# taz.de -- Umstrittener Ausnahmezustand: Verdächtig ohne Verdacht | |
> Das Verwaltungsgericht verhandelt über die Zulässigkeit von polizeilichen | |
> Gefahrengebieten. Eine Schanzen-Bewohnerin fühlte sich Polizei-Schikanen | |
> ausgesetzt. | |
Bild: Nichts gebracht: Mitten im "Gefahrengebiet Schanzenviertel" brannten am S… | |
Im Schanzenviertel herrschte am Samstag wieder der Ausnahmezustand – | |
zumindest in den Abendstunden. Nach dem traditionellen Schanzenfest hatte | |
die Polizei die Region rund um die Rote Flora ab 23.30 Uhr zum | |
Gefahrengebiet erklärt. Die Randalierer hinderte das allerdings nicht am | |
Zündeln, die Maßnahme nach dem Polizeigesetz trifft indes vornehmlich die | |
Bewohner des Quartiers. Am heutigen Montag verhandelt das | |
Verwaltungsgericht über die Zulässigkeit des Polizei-Eingriffs, den 2005 | |
die damals allein regierende CDU eingeführt hatte. | |
Dagegen klagt nun die Schanzen-Bewohnerin Ines Ball*, die am 1. Mai 2011 | |
gegen 23 Uhr im „Gefahrengebiet Schanzenviertel“ mit Freundinnen zu einer | |
Gaststätte unterwegs war. An einer Polizeikette verlangten die Beamten | |
ihren Personalausweis und durchsuchten ihren Rucksack. Wenig später | |
erschien ein weiterer Polizist und erklärte Ball, dass gegen sie ein | |
Aufenthaltsverbot für das „Gefahrengebiet Schanzenviertel“ verhängt werde. | |
Dazu wurde ihr ein Vordruck „Schriftliche Hinweise zum mündlich erteilten | |
Aufenthaltsverbot“ ausgehändigt, ohne eine konkrete Gefahr zu begründen. | |
Als Ines Ball anmerkte, dass sie im Schanzenviertel wohne, erklärte der | |
Beamte, das sei „wohl bekannt, aber egal“. Sie habe auf dem schnellsten Weg | |
nach Hause zu gehen und dürfe die Wohnung bis fünf Uhr morgens nicht mehr | |
verlassen. „Sie sollte erklärtermaßen einem faktischen Hausarrest | |
unterworfen werfen“, sagt ihr Anwalt Carsten Gericke. Doch es kam noch | |
heftiger: Plötzlich sagte ein anderer Beamter, Ball werde in Gewahrsam | |
genommen, um das Aufenthaltsverbot praktisch durchzusetzen. Bis morgens um | |
drei Uhr verbrachte sie die Nacht in einer Zelle einer Polizeiwache. | |
„Die mehrstündige Freiheitsentziehung stellt eine schwerwiegende Verletzung | |
ihrer Grundrechte dar“, sagt Gericke. Für ihn verstößt der Passus im | |
Polizeigesetz gegen Grundrechte. „Um dem rechtsstaatlichen | |
Bestimmtheitserfordernis zu entsprechen, müssen Zwecke, zu denen | |
kontrolliert werden darf, hinreichend präzise bestimmt sein“, zitiert | |
Gericke aus einer Entscheidung des Verfassungsgerichts | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
Dass Gefahrengebiete einen massiven Eingriff bedeuten, musste auch Katrin | |
Peters* aus Bergedorf erfahren, die mit einem sogenannten Russlanddeutschen | |
befreundet war. Die Quartiere Nettelnburg und Allermöhe waren von 2005 bis | |
2009 Gefahrengebiet, da die Polizei junge Osteuropäer unter 25 Jahren als | |
potenziell kriminell und gewalttätig einstufte. „Mir gingen die dauernden | |
Kontrollen wirklich auf den Keks“, sagt die heute 25-Jährige, die 2009 aus | |
Hamburgs Osten weggezogen ist. Sie hatte sich sogar in psychologische | |
Behandlung begeben. „Immer wenn ich mit meinen Freund in die Stadt fahren | |
wollte, sind wir schikanös kontrolliert worden“, sagt sie. „Ich musste | |
meine Handtasche auf der Kühlerhaube des Streifenwagens mit allen intimen | |
Utensilien ausleeren und musste mir erniedrigende Sprüche anhören“, | |
berichtet sie. So sei sie einmal gefragt worden, weshalb sie denn | |
einerseits Tampons und anderseits Kondome im Gepäck habe. „Mädchen, was | |
willst du denn nun wirklich heute nacht?“, habe ein männlicher Polizist | |
gefeixt. Auch die ständigen Durchsuchungen nach gefährlichen Gegenständen | |
seien eine Zumutung gewesen. „Es waren zwar Polizistinnen, die mich | |
abgegrabscht haben, aber ich fand das trotzdem ekelhaft.“ | |
*Namen geändert | |
26 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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