# taz.de -- Lynchaufruf im Mordfall Lena: Kein Exempel, kein normaler Prozess | |
> Ein Jugendlicher, der im Mordfall Lena zur Lynchjustiz gegen einen | |
> irrtümlich Verdächtigten aufrief, ist zu zwei Wochen Arrest verurteilt | |
> worden. Beim Opfer hat er sich bereits entschuldigt. | |
Bild: „Alle zu den Bullen“, schrieb der Mann und meinte diese Polizeiwache. | |
EMDEN taz | Saal 14 des Jugendschöffengerichts in Emden ist am | |
Mittwochmorgen fast bis auf den letzten Platz besetzt. Etliche Journalisten | |
sind gekommen, um die Verhandlung gegen den 18-jährigen Auszubildenden | |
wegen des Aufrufs zu einer Straftat zu verfolgen. Er hatte nach dem Mord an | |
der elfjährigen Lena Ende März bei Facebook gepostet: „Aufstand! Alle zu | |
den Bullen. Da stürmen wir. Lass uns das Schwein tothauen.“ „Das Schwein“ | |
war ein damals zu Unrecht unter Verdacht geratener 17-Jähriger, der auf dem | |
Emder Polizeirevier in Gewahrsam war. Erst später stellte sich heraus, dass | |
er unschuldig war. | |
Da hatten aber schon 20 bis 50 überwiegend Jugendliche – über die Zahl | |
waren sich die beiden Polizisten, die in der Nacht Dienst hatten und als | |
Zeugen geladen waren, nicht einig – eine Nacht vor dem Revier verbracht und | |
vereinzelt waren auch Rufe wie „Gebt das Schwein raus“ zu hören. Von einem | |
Facebook-Lynchmob, der die Wache stürmen wollte, war vielfach in der Presse | |
zu lesen. Die Polizisten fühlten sich aber nicht bedroht und nahmen keine | |
Personalien auf. „Wir können also heute niemanden fragen, ob er wirklich | |
wegen des Aufrufs bei Facebook gekommen war“, sagt Richter Günther | |
Bergholz. Also laute die Anklage auf „erfolglosen Aufruf zu einer | |
Straftat“. | |
Ein Spießroutenlauf in schwarzem Kapuzenpulli und mit blauer Pappmappe vor | |
dem Gesicht vorbei an Kameras, Mikrofonen und Fotoapparaten, eine | |
Verwarnung und zwei Wochen Dauerarrest sind für den 18-Jährigen das | |
Ergebnis. „Das ist kein ganz normaler Prozess, wenn ich mich so umschaue“, | |
sagte Oberstaatsanwalt Klaus Visser. „Aber wer sich in die Öffentlichkeit | |
begibt, muss sich nicht wundern, wenn die Öffentlichkeit sich auch für ihn | |
interessiert.“ Und das helfe sicher auch, dass man den Angeklagten hier | |
nicht wieder sehen werde. | |
Der 18-Jährige ist nicht vorbestraft, hat gestanden und war einsichtig, | |
lobten Polizei und Staatsanwalt, so einen Angeklagten erlebe man selten. | |
„Und Sie sind sicherlich nicht der einzige, der Dinge verbreitet, die er | |
besser nicht verbreiten sollte“, sagte Bergholz. „Aber wir bewegen uns hier | |
im Bereich von Gewalt und Körperverletzung, da kann es nur einen Arrest | |
geben.“ Man wolle kein Exempel statuieren, aber er müsse schon lernen, dass | |
so etwas so gar nicht gehe. | |
## Gutschein für das Opfer | |
Der 18-Jährige hatte sich schon vor der Verhandlung bei dem irrtümlich | |
Verdächtigten entschuldigt, sich mit ihm ausgesprochen, ihm einen Gutschein | |
geschenkt. Zwischen den beiden sei alles in Ordnung, sagte Annemarie | |
Südhoff von der Jugendgerichtshilfe. Sie hatte im Laufe der Ermittlungen | |
mit beiden Jungen Kontakt und sich ein anderes Urteil erhofft. Er sei durch | |
den Mord in seinem kleinen Emden emotional aufgewühlt gewesen und habe sich | |
zu dem Posting hinreißen lassen. | |
„Aus pädagogischer Sicht hat er aber alles gerade gebogen, was er gerade | |
biegen konnte“, sagte Südhoff. Und deswegen seien keine weiteren Maßnahmen | |
erforderlich. „Ich weiß außerdem, dass es weitere Einträge bei Facebook | |
gab, die in eine ähnliche Richtung gingen“, sagte Südhoff. „Hier müssten | |
etliche andere mit auf der Anklagebank sitzen.“ Aber zu diesem Punkt wollte | |
sich niemand recht äußern. Nur so viel: Es werde derzeit in der gleichen | |
Sache gegen andere Facebook-Nutzer ermittelt. | |
30 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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