# taz.de -- Nach Urteil in Russland: Was Pussy Riot im Straflager erwartet | |
> Zwei Jahre Straflager – das Urteil gegen drei Musikerinnen von Pussy Riot | |
> ruft immer noch Proteste hervor. Und was genau erwartet sie in einem | |
> Straflager? | |
Bild: Die Proteste wegen des Pussy-Riot-Urteils halten an. | |
MOSKAU taz | „Die Atmosphäre ist unerträglich. Überall Willkür und Gewalt. | |
Wenn du hier jemals wieder herauskommst, bist du todkrank, physisch und | |
psychisch“, sagt eine Lagerinsassin über die Lebensbedingungen im | |
russischen Strafvollzug. Die TV-Dokumentation ist erst vor kurzem | |
entstanden. | |
Die Bilder, die sie beschreibt, hätten indessen auch vom Fürsten Pjotr | |
Kropotkin stammen können. Vor 150 Jahren schon klagte der adlige Anarchist, | |
Russlands Gefängnisse seien „vom Staat unterhaltene Verbrecherhochschulen | |
und Brutstätten physischer und moralischer Verkommenheit“. Mit dem Beitritt | |
zum Europarat 1996 übernahm Russland die Verpflichtung, den Strafvollzug zu | |
reformieren. | |
Fortschritt ist zwar zu erkennen, bürokratische Hürden und kulturelle | |
Widerstände stehen jedoch einem grundsätzlichen Umbau des Systems nach wie | |
vor im Wege. Ob die Frauen der Punkband Pussy Riot die zweijährige Haft in | |
einer Strafkolonie, zu der sie ein Moskauer Gericht am 17. August | |
verurteilte, antreten müssen, steht noch nicht endgültig fest. | |
Die Anwälte der Aktionskünstlerinnen wollen in den nächsten Tagen in | |
Berufung gehen. Die höhere Instanz muss den Fall innerhalb eines Monats | |
klären. So lange bleiben die Frauen noch im „Isolator SISO Nummer 6“, dem | |
Untersuchungsgefängnis in Moskau. Dort gehe es den Punkerinnen gut, schrieb | |
das Boulevardblatt Moskowski Komsomolez. Die jungen Frauen hätten den | |
Status von VIP-Häftlingen und müssten die Zelle nur mit jeweils noch einer | |
Insassin teilen. | |
Diese seien von der Gefängnisleitung auf Verhalten und Bildungshintergrund | |
geprüft worden. Die widerspenstigen Feministinnen können dort Sport | |
treiben, fernsehen, den Schönheitssalon aufsuchen oder sich massieren | |
lassen. Das klingt fast wie ein Wellness-Aufenthalt und nicht nach | |
russischer U-Haft, wo sich die Delinquentinnen sonst eher unfreiwillig auf | |
die Füße treten. | |
## In der Strafkolonie | |
Bestätigt das Moskauer Stadtgericht das Urteil, müssen die Inhaftierten | |
nach spätestens zwei Wochen in eine Strafkolonie verlegt werden. 35 | |
Straflager für Frauen gibt es, verteilt über ganz Russland, wo an die 60 | |
000 Frauen zurzeit einsitzen. Das sind etwa fünf Prozent aller Gefangenen. | |
Im Unterschied zu Männern werden Frauen häufig in Kolonien untergebracht, | |
die von Familie und Wohnort weit entfernt sind. Grund dafür sei die | |
geringere Zahl an Frauenlagern. Wegen der höheren Straffälligkeit von | |
Männern gebe es für sie auch in jedem russischen Verwaltungsgebiet eine | |
Kolonie. Zumindest ist das die offizielle Erklärung der Justizbehörden. | |
Nichtregierungsorganisationen, die sich um Gefangene kümmern, verweisen | |
unterdessen darauf, dass die russische Justiz mit Delinquentinnen | |
grundsätzlich härter und strenger verfahre als mit Männern. Frauen erhalten | |
für die gleiche Tat oft auch ein höheres Strafmaß. Dafür verantwortlich | |
seien vor allem Richterinnen, die Geschlechtsgenossinnen besonders | |
verachteten und abstrafen wollten. Die Justiz gilt als Frauendomäne. | |
Wenn Frauen fernab von Familie und Freunden untergebracht werden, hat das | |
für die meisten schwerwiegende Folgen: Nach einigen Jahren verlieren die | |
Insassinnen den Kontakt zur Außenwelt, Wiedereingliederung ist dann kaum | |
noch möglich. Das Ziel des russischen Strafvollzuges hat sich seit | |
Jahrhunderten nicht verändert. Im Mittelpunkt steht die Bestrafung, nicht | |
der Mensch. | |
## Lagersystem „Sona“ | |
Die Punkerinnen wurden zu Lagerhaft unter „gewöhnlichen Bedingungen“ | |
verurteilt. Das System verfügt auch über Kolonien mit strengen oder | |
geringeren Auflagen. In einem sind sich die Einrichtungen jedoch alle | |
gleich. Überall beklagen sich die Frauen über die hygienischen | |
Verhältnisse. Nur einmal in der Woche dürfen Gefangene ein Bad nehmen. Für | |
heißes Wasser müssen sie selbst sorgen. | |
Die Regeln des Lagerlebens nehmen auch keine Rücksicht auf psychische und | |
physische Bedürfnisse von Frauen. Der Knast ist eben eine Männerdomäne. | |
Sogar in der Gesundheitsversorgung spiegelt sich das wider: In 59 Kolonien | |
werden Männer gegen Tuberkulose behandelt, Frauen hingegen nur in einer. | |
Etwas nachsichtiger geht der Strafvollzug indes mit jungen Müttern um. In | |
13 Lagern dürfen Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr bei ihren Müttern | |
in separaten Häusern bleiben. Danach müssen die Frauen zurück in die | |
Baracken, in denen bis zu 70 Gefangene in einem großen Raum schlafen. Die | |
Kinder kommen dann in ein Heim oder zu Angehörigen. „Sona“ – Zone – ne… | |
Russen dieses Lagersystem ehrfürchtig. Generationen wurden darin | |
verschlissen. | |
## Fahndung und Proteste | |
Russlands Ermittler lassen indes nicht locker. Nach dem Prozess gegen die | |
drei Frauen fahndet die Polizei nach weiteren Bandmitgliedern. An dem | |
Punkgebet der Künstlerinnen in einer Moskauer Kirche waren noch zwei andere | |
Aktionskünstlerinnen beteiligt. Die Polizei sucht überdies auch nach | |
Helfern, die das Video ins Netz stellten. Durch zahlreiche spontane | |
Aktionen ist das Umfeld der Sympathisanten inzwischen aber unübersichtlich | |
geworden. | |
Im sibirischen Krasnojarsk überklebten Künstler zwei Straßenschilder und | |
benannten sie nach Nadja Tolokonnikowa und den beiden anderen Verurteilten. | |
Am Samstag fand dort eine Aktion statt, an der mehr als hundert Personen | |
teilnahmen, die sich den Mund zugeklebt hatten. Auch in anderen russischen | |
Städten riefen Gleichgesinnte zu spontanen Protesten auf. | |
26 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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