# taz.de -- 25.000 Fans bei Musikfestival Melt: Bis die Ohrläppchen vibrieren | |
> Beim Melt!-Festival feierten 25.000 Besucher in einem stillgelegten | |
> Braunkohlerevier trotz Sturm und Regen zu Electropop, Indierock und | |
> Werbung. | |
Bild: Beim Melt!-Festival kann man sich vom Panorama erschlagen lassen - oder v… | |
Ziemlich zerstört kommen drei junge Schweden am Samstagvormittag aus ihrem | |
Zelt gekrochen. Tiefe Augenringe zeugen von Schlafmangel, und die Frisur | |
ist ihnen völlig abhandengekommen. Macht nichts, Bier auf, und weiter | |
gehts. "Das ist unser erstes Festival im Ausland. Unglaublich, was für | |
tolle Bands hier spielen und wie genial diese Location mit den bunt | |
beleuchteten Baggern ist", erzählt der 18-jährige Jisper. Das Trio ist in | |
die sachsen-anhaltische Provinz gekommen, um Animal Collective, Bloc Party | |
und Oasis zu sehen. "In Schweden gibt es so eine Ansammlung von tollen | |
Bands nicht, also mussten wir uns auf die Reise machen", so Jisper. | |
Das Publikum des im stillgelegten Braunkohletagebau "Ferropolis" nördlich | |
von Leipzig stattfindenden Melt!-Festivals wird immer internationaler. Fast | |
ein Drittel der rund 25.000 Besucher kamen bei der zwölften Auflage aus dem | |
Ausland. Auf sechs Bühnen spielten über 100 Künstler: Elektro meets | |
Gitarrensound - das alles von absoluten Newcomern bis hin zu | |
alteingesessenen Größen des Musikbusiness. | |
Das Subkultur-Biotop | |
Die Verschmelzung der Stile ließ sich auch am Publikum erkennen. Vom | |
klassischen Indiefan mit enger Jeans und weit ausgeschnittenen T-Shirt bis | |
hin zum Technofreak in rosa Turnhose und grellgrüner Plastejacke war das | |
ganze Subkultur-Biotop vertreten. Sehen und gesehen werden, besonders der | |
zwei Kilometer lange Weg vom Zeltplatz Richtung Festivalgelände wirkte wie | |
ein Catwalk der Eitelkeiten. Wer Braun oder Grau trug, fiel auf in dem | |
farbigen Meer der Extravaganz. Auch in diesem Jahr waren bunte | |
Sonnenbrillen ein Must, aber auch knallige Gummistiefel wurden wie Orden | |
vorgeführt. Man ging in Leggins und trug Klapsbänder in den Haaren. | |
Erstes Highlight am Freitagabend waren die norwegischen Elektroveteranen | |
von Röyksopp, die mit Songs ihres neuen, etwas partytauglicheren Albums | |
"Junior" und alten Hits wie "Poor Leno" oder "Remind me" für Jubelschreie | |
und wilde Tanzorgien vor der völlig überfüllten Mainstage sorgten. | |
Weniger euphorisch war die Stimmung etwas später im "Soundwave Tent": Das | |
aktuell gehypte britische Elektropop-Duo La Roux lieferte eine solide Show | |
ab. So richtig sprang der Funke aber nicht auf das schwitzende Publikum | |
über. Die Synthpop-Songs, aber auch Sängerin Elly Jackson in - was sonst - | |
roten Leggins und mit roter Haartolle ließen Erinnerungen an die 80er | |
aufkommen. | |
Ja und dann funkte der Regen dazwischen, begleitet von heftigen Sturmböen. | |
Während sich viele unters Dach der Gemini Stage flüchteten, tanzten einige | |
gegen den Wettergott an. "Ist das alles?", schrie ein ekstatisch hüpfendes | |
Mädchen gen Himmel und riss die Arme in die Luft. Gegen fünf Uhr morgens | |
ließen die Veranstalter das Gelände räumen, Auftritte von Moderat und | |
Trentemøller wurden abgesagt. "Stromausfälle und die Wassermassen ließen | |
keine andere Wahl", sagte später Stefan Lehmkuhl, künstlerischer Leiter des | |
Festivals. Die Stimmung blieb trotzdem ausgelassen. Überall traf man auf | |
leicht verwirrte Personen, stolperte über nasse Schlafsäcke und weggewehte | |
Zelte. | |
Nach einer kalten, kurzen Nacht, in der einige ihr Zelt von innen | |
festhielten, um es am Wegfliegen zu hindern, begann auch der Samstag | |
regnerisch. Mit Sonnenbrillen versuchte man, die Spuren des Abends zu | |
verbergen, mit Bier oder anderen Substanzen sich auf den Abend | |
vorzubereiten. | |
Hypnotisierende Visuals | |
Der begann mit dem US-amerikanischen Quartett Animal Collective, das kaum | |
bestimmbare, experimentelle Sounds über die Mainstage jagte, die die | |
Ohrläppchen zum Vibrieren brachten. Hypnotisierende Visuals versetzten das | |
Publikum in kollektive Trance. Während Oasis und Bloc Party als Headliner | |
die Masse wie gewohnt begeisterten, sorgten nachts die Berliner Trashpunker | |
von Bonaparte für Zirkusatmosphäre im Soundwave Tent. Bis zu zehn Künstler, | |
als Hasen und Astronauten verkleidet oder einfach halbnackt hüpfend, | |
feierten sich selbst, das Publikum dankte es mit wilden Hüpforgien. | |
Bis in den Morgen tanzten die Hartgesottenen dann zu den Sets der Berliner | |
Techno-DJs Ellen Alien und Boys Noize. Auf der Tanzfläche dominierten | |
starre Blicke und Menschen mit verdrogtem Gesichtsausdruck. | |
Melt-Organisator Stephan Lehmkuhl zog ein positives Fazit: "Tolles und | |
gutaussehendes Publikum, kaum Beschwerden und grandiose Acts", sagte er. | |
Und tatsächlich: Die Macher haben aus manchen Fehlern des letzten Jahres | |
gelernt. Es gab mehr Shuttlebusse und keine Schlangen bei der | |
Bändchenausgabe. Dass die Besucher noch immer von Werbebotschaften | |
erschlagen werden, nimmt man als notwendiges Übel gern in Kauf. | |
Auch die Schweden waren begeistert. "Wir kommen wieder, egal, wie das | |
Wetter wird", sagte Jisper bei der Verabschiedung. | |
21 Jul 2009 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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