# taz.de -- Bonaparte-Album „Sorry, We're Open“: Exporteure des Berlin-Gef�… | |
> Bonapartes Ruf als Liveband ist ungebrochen, ihre neue Platte sieht | |
> Leader Tobias Jundt als Visitenkarte. Das Geld wird mit zweistündigen | |
> Bühnenschlachten verdient. | |
Bild: Transporteure des Hauptstadt-Feelings: Bonaparte im Video zur neuen Singl… | |
Berlin war schon sehr geil. Davon erzählen die Veteranen, die die Bar25 | |
noch selbst erlebt haben. Davon träumen die jungen Spanier, die heute in | |
Horden durch Kreuzberg streichen. Davon zehren die Imagekampagnen, die in | |
den Katakomben des Roten Rathauses ausgeheckt werden. Davon leben | |
Bonaparte. Denn niemand sonst bringt dieses Gefühl so auf die Bühne wie die | |
Band um Tobias Jundt. So grell, so bunt, so intensiv, so verschwitzt. | |
Ja, Berlin war geil. Ist Berlin immer noch geil? Keine Ahnung, sagt Tobias | |
Jundt. Wird schon so sein. Er kann das nicht gut beurteilen. Erstens ist er | |
Schweizer, zweitens mittlerweile Familienvater, und drittens gibt er | |
eigentlich Interviews, um über „Sorry, We’re Open“, das neue Album seiner | |
Band, zu sprechen. Das Gespräch findet statt im Studio von Bonaparte, hier | |
wurde das Album aufgenommen. | |
Vor allem aber liegen die mit Instrumenten vollgestopften Räume in einem | |
heruntergekommenen Haus, das als letztes in der mittlerweile durchsanierten | |
Berliner Mitte wohl noch von den wilden Nächten Mitte der nuller Jahre | |
erzählen könnte. Klar doch, meint Jundt, Berlin wird schon noch aufregend | |
sein. Aber, sagt er: Alles hat seine Zeit. | |
Die Zeit, in der Berlin die geilste Stadt der Welt und Bonaparte die | |
geilste Band Berlins waren, liegt nicht lange zurück. 2006 kam Jundt nach | |
einer Straßenmusikodyssee durch halb Europa in der deutschen Hauptstadt an. | |
Im Gepäck eine Gitarre, eine Idee von einer Band und ein paar Freunde, die | |
er auf dem Weg aufgelesen hatte. Aus diesem Nukleus entwickelte sich durch | |
beständiges öffentliches Proben in der Bar25 und anderen angesagten Clubs | |
ein multikulturelles Kollektiv aus Musikern, Tänzern und sonstigen | |
Kreativen. | |
## Auch Quentin beeindruckt | |
Das brachte schließlich eine Show auf die Bühne, die zwischen Rockkonzert | |
und Rave, Kunstperformance und Chaos, Mummenschanz und Orgie hin und her | |
taumelte, dabei beständig alle Grenzen verschob, der Legende nach sogar den | |
einmal anwesenden Quentin Tarantino beeindruckte und Bonaparte schnell | |
einen geradezu mythischen Ruf als Liveband eintrug. Von diesem Ruf lebt die | |
Band nicht nur bis heute, sie reproduziert ihn auch fleißig, indem sie ihre | |
Freakshow immer weiter entwickelt, mit neuen Masken, Kostümen und Gimmicks | |
ausbaut. | |
Das neue Album, das mittlerweile dritte der Band, steckt zwar wieder voller | |
mitreißendem Electro-Rumpelrock, ist aber bloß eine Dreingabe heutzutage. | |
Eine Visitenkarte, die ein Künstler herumreichen kann. „Platten sind, wenn | |
es gut läuft, selbsttragend“, erklärt Jundt, „mit Platten verdienst du nur | |
noch Geld, wenn du Mainstream machst oder ganz klar in einer kleinen Nische | |
bist, die subventioniert ist wie Jazz oder Klassik. | |
Gäbe es den Livemarkt nicht, gäbe es Bonaparte auch nicht.“ Andere | |
Einnahmemöglichkeiten wären Lizenzierungen für die Werbung, die aus | |
Imagegründen für eine Band wie Bonaparte, die dem Konsumenten einen | |
gewissen Distinktionsgewinn verspricht, oft ausscheiden, oder | |
Merchandising, für das man aber in finanzielle Vorleistung gehen muss und | |
dann das Risiko trägt, auf den T-Shirts sitzen zu bleiben. Ihr Geld | |
verdient eine Band in diesen Zeiten, in denen die Musikindustrie einen | |
gewaltigen Wandel durchläuft, vor allem mit Liveauftritten. | |
Das geht mittlerweile vielen Bands so, aber Bonaparte sind für dieses | |
Geschäft besonders gut aufgestellt. Denn sie bieten auf der Bühne nicht nur | |
ein zumindest in Deutschland einzigartiges Spektakel, bei dem, wie selbst | |
die ehrwürdige Zeit schon lustvoll schaudernd feststellte, „Schweiß und | |
Kunstblut in Strömen fließen“, sondern exportieren außerdem erfolgreich in | |
die letzten Winkel des deutschen Sprachraums jenes ganz bestimmte | |
Berlin-Gefühl, aus dem bis heute die Sehnsucht der Easyjet-Touristen gebaut | |
ist. | |
## „Jede Show ist eine Schlacht“ | |
Ja, gibt der mittlerweile 34-jährige Jundt zu, seine Band sei „ein | |
Aushängeschild dieser Kultur“, und „die zwei Stunden Dringlichkeit, | |
Grenzarbeit und Ekstase“, die das von ihm regierte Kollektiv auf der Bühne | |
inszeniert, „das ist schon eine ganz schöne Explosion, die dem nahe kommt, | |
wie es damals in der Bar25 oder anderswo in Berlin abging – aber da ging es | |
dann vielleicht vier Tage am Stück so ab.“ | |
Ein zweischneidiges Schwert: Denn nicht nur muss sich Jundt Gedanken | |
machen, dass seine Band nun, da sie wächst, solche Explosionen auch in | |
größeren Hallen noch zu zünden vermag. Damit die Geschäftsgrundlage | |
erhalten bleiben kann, erklärt der zur plakativen Aussage neigende Sänger | |
und Gitarrist, müssen er und seine Mitstreiter die Auftritte mit | |
erheblicher Intensität absolvieren: „Jede Show ist eine Schlacht.“ | |
Aber diese Intensität sorgt dafür, dass den Beteiligten „schon nach zwei | |
Tagen alle Knochen wehtun“, klagt der überaus schmächtige Jundt, „aber wir | |
sind uns dessen bewusst, dass wir den Leuten was bieten müssen“. Nach wie | |
vor gibt es für ihn zwar „nichts Tolleres, als in einem Club zu spielen, in | |
dem dir die Leute auf den Füßen stehen und alle eklig verschwitzt sind“. | |
Aber Jundt, der schon als „Zirkusdirektor“ (Berliner Zeitung), | |
„Banddiktator“ (taz) und „Sklaventreiber“ (Eigeneinschätzung) bezeichn… | |
wurde, dirigiert eben nicht nur eine vierköpfige Rockband, sondern | |
zusätzlich vier Tänzer und eine bisweilen unüberschaubare Anzahl an | |
zusätzlichem Kreativpersonal. | |
Die „altmodische Rock-’n’-Roll-Entourage“, wie Jundt sie nennt, besteht… | |
Konzertreisen aus 18 Menschen, darunter „eine Frau, die nur den ganzen Tag | |
Kostüme wieder zusammennäht“. Das hat seinen Preis. Und macht das | |
mittelständische Unternehmen Bonaparte zum ökonomischen Risiko. „Natürlich | |
ist es ein finanzieller Wahnsinn“, sagt Jundt, „es hatte schließlich einen | |
Grund, warum sich die Big Bands aufgelöst haben.“ | |
Die waren nicht mehr rentabel, als das Publikum in den vierziger Jahren | |
genug hatte vom Swing, und verschwanden wie lange vor ihnen die Dinosaurier | |
und lange nach ihnen das geile Berlin. Aber das bringen dafür Bonaparte | |
immer wieder verlässlich für zwei Stunden auf die Bühne. | |
Bonaparte: „Sorry, We’re Open“ (Staatsakt/Warner) | |
21 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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