von den Notenbanken in Umlauf gebracht wird. | |
Stattdessen schöpfen vor allem die privaten Banken das Geld – und zwar in | |
genau jenem Moment, in dem sie Kredite vergeben. Die Kreditmenge schrumpft | |
jedoch, weil Firmen und private Haushalte damit beschäftigt sind, ihre | |
Schulden abzubauen. Selbst ein Leitzins von fast 0 Prozent kann sie nicht | |
bewegen, neue Darlehen aufzunehmen. | |
Es droht also keine Inflation, sondern eine Deflation, weil die Wirtschaft | |
schrumpft. Wieder kommt es zum beschriebenen „Sparparadox“: Sinkende | |
Einkommen und Preise machen es noch schwerer, die Schulden abzubauen. | |
Diesen Teufelskreis kann nur der Staat durchbrechen – mit einem massiven | |
Konjunkturprogramm. | |
Krugman bleibt sich treu. In seinem Blog bei der New York Times fordert er | |
seit Jahren, die Regierung solle die Wirtschaft stärker stützen. Daher | |
bietet das Buch nichts Neues für die, die dem Blog folgen. Für alle anderen | |
ist es eine gute Einführung in keynesianische Theoriemodelle. | |
## Paul : „Vergesst die Krise! Warum wir jetzt Geld ausgeben müssen“. | |
Übersetzt von Jürgen Neubauer. Campus Verlag, Frankfurt 2012, 272 Seiten, | |
24,99 Euro | |
16 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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