# taz.de -- Montagsinterview Janko Lauenberger: „Ich war als Junge ein Großm… | |
> Janko Lauenberger wuchs in einer Sinti-Familie in Berlin-Lichtenberg auf. | |
> Seit seiner Kindheit spielt er in der Band Sinti Swing. Ein Gespräch über | |
> Musik und Sinti in der DDR. | |
Bild: Janko Lauenberger | |
taz: Herr Lauenberger, stimmt es, dass Sie eigentlich Django heißen | |
sollten? | |
Janko Lauenberger: Ja, aber meinen Eltern wurde das von den Behörden der | |
DDR nicht gestattet. Deshalb haben sie sich mit Janko für einen Vornamen | |
entschieden, der wenigstens ein bisschen ähnlich klingt. | |
Was mochten Ihre Eltern so sehr an Django Reinhardt, dass Sie ihr Kind nach | |
ihm benannten? | |
Mitte der sechziger Jahre kam in der DDR die erste Platte von ihm auf den | |
Markt. Die hatten meine Eltern natürlich sofort. Das hat alles verändert. | |
Es war genau die Musik, die sie in meiner Familie spielen wollten. Django | |
Reinhardts Art, Jazz und Swing zu spielen und mit der Musik der Roma zu | |
vermischen, ist etwas ganz Besonderes. Wir Sinti haben das Gefühl, dass uns | |
seine Musik extrem entspricht – weil wir unsere Kultur immer mit der | |
vermischt haben, in der wir leben. | |
Wie sind Sie selbst zur Musik gekommen? | |
Sinti mussten seit dem Mittelalter auf Berufe zurückgreifen, die wir | |
ausüben durften und auf die Reise mitnehmen konnten. Es ist also gar nicht | |
so originell, dass meine Eltern beide aus Musikerfamilien kommen. Die Musik | |
war immer präsent, und ich bin da reingewachsen. Wenn die Familie abends | |
zusammenkam, wurde musiziert. Die Gespräche drehten sich auch immer um die | |
Musik. Ich habe mir oft die Gitarre meines Vaters geschnappt und mir in | |
meinem Zimmer eine Bühne aufgebaut. Die Kochtöpfe waren mein Schlagzeug, | |
der Besenstiel war mein Mikro und das Bügelbrett war mein Keyboard. Und | |
dann habe ich laut Michael Jackson aufgedreht. | |
Was sind Ihre ersten Erinnerungen an die Band Sinti Swing, die von Ihren | |
Onkeln und Ihrem Vater gegründet wurde? | |
Als Sinti Swing geründet wurde, war ich noch klein. Ich war immer bei den | |
Proben und habe zugehört. Dann hat mir mein Vater ein, zwei Griffe gezeigt, | |
sodass ich ein paar Lieder begleiten konnte. So war ich schon als Junge mit | |
zehn oder elf Jahren auf der Bühne. Ich war sofort infiziert. | |
Wie war das, als kleiner Junge auf der Bühne zu stehen? | |
Ich erinnere mich genau an den ersten Auftritt. Plötzlich fühlte sich alles | |
an wie in Zeitlupe. Meine Finger wurden steif. ich war wie blockiert vor | |
lauter Aufregung. Es hat viele Jahre gedauert, bis das besser wurde. | |
Heute spielen Sie die Leadgitarre bei Sinti Swing. Wie kam es dazu? | |
Ich habe viel von meinem Vater und den Onkeln gelernt, später habe ich dann | |
von Ferenc Snétberger Unterricht bekommen. Ferenc ist ungarischer Roma, ein | |
fantastischer Gitarrist. Ich bin ihm zum ersten Mal auf der Beerdigung | |
eines Onkels begegnet, der einer der Ersten war, der nach dem Lager wieder | |
angefangen hatte, Musik zu machen. Ferenc hat auf seiner Beerdigung | |
gespielt. Das war so offen und so frei, dass es für mich wie eine Eingebung | |
war. Trotzdem hat es lange gedauert, bis ich so viel durfte bei Sinti | |
Swing. Ich bin ja schon mit 16 richtig bei der Band eingestiegen. Erst mit | |
23 habe ich die Leadgitarre übernommen, als mein Onkel gestorben ist. | |
Haben Sie je darüber nachgedacht, Musik zu studieren? | |
Ich habe mit vielen Absolventen und Lehrern von Musikhochschulen gespielt, | |
die mir immer gesagt haben, ich soll da nicht hingehen, sondern einfach | |
Noten lernen. Mit 20 wäre ich gern auf so eine Schule gegangen, damals | |
hätte ich alles dafür getan. Aber dazu war ich in der Schule zu schlecht | |
gewesen. Ich bin also Autodidakt. Erst jetzt versuche ich, Noten zu lernen. | |
Das ist sehr schwer. | |
Ich habe gehört, dass Sie einen sehr lustigen Spitznamen haben. | |
Ja, Stachel. Auf Romanes heiße ich Stachlengro, also Igel. Meine Mutter hat | |
mich so genannt, weil mir als Kind immer die Haare zu Berge standen. | |
Warum wollen eigentlich die meisten Sinti und Roma nicht, dass | |
Außenstehende ihre Sprache lernen? | |
Das ist Selbstschutz. Wir haben nicht viel. Wir haben kein Land, keine | |
Schrift, keine Bücher. Wir haben nur, wie wir miteinander reden und | |
umgehen. Das wollen wir nicht preisgeben. | |
Sprechen Sie zu Hause ausschließlich Romanes miteinander? | |
Gemischt, aber mehr Romanes als Deutsch, ja. Ich habe erst mit vier Jahren | |
Deutsch gelernt. Und mit meiner Tochter spreche ich ausschließlich Romanes. | |
Noch einmal zurück zu Ihrem Namen: Gibt der Name Auskunft über Ihren | |
Charakter? | |
Stachelig, widerspenstig, das bin ich wohl. Ich war unerträglich frech als | |
Junge, ein Großmaul. Das gibt richtig gute Musik. | |
Möchten Sie über Ihre Erfahrung sprechen, als Sie ins Kinderheim mussten? | |
Lieber nicht. Das war bloß ein halbes Jahr. Es war ein Schock, aber es tut | |
heute nicht mehr weh. Es hat mich nicht verändert. Ich habe es ein paar Mal | |
erzählt, genug darüber nachgedacht und es abgehakt. Ich bin nicht der Typ, | |
der gern rumheult. | |
Waren Sie im Heim, weil Sie Sinto sind? | |
Nein, ich war im Heim, weil meine Eltern einen Ausreiseantrag gestellt | |
haben. So wurden damals viele unter Druck gesetzt, die man nicht ziehen | |
lassen wollte. | |
Sie sind ja, indem Sie ein Sinto sind, kein typischer Ostdeutscher. | |
Gute Sache, ja. | |
Fühlen Sie sich trotzdem als Ostdeutscher verletzt, wenn nun ein | |
westdeutsches Medium wie die taz wissen will, wie schlimm es in der DDR war | |
– auch in Bezug auf die Diskriminierung der Sinti? | |
Natürlich, denn für uns war Rassismus in der DDR nicht schlimmer als für | |
andere, nur anders. Als Kind fand ich es natürlich schlimm, dass ich immer | |
auf meine Hautfarbe angesprochen wurde. Aber Kinder sind eben so. Außerdem: | |
Die Leute waren andere Hautfarben in der DDR einfach nicht gewohnt. Da | |
wurde schon oft ängstlich reagiert und nicht so neugierig, wie ich mir das | |
gewünscht hätte. In vielen Dörfern oder Kleinstädten Im Osten wird man | |
heute immer noch schlimm angemacht. Ich weiß auch nicht, was mit den Ossis | |
los ist. | |
Und wie ist es bei den Wessis? | |
Da passieren auch komische Sachen. Neulich haben wir zum Beispiel auf einem | |
Golfertreffen gespielt. Da tanzte dann so ein betuchter Herr mit seiner | |
Dame, die ihre Handtasche in meiner Nähe abgelegt hatte. Und dann guckte | |
der immer so komisch. Plötzlich schnappt er sich die Handtasche, klemmt sie | |
seiner Tanzpartnerin unter den Arm und dreht sie dann beim Tanzen ganz | |
elegant von mir weg. Das knallt manchmal noch, das tut weh. Wahnsinn. Zum | |
Glück kann ich jetzt darüber lachen. | |
Einerseits war die Gruppe Sinti Swing in der DDR anerkannt, Sie sind sogar | |
einige Male im Fernsehen aufgetreten. Andererseits hatte auch dieser | |
angeblich so antifaschistische Staat Probleme, die Sinti und Roma als | |
Verfolgte des Naziregimes anzuerkennen und zu entschädigen. Empfinden Sie | |
das nicht als Widerspruch? | |
Die DDR war ein einziger Widerspruch. Die haben sich halt gern geschmückt | |
mit den Sinti. Aber wenn es ums Eingemachte ging, wenn es Probleme gab, | |
dann waren sie sofort überfordert. | |
Wünschen Sie sich trotzdem noch manchmal die DDR zurück? | |
Jaaa! | |
Warum? | |
Es ist ein Klischee, aber es ist trotzdem was Wahres dran: Die Leute sind | |
netter miteinander umgegangen. Als Kind in der DDR aufzuwachsen, das war | |
richtig toll. Ich war 13, als die Mauer fiel. Das war genau zum richtigen | |
Zeitpunkt. Wäre sie später gefallen, wäre es wahrscheinlich schwierig für | |
mich geworden. Ich wäre denen zu rebellisch gewesen. | |
Und wie haben Sie den Mauerfall empfunden? | |
Das war super. Unsere Familie war auf einen Schlag wieder doppelt so groß | |
wie vorher. Es gab ja nur 300 Sinti im Osten. Wir waren hier in Berlin die | |
Kernfamilie. Dann gab es noch eine große Familie in Halle und eine weitere | |
in Thüringen. | |
Ist Ihre Familie sehr groß? | |
Meine Mutter hatte sieben Geschwister, mein Vater drei im Osten und vier | |
Halbgeschwister im Westen. Mein Großvater war zweimal verheiratet. Ich | |
selbst habe einen Bruder und eine Schwester, dafür aber einen Haufen | |
Cousins und Cousinen. | |
Haben Sie gute Erinnerungen an Ihre Großeltern? | |
Meine Großeltern mütterlicherseits waren mir sehr wichtig. Das waren Kurt | |
und Helene Ansin. Helene Ansin ist das Vorbild für Kaula aus dem Kinderbuch | |
„Ede und Unku“ von Grete Weiskopf. Das Buch war in der DDR sehr berühmt. Es | |
wurde auch verfilmt. Meine Großmutter war eine der elf Sinti, die in diesem | |
Buch beschrieben werden. Sie war die einzige von ihnen, die Auschwitz | |
überlebt hat. | |
Und Ihr Großvater? | |
Mein Großvater war der einzige Überlebende von elf Geschwistern. Nur seine | |
Mama und er sind übrig geblieben. Das muss man sich vorstellen: Die wollten | |
uns wirklich ausradieren. Mein Großvater war später ein gebrochener und | |
kaputter Mann. Aber wir sind ein sehr stolzes Volk. So war es das Ziel | |
meines Großvaters, wieder einen großen Clan aufzubauen – auf dass wir | |
wieder ganz viele werden. | |
Hat er das geschafft, obwohl er selbst kein glücklicher Mann mehr werden | |
konnte? | |
Mein Opa hatte trotzdem viel Kraft. Er war der Kopf und hat alles | |
zusammengehalten. Das hat er meiner Mutter vererbt. Meine Mutter ist | |
hellwach. Und sie trägt unsere Familie. | |
Wo liegen denn die Unterschiede zwischen Sinti und Deutschen, wenn es um | |
die Familie geht? | |
Bei uns ist es lauter. Ich will wirklich nicht prahlen, aber bei uns ist es | |
auch herzlicher. Wir gehen ehrlicher miteinander um, gehen tiefgründiger | |
aufeinander ein. Wir halten mehr zusammen als viele deutsche Familien. Ich | |
möchte ein Beispiel erzählen: Wenn ich als Kind bei einem deutschen | |
Schulfreund eingeladen war, dann konnte es passieren, dass die Eltern nicht | |
zu Hause waren und dass die Küche und das Wohnzimmer verschlossen waren. | |
Ich konnte mir das als Kind überhaupt nicht erklären. Manchmal wurde ich | |
auch weggeschickt, wenn das Abendessen fertig war. So etwas gab es bei | |
meiner Mutter nicht. Die wollte ja auch wissen, mit wem ich so befreundet | |
bin. Und wo lernt man jemanden besser kennen als beim Essen? | |
Wovon träumen Sie als Musiker? | |
Ich bin schon mittendrin in meinem Traum. Ich habe meine Berufung zu meinem | |
Beruf gemacht, ich bin mit tollen Leuten zusammen und lerne ständig neue | |
tolle Leute kennen. Und schöne Träume können nur noch besser werden. | |
Können Sie von der Musik leben? | |
Inzwischen schon, ja. Zumindest meistens. Wir treten ja bis zu 150-mal im | |
Jahr auf. | |
Aber nicht nur mit Sinti Swing, richtig? | |
Ich habe noch eine andere Band, die Gipsy Gentlemen. Da sind Pan Marek aus | |
Weißrussland und Eugen Miller aus Kasachstan dabei. Wir spielen auch Musik | |
von Django Reinhardt, allerdings eher spätere Sachen, als er viel mit | |
elektrischen Gitarren gespielt hat. Das war wilder, schneller und | |
rhythmischer, mehr Richtung Bebop. Es ist lustig: Pan und Eugen haben in | |
ihrer Heimat viel Django Reinhardt gehört, hatten aber trotzdem nie die | |
Gelegenheit, mit Sinti zu spielen. Dort wird eher Balkan-Musik gespielt. | |
Wie unterscheidet sich die Musik der Sinti und Roma? | |
Wir Sinti sind westlicher. Wir haben unsere Musik immer stärker vermischt | |
mit der Musik der Region, in der wir gerade leben. | |
Sie mögen keine Folklore? | |
Nein, überhaupt nicht. Ich mag es, wenn in der Musik viele Einflüsse | |
zusammenkommen. Django Reinhardt ist absolut mein Ding. Aber ich habe auch | |
mal das Bedürfnis, andere Musik zu machen. Ich liebe alle Arten von Jazz, | |
nicht nur den von Django Reinhardt. | |
Und schreiben Sie auch selbst Songs? | |
Ja, aber die kommen mir nach einer Weile immer so belanglos vor. Es ist | |
schwer, einen Song für die Ewigkeit zu schreiben. Also: Darauf warte ich | |
noch ein bisschen. | |
Wie wird es weitergehen mit Ihnen als Musiker? | |
Sinti Swing treten leider nur noch relativ wenig auf. Das ist schade. Ich | |
hoffe, wir werden noch ein paar Jahre spielen, aber die meisten sind ja | |
nicht mehr ganz jung. Es geht ja jetzt schon los, dass die alten Herren | |
keine Lust mehr haben, weite Touren zu machen. Neulich wurden wir zum | |
Beispiel nach Augsburg eingeladen. Das kann man sich gar nicht vorstellen, | |
was da los war wegen dieser Fahrt. Die wollen nicht mehr. | |
Und was machen Sie, wenn Sie selbst mal alt sind? | |
Ich verdränge das. Ich habe noch nie Geld in irgendeine Rentenversicherung | |
eingezahlt und werde das auch nie tun. Ich denke, ich werde so lange | |
spielen, bis ich tot umfalle. | |
19 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
Susanne Messmer | |
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wochentaz | |
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