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# taz.de -- Boot-ist-voll-Rhetorik in Bramsche: FDP-Politiker sieht Flüchtling…
> Das Flüchtlingslager laufe über, seit Flüchtlingen mehr Taschengeld
> zusteht, klagt die Leitung. Niedersachsens Flüchtlingsrat und Grüne
> fürchten, das sei Wahlkampf.
Bild: Finden auch, dass jeder Flüchtling im Lager Bramsche einer zuviel ist: F…
HANNOVER taz | Vor einer Kampagne gegen Flüchtlinge warnen Niedersachsens
Landtagsgrüne und der Flüchtlingsrat. Anlass sind Medienberichte, in denen
die Leitung des Flüchtlingslagers in Bramsche bei Osnabrück einen
regelrechten Asylbewerberansturm beklagt. „Voll bis Oberkante Unterlippe“
sei sein Lager, zitiert etwa die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) Conrad
Bramm, Leiter des Bramscher Standorts der Zentralen Aufnahmebehörde des
Landes Niedersachsen.
Die 600 Plätze seien belegt, nun erwäge man, Container aufzustellen und so
200 weitere Plätze zu schaffen. Eine Begründung für die vermeintlichen
Flüchtlingsströme liefert Bramm gleich mit: Das erhöhte Taschengeld, das
AsylbewerberInnen seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Juli
zusteht, habe einen „starken Pull-Effekt“. 134 statt 40 Euro steht
Flüchtlingen seitdem monatlich zur freien Verfügung zu. In Bramsche hat die
Erhöhung laut Bramm für beinahe tumultartige Szenen gesorgt: Wegen des
„großen Gedränges“ begleite die Auszahlung ein Sicherheitsdienst.
Die Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat zeigt sich „irritiert“ über
derlei Berichte. Formulierungen wie „Flüchtlingsströme“ und „Pull-Effek…
begünstigten die Propaganda von Rechtspopulisten, warnt sie. Von der
Leitung einer Landesaufnahmestelle für Asylbewerber erwarte sie, dass sie
„sachlich und nicht mit Halbwahrheiten in der Öffentlichkeit agiert“. Der
Vorsitzende des Flüchtlingsrats, Norbert Grehl-Schmitt, spricht von einer
„unglaublichen Entgleisung“ Bramms. Nach der Erhöhung des
Asylbewerber-Taschengeldes Sozialtourismus zu unterstellen, weist er als
„abstrus“ zurück: Menschen verließen nicht wegen 134 Euro, sondern wegen
„katastrophaler Lebensbedingungen“ ihre Heimat.
Zwar sei die Zahl der Menschen, die im August – also nach der Erhöhung –
nach Deutschland geflohen sind, um 741 gestiegen, sagt er. Niedersachsen
musste entsprechend dem Königsteiner Schlüssel im August etwa 70 Personen
mehr als im Juli unterbringen. Eine „moderate Steigerung“, wie
Grehl-Schmitt betont, kein Grund, „einen Notstand herbeizureden“.
Auch aus Bramsche selbst kommt Kritik an den Schilderungen der
Lager-Leitung. „Das können wir so nicht unterschreiben“, sagt etwa Stephan
Kreftsiek vom Caritasverband Osnabrück und Koordinator des
Arbeitsmarktprojekts „Netwin“, das Flüchtlinge im Lager berät. Auch die
Fluchtgründe seien dort immer wieder Thema – „die Taschengelderhöhung wird
allerdings nicht genannt“, sagt Kreftsiek.
## Ausländerpolitischer Wahlkampfauftakt?
Grüne und Flüchtlingsrat fragen sich vielmehr, ob die Lagerleitung in
Eigenregie oder in Abstimmung mit der schwarz-gelben Landesregierung in die
Öffentlichkeit gegangen ist. Flüchtlingsrats-Chef Grehl-Schmitt befürchtet,
sie könnte der ausländerpolitische Wahlkampfauftakt vor der Landtagswahl im
Januar sein. Auch Polat von den Grünen sorgt sich vor einem Wahlkampf „auf
Kosten von Asylbewerbern“ und fordert Aufklärung von Innenminister Uwe
Schünemann (CDU). In einer Anfrage will sie wissen, was die Landesregierung
über illegale Beschäftigung und Menschenhandel in Bramsche weiß. Denn auch
darüber lässt sich Bramm in der NOZ aus und berichtet von Fällen, in denen
Schleusern 12.000 Euro gezahlt wurden, die die Betroffenen nun durch
illegale Beschäftigung abarbeiten. Für den Flüchtlingsrat sind das
„Hinweise auf Organisierte Kriminalität“, die Bramm dringend anzeigen
müsse.
Bramm selbst war am Dienstag für die taz nicht zu erreichen. Vor ihn stellt
sich allerdings der FDP-Innenpolitiker Jan-Christoph Oetjen. Der nennt die
Äußerungen des Lagerleiters – zugleich Chef der FDP in Bramsche –
„Sachdarstellungen“. Mit Wahlkampf oder Rechtspopulismus hätten sie nichts
zu tun. Bramm gehe es „nicht um den Zustand unserer Gesellschaft, sondern
den in der Landesaufnahmestelle Bramsche“, sagt Oetjen.
Dass die Taschengelderhöhung eine „Anreizwirkung“ auf Flüchtlinge ausübe,
sei aber eine „ökonomische Selbstverständlichkeit“, heißt es aus der FDP,
die gerade erst verkündet hat, sich für die Wahl stärker vom
Koalitionspartner CDU abgrenzen zu wollen – vor allem beim Thema
Ausländerpolitik.
18 Sep 2012
## AUTOREN
Teresa Havlicek
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