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# taz.de -- Boykott gegen die „Bild“-Zeitung: „Endlich macht das mal eine…
> Seit zwei Jahren verkaufen ein Bäcker und ein Kioskbesitzer in Hamburg
> keine „Bild“ mehr. Anlass war die Pro-Sarrazin-Kampagne der Zeitung. Eine
> Bilanz.
Bild: „Ich sähe meine Freiheit eingeschränkt, wenn man mich zwingen würde,…
sonntaz: Herr Buck, Herr Krause, wie viele Bild-Zeitungen haben Sie früher
täglich verkauft?
Winfried Buck: Vielleicht 15 bis 20.
André Krause: Auch ungefähr 20.
Warum haben Sie sich vor zwei Jahren entschlossen, keine Bild-Zeitung mehr
zu verkaufen? Auch davor werden ja schon Dinge darin gestanden haben, über
die Sie sich aufgeregt haben.
Krause: Da gab es diesen Aufmacher mit Thilo Sarrazin und der Schlagzeile:
„Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“…
… anlässlich Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“. Die Bild
ergriff damals Partei für die umstrittenen Thesen des ehemaligen Berliner
Finanzsenators zur deutschen Integrationsgesellschaft.
Krause: Ja, da war das Maß für uns voll.
Buck: Da stand so populistischer Dreck wie: „Wer nicht gelernt hat, soll
hinterher nicht jammern, dass er keinen Job bekommt.“ Oder: „Ausländer, die
sich nicht an unsere Gesetze halten, haben hier nichts zu suchen.“ Da haben
wir uns entschlossen, die Zeitung aus dem Programm zu nehmen.
Hatten Sie das miteinander abgesprochen?
Krause: Nein. Das war ein Samstag, und ich hatte an dem Tag frei. Als ich
hier vorbeikam, sah ich, dass Winnie [Winfried Buck, Anm. d. Red] die
erwähnte Ausgabe zerrissen und dazu geschrieben hatte: Den Dreck gibt’s bei
uns nicht mehr. Da habe ich mich spontan angeschlossen.
Wie hat Ihre Kundschaft reagiert?
Krause: Die meisten haben uns zu der Aktion gratuliert.
Buck: Ich hatte überhaupt nicht über die Folgen nachgedacht. Ich wollte mir
ja nicht anmaßen, den Springer-Konzern in die Knie zu zwingen. Aber dann
brach etwas los, was ich nicht für möglich gehalten hätte. In den nächsten
Tagen kamen Hunderte Leute in den Laden und sagten: Endlich macht das mal
einer. Das hat mir gezeigt, dass es doch einen Sinn hat zu sagen, was man
denkt – und dann auch danach zu handeln. Das hat mich beflügelt. Viele
Leute haben das als couragiert bezeichnet. Aber Courage ist für mich noch
etwas anderes, als nur irgendeine Zeitung nicht zu verkaufen.
Krause: Nachdem die taz [am 13. September 2010, Anm. d. Red.] darüber
berichtet hatte, rannten uns die Medien die Tür ein. Ich hatte sogar zwei
Schulklassen bei mir im Laden, extra aus Bergedorf kamen die angereist. Die
haben in der Schule ein Medienprojekt über unsere Aktion gemacht.
Buck: Es haben sich Leute aus Süddeutschland, die ich gar nicht kenne,
brieflich bedankt. Viele Leute sind anscheinend mit dem taz-Artikel in der
Hand zu ihrem Kiosk gegangen und haben gesagt: Guckt mal, es geht.
Wissen Sie, ob Ihre Idee Nachahmer gefunden hat?
Buck: Soweit ich weiß, nein. Dabei ist es eigentlich ein tolles Beispiel
dafür, dass man mit einer ganz kleinen Sache tatsächlich ein Echo auslösen
kann. Offensichtlich scheint der Populismus der Bild ein Thema zu sein.
Sie kündigen Ihren Bild-Boykott demonstrativ mit einem Plakat vor Ihrem
Laden an.
Buck: Ja, das Plakat ist hundertfach fotografiert worden. Bilder davon
schwirren im Internet herum. Insbesondere der Satz des Schriftstellers Hans
Magnus Enzensberger über den Selbsthass, der die Bild-Leser antreibe, diese
Zeitung zu kaufen, wird oft zitiert.
Warum haben Sie Ihr Boykottplakat mittlerweile abgehängt, Herr Krause?
Krause: Weil er für mich zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Aber auf
diversen Internetportalen wird immer noch auf die Aktion aufmerksam gemacht
und dafür geworben, bei mir zu kaufen.
Kommen trotzdem noch Leute in Ihren Laden und verlangen die Bild-Zeitung?
Krause: Ja, das passiert täglich. Und dann kommt es immer wieder zu
irritierten Reaktionen.
Buck: Häufig kommen die dann, trotz des Plakats vor meinem Laden,
anschließend gleich zu mir. Die sind dann völlig verwirrt, wenn sie die
Bild-Zeitung hier auch nicht bekommen. Für manche ist es anscheinend nicht
zu fassen, diese Zeitung irgendwo einfach mal nicht zu bekommen. Meistens
fragen aber nur noch Auswärtige oder Bauarbeiter auf Montage – hier im
Viertel wissen alle Bescheid.
Hat es Ihnen finanziell geschadet, die Zeitung aus dem Programm zu nehmen?
Buck: Nein, das hat sich nicht ausgewirkt. Aus Sympathie kaufen jetzt viele
Kunden eben einfach andere Zeitungen bei mir.
Krause: Ich verkaufe die 20 Bild-Zeitungen und das eine oder andere
Franzbrötchen weniger. Aber der Werbeeffekt ist langfristig größer – obwohl
das eigentlich gar nicht meine Intention war.
Und negative Reaktionen?
Buck: In rechtsradikalen Blogs wurden wir massiv beleidigt. Aber das ehrt
einen ja nur besonders.
Krause: Ein bisschen problematischer ist es in meinem zweiten Laden in St.
Georg. Das ist ein alter Arbeiterbezirk, da wird die Bild noch richtig
inhaliert. Dort wechseln manche dann auch mal den Bäcker wegen der Aktion.
Mitunter wurde der Vorwurf laut, Sie würden mit dem Bild-Boykott die
Pressefreiheit einschränken.
Krause: Es steht doch jedem frei, sich seine Bild-Zeitung woanders zu
kaufen. Das muss er ja nicht unbedingt bei mir tun. Er kann bei mir ein
leckeres Brötchen oder eine andere Zeitung kaufen. Die Pressefreiheit sehe
ich nicht eingeschränkt. Ich sähe meine Freiheit eingeschränkt, wenn mich
jemand zwingen sollte, diese Zeitung weiter zu verkaufen.
Buck: Es gab öfter interessante Diskussionen darüber, ob ich denn nicht
auch andere Zeitungen aus dem Programm nehmen müsste, weil sie minderer
Qualität seien. Im Unterschied zu anderen Boulevardblättern verfolgt die
Bild meiner Meinung aber eine systematische politische Agenda – und die
empfinde ich als unheilvoll.
Gab es denn Reaktionen des Grossisten, der Sie mit Zeitungen beliefert?
Krause: Nein, der hat das zur Kenntnis genommen. Der Grossist hier in
Hamburg gehört ja zu 51 Prozent dem Springer-Verlag, und die wollen das
sicher nicht an die große Glocke gehängt haben. Das wäre ja Negativwerbung,
wenn sich der große Springer-Verlag mit zwei kleinen Händlern in
Hamburg-Ottensen anlegen würde. Dann würden vielleicht noch mehr Leute auf
die Idee kommen, auf die Bild-Zeitung verzichten zu wollen.
Buck: Ich musste lediglich das Bild-Werbeschild aus dem Fenster entfernen.
Bei dieser Bestrafung ist es geblieben. Springer will Zeitungen verkaufen,
und andere Springer-Zeitungen finden die Leute bei mir ja nach wie vor.
Ihre Bilanz nach zwei Jahren Boykott?
Krause: Dass ich die Bild-Zeitung viel zu lange verkauft habe. Und dass
klare Aussagen und Haltungen angenommen werden. Mindestens zehn meiner
ehemaligen Bild-Kunden habe ich dazu gebracht, jetzt eine andere Zeitung zu
kaufen.
Buck: Viele Menschen sind ja unzufrieden mit der Richtung, in die sich
unsere Gesellschaft bewegt, wie sich Stadtteile und die Arbeitswelt
verändern. Aber wenn man immer mitmacht, bekommen wir die Welt, die wir
verdient haben. Manchmal bringt es etwas, den unbequemeren Weg zu gehen und
konsequent zu sein. Das habe ich gelernt.
Und wenn sich einer gar nicht beirren lässt – wo können KundInnen hier die
nächste Bild-Zeitung kaufen?
Buck: Ungefähr 300 Meter weiter. Da schicken wir alle hin.
8 Sep 2012
## AUTOREN
R. Lorenzen
M. Ferraz
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
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