# taz.de -- Buch über Facebook: Kontrolle ist anderswo | |
> Ein Handbuch über Facebook suggeriert Eltern, sie könnten das Netzwerk | |
> kontrollieren. Es bleibt aber nur eine Anleitung und hilft ihnen nicht, | |
> es zu verstehen. | |
Bild: Was macht mein Kind auf Facebook und was ist das überhaupt? | |
BERLIN taz | Das wurde aber auch Zeit. Seit Jahren warten Eltern. Jetzt ist | |
es endlich da, das gedruckte Benutzerhandbuch für das elektronische | |
Facebook. Endlich können Vati und Mutti nachschlagen, wie sie das | |
Facebook-Profil ihrer Kinder so einstellen können, dass die Seelenerkennung | |
für Dritte nicht so leicht möglich ist. | |
Das Buch von Jöran Muuß-Merholz und Thomas Pfeiffer ist voller guter | |
Ratschläge. In schmeichelndem Ton geben die beiden Autoren Tipps, wie man | |
den Löwen bändigen könnte. Freilich kontrastiert von Zeile 1 an die | |
überpädagogische Beichtstuhlattitüde mit den kalten Praktiken eines | |
börsennotierten Milliarden-Konzerns, Milliarden Nutzern wohlgemerkt. | |
Was ist das Problem an diesem sandkastendidaktisch aufgebauten Buch? Keine | |
Frage, es ist wahnsinnig praktisch. Ein Drittel dürften Screenshots und | |
bunte Kästchen ausmachen. Sie geben die Harmlosigkeit einer | |
Bedienungsanleitung vor. Wie verbirgt man Fotos vor manchen Freunden, wie | |
wird man nicht von Google gefunden und wie geht man mit den Spielen und | |
Anwendungen von Drittanbietern um? Das sollten Eltern (und Kinder) wissen, | |
wenn sie die Pforte zu einem Netzwerk passieren, in dem sich ein Siebtel | |
der Weltbevölkerung virtuell trifft. | |
„Mein Kind ist bei Facebook“ verrät alle kleinen Handgriffe und Kniffe, | |
aber es erklärt praktisch nichts darüber, was Facebook wirklich ist: ein | |
gigantischer Schauplatz menschlicher Eitelkeiten, Emotionen und | |
Erregtheiten. Facebook ist der Turbo der Selbstdarstellung – und der | |
Selbstausbeutung. Facebook krempelt das Leben seiner Nutzer um, es kehrt | |
das Innerste der Seelen nach außen. Facebook ist so sensibel wie ein | |
Poesiealbum. Nur liegt das schöne Buch mit seinem fragilen Inhalt nicht | |
verschlossen im Nachtschränkchen: Das große Buch der privaten Gefühle leakt | |
diese an Freundeskreise zwischen 100 und 100.000 – und manchmal eröffnet es | |
einer Milliarde Menschen den Zugriff. | |
## Sprache trocken wie Pergament | |
„Mein Kind ist bei Facebook“ geht damit auf eine Art um, dass man nicht | |
recht weiß, ob man weinen oder lachen soll. „Viele Freunde zu haben, ist | |
der Traum vieler Teenager“, schreiben die Autoren. Nun hofft man, dass sich | |
die beiden Autoren auch ein paar Gedanken um diese fundamentale Erkenntnis | |
machen. Aber das geschieht nicht, die Freunde-Frage ist keine | |
philosophische, psychische oder soziale bei Muuß-Merholz und Pfeiffer, | |
sondern eine rein technisch-apparative. Und es ist wohl kein Zufall, dass | |
an dieser Stelle die Sprache der beiden Nerds trocken wird wie Pergament: | |
„Allerdings wird eine große ’Freundesschar‘ auf Facebook vom eigenen | |
Freundeskreis durchaus kritisch gesehen. Auch Teenager erkennen, dass | |
niemand 650 ’richtige‘ Freunde haben kann.“ | |
Was raten die Autoren? Erstens: Die Personen in die Freundesliste | |
EINGESCHRÄNKT zu sortieren. Zweitens: „Sprechen Sie mit Ihrem Kind und | |
versuchen Sie herauszufinden, warum Ihr Kind eine hohe Anzahl von Freunden | |
als Anerkennung empfindet – und ob dies nicht eher ein Symptom für ganz | |
andere Sorgen und Nöte ist.“ | |
Das ist eine der Stellen, wo das Facebook-Handbuch versagt: Es suggeriert, | |
dass mit ein, zwei technischen Einstellungen und einem Gespräch mit dem | |
Kind die Sache ins Lot zu bringen ist. Ist sie aber nicht, denn die Droge, | |
mit der Facebook hier operiert, heißt: Aufmerksamkeit. Das, wonach jeder | |
Mensch und besonders jeder Teenager dürstet. Es wäre vermessen von dem | |
klugen Muuß-Merholz, der wunderbare Seminare und Workshops organisieren | |
kann, zu verlangen, er solle dieses Phänomen menschlicher Existenz klären. | |
Aber man kann erwarten, dass er und sein Co-Autor nicht so tun, als wäre | |
mit einem technischen Kniff geholfen. Sondern dass sie es ein einziges Mal | |
nicht in zwei, drei Handkantenschlägen, pardon, Absätzen beenden. Sondern | |
das Problem ernsthaft errichten, ausloten – und diskutieren. | |
## "Das ist der Stoff, der süchtig macht" | |
„Ich muss im Nachhinein schon sagen, dass mir das [Facebook] entglitten | |
ist“, sagt Mira. „Ich habe kein Buch mehr gelesen, nie mehr im Gras | |
gelegen. Und ich war abhängig von den ’Likes‘, also Komplimenten, die ich | |
bekommen habe. Für mein Aussehen, für Fotos, die ich reinstellte, für | |
meinen Status. Das ist der Stoff, der süchtig macht.“ | |
In diesen wenigen Sätzen einer 15-Jährigen, die zusammen mit anderen Teens | |
in der Wochenendausgabe der Süddeutschen kürzlich ihre Erfahrungen mit | |
Facebook erzählte, steckt mehr Erkenntnis als in „Mein Kind ist bei | |
Facebook“. Weil Mira weiß, um was es geht: Anerkennung. An dieser Stelle | |
des Registers steht bei Muuß-Merholz und Pfeiffer: Anmeldung. | |
Die Verfehlungen des Facebüchleins reichen weit. Denn die Anmaßung, | |
Facebook ließe sich unter Kontrolle bringen, ist brandgefährlich. | |
Wahrscheinlich kennen die Autoren das „Kontroll-Paradoxon“ der Psychologen | |
Brandimarte, Acquisti und Loewenstein nicht. Die Forscher haben das | |
Phänomen beschrieben, dass Probanden dann bereit sind, mit intimen | |
Ansichten und Geständnissen umso freizügiger umzugehen, wenn man ihnen | |
versichert, sie hätten die Sache unter Kontrolle – und sei es nur ein | |
bisschen. Die Studie ist neu, aber dieselben Ergebnisse haben schon die | |
Forscher des Robert-Konsortiums erzielt, die riskantes Verhalten von | |
Internetnutzern untersucht haben: Jugendliche Netzsurfer wollen Kontrolle | |
haben. Sie glauben, sie können die Öffentlichkeit ihrer Daten steuern. | |
Genau aber diese Sicherheit führt oft zum direkten Zugriff – auf sie als | |
Person. Genauer: Sie wurden Opfer – ganz real. | |
Die spannende Frage ist, ob die Autoren den Zusammenhang nicht auf dem | |
Schirm haben – oder geflissentlich übersehen. Sie spielen ja geradezu mit | |
dem Topos der Angst, einer medial grotesk überzeichneten Angst. „Wer | |
Facebook versteht, muss sich wenig davor fürchten“, schreiben sie. Facebook | |
verstehen aber lernt man in ihrem Handbuch nicht, sondern lediglich, es zu | |
bedienen. | |
Thomas Pfeiffer, Jöran Muuß-Merholz: „Mein Kind ist bei Facebook“. | |
Addison-Wesley 2012, 19,80 Euro | |
22 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Füller | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Zukunft von Facebook: Zuckerberg gibt Fehler zu | |
Nach dem misslungen Börsengang trat Facebook-Gründer Zuckerberg lange nicht | |
in der Öffentlichkeit auf. Nun erzählt er, wie Facebook in Zukunft aussehen | |
soll. | |
Datenschutzbestimmungen kritisiert: Facebook wird appgemahnt | |
Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert, dass in Facebooks | |
App-Zentrum die Zustimmung zur Datenweitergabe an Dritte vorausgesetzt | |
wird. | |
Digitale Liebe: Knutschen mit der Kussmaschine | |
Endlich ist die Menschheit einen Schritt näher an der Entfleischlichung. | |
Der „Kissenger“ macht den Austausch von Zärtlichkeiten übers Netz möglic… | |
Buch „Digitale Demenz“: Keinen Plan vom Netz | |
Computer und Netz wären keine Teufel – wenn Kinder in der Schule auf die | |
digitale Welt vorbereitet würden, sagt Manfred Spitzer. Sein Buch leistet | |
dazu keinen Beitrag. | |
Deutsche im Netz: „German Angst“ vor Datenmissbrauch | |
Drei Viertel der Deutschen nutzen das Internet, lassen sich unterhalten und | |
pflegen Kontakte. Gleichzeitig fürchten sie sich, sagt eine ARD-ZDF-Studie. | |
Studie zum Netzverhalten von Jugendlichen: Online im Griff, offline außer Kont… | |
Jugendliche machen erste sexuelle Erfahrungen im Netz, weil sie alles unter | |
Kontrolle wähnen. Eine Studie widerlegt das und sieht vielmehr einen | |
dramatischen Steuerungsverlust. |