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# taz.de -- Wolfgang Schäuble wird 70: Die ewige Nummer zwei
> Er war „Schäuble 2.0“ und der „Sparkommissar“. Bloß eines war er ni…
> ganz vorne. Porträt eines störrischen Charakterkopfes aus der zweiten
> Reihe.
Bild: Mit Heiligenschein 1998 in Bonn.
BERLIN taz | Nur eine Frage schafft es noch, den Mann mit dem Pokerface
öffentlich barsch werden zu lassen. Ende 2011 wollte ein Journalist von ihm
wissen, ob das Finanzministerium die letzte Station seiner politischen
Karriere sei. „Die letzte Station ist der Friedhof“, antwortete der
69-Jährige. „Wenn Sie keine gescheiteren Fragen haben, ist das fast Ihre
letzte.“ In diesen gereizten Worten steckt das ganze Drama Wolfgang
Schäubles, der am Dienstag 70 Jahre alt wird. Es ist das Drama des ewigen
Zweiten.
Schäuble verkörpert wie kein anderer aktiver Politiker die jüngere
bundesdeutsche Geschichte. Joschka Fischers Lebensweg gilt vielen als
Beispiel für die Ankunft der 68er in der politischen Mitte. Die Biografie
des sechs Jahre Älteren hingegen zeigt die Fähigkeit der sogenannten
Konservativen, sich von rechts kommend an den Zeitgeist anzupassen.
Schäuble ist ein Technokrat.
Der badische Jurist hat sich stets mehr den jeweiligen Umständen
anverwandelt, als dass er versuchte, sich zu ihm passende Umstände zu
schaffen. Er wollte und will vor allem funktionieren. Der Status als Nummer
zwei passt daher weit besser zu ihm, als ihm vermutlich lieb ist.
Wolfgang Schäuble wird im Krieg geboren, am 18. September 1942 in Freiburg.
Jahrzehnte bevor die Klage über „Berufspolitiker“ aufkommt, die das wahre
Leben nie kennengelernt haben, schlägt der Sohn eines badischen
Abgeordneten die politische Laufbahn ein. Im Abijahr 1961 tritt er der
Jungen Union bei, steigt im mitgliederstarken CDU-Landesverband
Baden-Württemberg schnell auf. Elf Jahre nach dem Abitur kommt er in den
Bundestag. Dort ist er bis heute geblieben – länger als jeder andere aktive
Parlamentarier.
## Störrischer Charakterkopf
Schäubles Aufstieg hat sich stets in der zweiten Reihe vollzogen. Den Ruf
als störrischer Charakterkopf erwirbt er sich erst viel später. Helmut Kohl
macht den ernsten, fleißigen Mann 1984 zum Chef des Bundeskanzleramtes. Was
der Kanzler entscheidet, setzt Schäuble um. Ob die Organisation des
umstrittenen Besuchs Erich Honeckers in der Bundesrepublik 1987 oder – in
seiner neuen Funktion als Bundesinnenminister – das Mammutwerk des
Einigungsvertrags mit der DDR 1990: Stets kümmert sich Schäuble um die
zähen Details, für die seinem Chef das Interesse fehlt. Es muss hart
gewesen sein für ihn, so lange und hart unter einem Mann zu arbeiten, dem
er sich intellektuell überlegen fühlt.
Die Frustration darüber zeigt sich noch heute. Vorige Woche sagte Schäuble
in einem Interview: „Wir waren enge politische Vertraute, aber keine
Freunde. Er war Bundeskanzler, ich war ein zehn Jahre jüngerer politischer
Mitstreiter. Kohl hatte andere Freunde.“ Der Kanzler umgab sich mit Sauna-,
Ess- und Trinkfreunden. Nichts für den asketisch auftretenden Schäuble.
Umso frustrierender muss der Gedanke sein, dass ebendieser Helmut Kohl dem
eigenen Leben die Richtung gegeben hat, im Guten wie im Schlechten. Neun
Tage nach der Vereinigung beider deutscher Staaten feuert ein psychisch
kranker Mann drei Pistolenschüsse auf Schäuble. Kohl gibt ihm trotz der
Querschnittslähmung den mächtigen Posten des Fraktionschefs – damals alles
andere als selbstverständlich.
## Sein tiefster Fall
Sieben Jahre später erklärt Kohl, er wünsche sich seinen langjährigen
Adlatus als Nachfolger im Kanzleramt. Das verhindert die CDU-Wahlniederlage
1998. Schäuble folgt Kohl im Parteivorsitz. Doch was der späte Beginn einer
Karriere als Nummer eins werden soll, gerät zu seinem tiefsten Fall. Der
Unmut über eine nicht verbuchte Spende eines Waffenlobbyisten ist eher
Anlass als Ursache für Schäubles Sturz. Der Parteichef wird Opfer der über
Jahrzehnte in der CDU angestauten Wut auf das zunehmend lähmende „System
Kohl“, dessen Teil er gewesen ist. Nie wieder würde Wolfgang Schäuble die
Nummer eins werden. Bis heute nicht.
Im Rückblick betrachtet, könnte sich dieser Sturz als der Glücksfall seines
politischen Lebens erweisen. Ob er statt Edmund Stoiber die Wahl 2002 gegen
Gerhard Schröder gewonnen hätte? Stattdessen kommt 2005 Angela Merkel ans
Ruder. In seiner zweiten Amtszeit als Innenminister verschafft sich
„Schäuble 2.0“ einen Ruf als Beschränker von Freiheitsrechten. Ein
ungeliebtes, aber eifrig ausgefülltes Amt. 2009 schließlich wird er
Finanzminister. Spätestens seither zeigt sich, wie perfekt die Rolle der
Nummer zwei zu ihm passt.
## Spiel mit verteilten Rollen?
Wenn Schäuble wieder eine seiner kryptischen Äußerungen zur Eurokrise
macht, ist nie klar: Handelt der Minister hinter dem Rücken der Kanzlerin,
oder spielen beide ein Spiel mit verteilten Rollen? Nach vier Jahrzehnten
des Strippenziehens traut man Schäuble alles zu. Das hilft im politischen
Tagesgeschäft. Aber es führt auch dazu, dass er nicht mehr ins Schloss
Bellevue einziehen wird. Schäuble wird nicht geliebt, bestenfalls geachtet.
Mittlerweile verleiht ihm der schlichte Umstand, dass er schon immer da
war, den Ruf der Integrität. Dabei ist er stets ein Machttaktiker
geblieben: Wann fiele es einem Bundesfinanzminister leichter als heute,
angesichts von Steuereinnahmen in Rekordhöhe die Neuverschuldung auf null
zu drücken? Doch der vermeintliche „Sparkommissar“ tut es nicht. Weil er
ein Jahr vor der Bundestagswahl keine Wählergruppen vergrätzen will. Und
weil er um die Stimmung unter den Deutschen weiß. Die sehen sich auch so
als Europas „Musterschüler“. Der europaweite Hass aber trifft Merkel, nicht
Schäuble. Das Leben als Nummer zwei kann sehr angenehm sein.
18 Sep 2012
## AUTOREN
Matthias Lohre
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