# taz.de -- Kommentar Chemikalienpolitik: Geschickt über Bande gespielt | |
> Dänemark ist weniger Lobbydruck ausgesetzt als Deutschland. So kann das | |
> Land als Vorreiter und als Vorbild für den Nachbarn agieren. | |
Bild: Das unverwechselbare Logo des Outdoorspezialisten Jack Wolfskin. | |
Es gibt keine europäische Öffentlichkeit? Man hört diese Beschwerde ab und | |
zu, sie sagt sich leicht dahin und ist so folgenschwer: wo keine | |
Öffentlichkeit, da keine Demokratie. Eine Nachricht aus dem schönen, | |
kleinen Politikfeld der Chemikalienregulierung zeigt aber, dass die Bürger | |
Europas sich sehr wohl über ihre Belange verständigen – und dass ihr | |
Diskurs politisch anschlussfähig ist. | |
Wenn die dänische Regierung, wie jüngst geschehen, bestimmte Weichmacher | |
verbietet, um die Gesundheit ihrer Bürger zu schützen, dann steht das ein | |
paar Tage später auch in den deutschen Zeitungen. Über die Grenzen tragen | |
die Information wachsame und gut vernetzte Nichtregierungsorganisationen. | |
Schließlich erhöht die Meldung den Druck auf die Bundesregierung und die | |
EU-Institutionen. Sie müssen erklären, wieso die Konsumenten in Deutschland | |
und dem Rest Europas mehr DBP, DEHP oder DIBP vertragen als dänische. | |
Wobei Kopenhagen in Ermangelung einer nennenswerten chemischen Industrie | |
weniger Lobbydruck ausgesetzt ist als Berlin und auch nicht auf | |
Arbeitsplätze und Steuereinnahmen schauen muss. Verbraucherschützer können | |
in Europa also geschickt über Bande spielen. Und das tun sie, wie das | |
Beispiel der Chemikalie Bisphenol A zeigt. Von deutschen und europäischen | |
Behörden lange verteidigt, war sie nicht mehr haltbar, nachdem die | |
Skandinavier sie für Babys verboten hatten. | |
Die europäische Chemikalienpolitik ist ein hochkomplexes Gebilde, die | |
zuständigen Institutionen und Regelwerke sind nur schwer durchschaubar. | |
Diese Unübersichtlichkeit ist der Preis für die Beteiligung von NGOs und | |
für die Checks and Balances, die sich in der EU herausgebildet haben. Am | |
Ende des großen Palavers stehen oft Entscheidungen, die das Vorsorgeprinzip | |
und den Verbraucherschutz stärker gewichten als etwa die Interessen der | |
Industrie. Bei Urteilen über den Zustand europäischer Öffentlichkeit ist | |
das zu berücksichtigen. | |
26 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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