Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Auftakt im Lena-Prozess: Offene Fragen zu Staatsversagen
> Am Montag begann der Prozess gegen den 18-Jährigen, der eine Elfjährige
> aus Emden vergewaltigt und getötet haben soll. Behörden hatten Hinweise,
> doch die versickerten. Wann, wo und wieso, ist noch offen.
Bild: Vor dem Landgericht Aurich: Sie alle wollen einen der 50 Plätze im Proze…
HANNOVER taz | Hätte der Tod der elfjährigen Lena aus Emden verhindert
werden können? Diese Frage steht auch zu Beginn des Mordprozesses vor dem
Landgericht Aurich noch im Raum. Angeklagt ist ein 18-Jähriger, der sie
Ende März vergewaltigt und getötet haben soll. Diversen Behörden war der
mutmaßliche Täter über Monate bekannt – es gab Hinweise. Was damit
passierte, arbeiten Staatsanwaltschaft und Polizei auch fünf Monate nach
dem Tod der Elfjährigen noch auf.
Zwei Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt führt die
Staatsanwaltschaft in Aurich gegen Polizeibeamte der Polizeiinspektion
Aurich. Die Polizeidirektion Osnabrück leitete schon im April
Disziplinarverfahren gegen acht Polizeibeamte aus Emden und Aurich ein. Ein
Ende der Ermittlungen ist weder bei der Staatsanwaltschaft, noch bei der
Polizei abzusehen. „Der ganze Komplex“ müsse intern aufgearbeitet werden,
sagt ein Polizeisprecher in Osnabrück.
Und polizeiintern ist einiges angefallen: Eine Woche nach dem Tod der
Elfjährigen wurde der 18-Jährige festgenommen, der die Tötung des Mädchen
umgehend gestand. Zuvor hatte die Polizei bereits einen anderen
vermeintlichen Tatverdächtigen präsentiert, Niedersachsens Innenminister
Uwe Schünemann (CDU) ihre „hochprofessionelle Arbeit“ gelobt. Drei Tage
lang hielt die Polizei einen 17-jährigen Unschuldigen fest, einen Tag nach
dessen Freilassung verhaftete sie den 18-Jährigen, der jetzt wegen Mordes
vor dem Gericht in Aurich steht.
Der war der Polizei da schon über ein halbes Jahr bekannt: Im September
2011 zeigte ihn sein Ziehvater wegen des Besitzes von Kinderpornographie
an, seine Festplatte reichte er mit ein. Der mutmaßliche Täter war da
bereits in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Aschendorf in Behandlung, auf
eigenen Wunsch. Im November 2011, Tage nach seiner Entlassung, zeigte er
sich zudem selbst bei der Polizei Emden an: Er sammle nicht nur
Kinderpornos, sondern habe selbst Nacktfotos von einer Freundin seiner
kleinen Schwester gemacht, gab er zu Protokoll. Mit der Anzeige wolle er
aktiv gegen seine Neigung vorgehen.
Die Emder Polizei leitete die Anzeige weiter nach Aurich, von dort ging sie
zur Zentralstelle Kinderpornografie der Staatsanwaltschaft Hannover. Die
erließ einen Durchsuchungsbeschluss und schickte ihn zurück nach Aurich.
Umgesetzt wurde er nie.
Am Tag nach seiner Selbstanzeige soll der 18-Jährige dann versucht haben,
eine Joggerin zu vergewaltigen. Auch das ist ein Teil der Anklage, die am
Montag verlesen wurde. Entsprechende DNA-Spuren konnten ihm nach seiner
Verhaftung im Fall Lena nachgewiesen werden – da war er erstmals
erkennungsdienstlich behandelt worden. Nach der Selbstanzeige hatten ihn
die Polizeibeamten nach Hause geschickt. Ohne wie vorgeschrieben
Fingerabdrücke und Speichelprobe zu nehmen.
Überprüft wird von der Auricher Staatsanwaltschaft auch der Leiter der
Kinder- und Jugendpsychiatrie Aschendorf, wo der heute 18-Jährige in
Behandlung war. Gegen ihn läuft ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung
durch Unterlassen.
Man mache sich „keine Vorwürfe“, hatte der Klinikleiter selbst gleich nach
der Verhaftung seines Ex-Patienten verkündet. Der junge Mann habe wie
empfohlen Selbstanzeige erstattet, eine Straftat habe man nicht für möglich
gehalten. Zudem sei man nach der Entlassung gar nicht mehr zuständig
gewesen: Er wurde während der Behandlung volljährig, danach ende das
Angebot seiner Klinik, erklärte der Leiter.
Die Staatsanwaltschaft Aurich hingegen prüft derzeit, ob den Hinweisen auf
die pädophile Neigung des Patienten angemessen nachgegangen wurde und ob
die Klinik eine Nachfolgeunterbringung hätte regeln müssen, wie ein
Sprecher erklärt. Der Leiter selbst hat bereits angegeben, nach der
Entlassung keinen Kontakt mehr zu dem Ex-Patienten gehabt zu haben. Beim
Entlassungsgespräch aber seien Eltern wie Jugendamt dabei gewesen.
Dort allerdings hat man eine Betreuung bisher nicht bestätigt. Der
zuständige Landkreis Aurich äußerte sich am Montag auf taz-Anfrage nicht.
Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht in Richtung Jugendamt.
20 Aug 2012
## AUTOREN
Teresa Havlicek
## TAGS
Mord
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil im Mordfall Lena gefällt: Organisiert Weggesehen
Am Vormittag urteilte ein Gericht über den mutmaßlichen Mörder der
11-jährigen Lena. Seine Geschichte strotzt nur von Fehlern der Polizei.
Sexuelle Gewalt: Wir, das Täterumfeld
Täglich landet ein neuer Fall sexualisierter Gewalt vor Gericht: Das ist
kein Sommerthema, sondern ein sozialer Tatbestand – den es zu verstehen
gilt.
Lynchaufruf im Mordfall Lena: Kein Exempel, kein normaler Prozess
Ein Jugendlicher, der im Mordfall Lena zur Lynchjustiz gegen einen
irrtümlich Verdächtigten aufrief, ist zu zwei Wochen Arrest verurteilt
worden. Beim Opfer hat er sich bereits entschuldigt.
Pannenserie im Mordfall Lena: Psychiatrie-Chef will nicht schuld sein
Der mutmaßliche Mörder der elfjährigen Lena aus Emden habe sich bei einer
psychiatrischen Verhandlung unauffällig verhalten, sagt der Chefarzt.
Inzwischen wird gegen vier Polizisten ermittelt.
Ermittlungen im Mordfall Lena: Im Sande verlaufen
Die Liste der Ermittlungspannen rund um den Mordfall Lena ist lang.
Anzeigen gegen den mutmaßlichen Täter gingen unter, ein
Vergewaltigungsversuch blieb unerkannt.
Mord in Emdener Parkhaus: Diesmal wohl der Richtige
Ein festgenommener 18-Jähriger gesteht, das 11-jährige Mädchen in Emden
umgebracht zu haben. Nach einem Lynchaufruf gegen den zuerst Verdächtigten
gibt es Kritik.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.