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# taz.de -- Indianerleben in Kolumbien: „Singen, um nicht zu sterben“
> Besuch eines indianischen Kulturkongresses im kolumbianischen Urwald.
> Eintöniger Singsang, statt langweiliger Reden.
Bild: Die Rituale der Tule Indianer.
Der „congreso de la cultura“ der Tule-Indianer beginnt morgens um 8 Uhr in
einer „casa grande“. Gastgeber sind die kolumbianischen Tule von Caiman
Nuevo am Golf von Urabá im Norden Kolumbiens. Hier, an der Küstenstraße
zwischen Turbo und Necoclí, wo ihr „resguardo“ (indianisches Territorium)
liegt, hat vor 20 Jahren der berühmte Drogenbaron des Medellinkartells,
Pablo Escobar, Vieh gezüchtet.
Der Versammlungsort liegt mitten im Urwald, etwa eineinhalb Stunden
Fußmarsch von der Küste landeinwärts. Der Weg führt über Dschungelpfade,
manchmal durch tiefen Schlamm. Zweimal müssen Flüsse durchwatet werden.
Abadio Green, einer der Gastgeber des Kongresses, stapft mit Gummistiefeln
voran. „Hier lang, compañeros!“ Er kennt den Weg und er kennt auch fast
jeden der Delegierten, die zum Teil von weither kommen.
Die Abgesandten aus Panama etwa sind vor ein paar Tagen mit langen,
furchterregend schmalen Booten über den Golf gekommen - pro Boot bis zu 40
Leute, dicht aneinandergedrängt, mehr als 10 Stunden Fahrt. Jetzt sitzen
sie in dem rund 50 Meter langen, mit Palmenblättern gedeckten Langhaus auf
harten Holzbänken und warten auf den ersten „canto“ (Gesang). Die Männer
sind schmucklos angezogen. Die Wichtigeren haben eine Krawatte umgebunden.
Die Frauen und Mädchen in ihren verzierten Blusen und Wickelröcken haben
sich sorgsam geschminkt. Sie reichen kakaohaltige Getränke. Es gibt eine
klare Sitzordnung: im hinteren Teil sitzen die Frauen, im vorderen die
Männer. Dazwischen schaukeln, breitbeinig in sieben Hängematten sitzend,
die „sailas“, die Sänger. Sie sind die traditionellen, politischen und
religiösen Autoritäten der Tule. Vier Tage lang werden diese Sailas - etwa
70 sind gekommen - ihre Gesänge zelebrieren. Die „cantos“ sind Rückgrat u…
Herzstück des Kulturkongresses wie überhaupt der Kultur der Tule. An diesem
ersten Tag singen sie - unterbrochen nur vom Mittagessen - bis um vier Uhr.
Abadio trägt einen schönes helles Baumwollhemd und weiße Hosen. Er ist hier
ein Mitglied des Stammes, doch als Indianerführer, Hochschullehrer und
wichtigster indianischer Pädagoge in Kolumbien repräsentiert er die
Verbindung zur Politik und zur Welt draußen. Für ihn sind die Rituale hier
im Urwald wichtiger, wenn nicht entscheidender Teil des Überlebens: „Wir
müssen wissen, wer wir sind. Diese Texte sind seit Jahrhunderten fixiert
und werden nur durch orale Tradition weitergegeben.“
Jedes Volk braucht seine Legenden, seine Traditionen, seine Rituale und
seine Sprache. „Die Sprache erlaubt es, die Geschichte deines Volkes zu
verstehen. Ohne unsere Kultur würden wir untergehen. Ein Volk, das seine
Rituale verliert, ist ein Volk, das stirbt.“ Als ehemaliger Führer der
Indigenen von ganz Kolumbien kennt Abadio die Probleme von indianischen
Völkern, die ihre Traditionen verloren haben. So merkwürdig es klingen mag:
die „cantos“, die da von ein paar alten Männern jedes halbe Jahr im
Dschungel gesungen werden, scheinen wesentlich dazu beizutragen, dass die
Tule weder verelenden noch ihren Kampfgeist verlieren - wie so viele andere
Indigene Kolumbiens.
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Die Gesänge sind langgezogen, repetitiv und nicht besonders melodiös. Immer
wieder fallen andere Sailas in den Vortrag des jeweiligen Hauptsängers mit
ein - oft mit einem schrillen „eje“ - Ja! Trotz dieser fast dissonanten
Tonfolgen stellt sich bei den meisten bald eine meditative Stimmung ein. An
die 300 Zuhörer sitzen stundenlang versunken auf ihren Bänken. Dabei sind
die Gesänge für die Tule von heute oft schwer zu verstehen.
Deshalb treten zwischen den Sailas immer wieder die „argales“ (Sprecher)
auf. Sie interpretierten die Gesänge in volkstümlichem Tule. Es sind
allgemeine Bemerkungen zur Moral, aber auch zum Klimawandel, zur Zerstörung
der Natur und Ermahnungen: „Die Natur bestraft die Egoisten!“ „Die Alten
müssen gut behandelt werden. Sie sind die Weisheit und die Tradition, so
wie die Babys die Zukunft sind!“
Immer wieder geht es um den Raubbau an den Ressourcen. „Den empfinden wir
Tule, als vergieße man das Blut der Mutter Erde“, erklärt Abadio. „Deshalb
wird es demnächst große Proteste gegen ein Abkommen geben, das der
kolumbianische Präsident Santos mit Südkorea abgeschlossen hat.“ Auf dem
Resguardo der Tule soll Kohle gefördert werden.
Am folgenden Tag empfangen die Tule Gäste aus der Nachbarschaft.
Bürgermeister und Militärs sind in einen Schulhof an der Küstenstraße
eingeladen. Es gibt ein Kulturprogramm mit den typischen Tänzen. Die
entbehren für Außenstehende nicht einer fröhlichen und doch meditativen
Komik: Die Tänzer hüpfen von einem Bein auf das andere, blasen dazu die
Panflöte und bewegen sich mit den tänzelnden Frauen in bestimmen
Formationen. Die Sailas sitzen im Schatten und halten ihre „bastones“
(Holz-Szepter). Abadio begrüßt alle und formuliert dann sein Credo: „Wenn
wir aufhören zu glauben, werden wir verschwinden. Solange wir glauben,
werden wir das Land nicht verlieren und es verteidigen!“
Es ist eine kämpferische Rede - für europäische Ohren vielleicht etwas viel
Blut und Boden. Doch aus dem Munde des Sprechers eines kleinen bedrohten
Volkes klingt es plötzlich ganz verständlich und gar nicht chauvinistisch.
Am Schluss spricht der örtliche Militärkommandant - zweimal so dick und so
groß wie die Caciquen, mit denen er sich leutselig fotografieren lässt. Er
betont, dass das Militär „ allzeit zum Schutz der Indigenas bereit“ stünd…
Dann lässt er sich noch einmal fotografieren und rauscht ab.
Immerhin, so berichtet Abadio, habe man in den letzten Jahren ein halbwegs
passables Verhältnis zu den Militärs gefunden. „Wir Tule müssen mit allen
uns bedrohenden Gruppen irgendwie klarkommen.“ Und sie reden auch mit
allen. Mit keinem allerdings zu vertraut, weil das dann wieder die jeweils
anderen - Guerilla, Paramilitares, Bananenpflanzer etc. ärgern könnte. Es
ist ein Drahtseilakt.
##
Genau um diese Fragen geht es am vierten und letzten Tag, dem der
politischen Debatten. Im Langhaus wird Abadios in Tule vorgetragene Rede
nun mit großem Interesse verfolgt und dann den ganzen Nachmittag über
diskutiert. Die Tule spielen - trotz ihrer geringen Zahl - eine
Vorreiterrolle in der Indigenenbewegung Kolumbiens: Immer wieder bedrohen
Großprojekte ihre Territorien: „Es könnte eine menschliche und kulturelle
Katastrophe werden!“, mahnt Abadio. „Wir müssen der Welt sagen, dass wir
noch leben und mit einer Stimme sprechen. Und dass wir uns wehren werden!“
Am Abend fährt Abadio in einer 11-stündigen Busreise zurück nach Medellin,
seinen zweiten Wohnsitz. Bald wird er für die Tournee „Konzert für
Amazonien“ nach Deutschland fliegen. „Selbstbewusstsein ist die
Voraussetzung für ein Zusammenleben mit anderen Kulturen“, sagt er. „Darum
singen wir.“
15 Sep 2012
## AUTOREN
Thomas Pampuch
## TAGS
Reiseland Kolumbien
Kolumbien
Farc
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