# taz.de -- Landesverband verzeiht: Renates Rückkehr | |
> Renate Künast ist nach dem Absturz bei der Berlin-Wahl in ihrem | |
> Landesverband rehabilitiert - und kann bei der Urwahl für die | |
> Bundesspitzenkandidatur hoffen. | |
Bild: Wird in Berlin wieder gemocht: Renate Künast. | |
Sie ist zurück: Renate Künast hat wieder breiten Rückhalt in ihrem Berliner | |
Landesverband. Vor einem Jahr hatte die Grüne glücklos versucht, Regierende | |
Bürgermeisterin zu werden, und war dafür beim Landesparteitag abgestraft | |
worden. Nun wird ihr von vielen hiesigen Parteikollegen wieder Kompetenz | |
bescheinigt. Bei der bundesweiten Urwahl für die grüne | |
Bundestagsspitzenkandidatur kann Künast daher in Berlin auf breite | |
Unterstützung hoffen. Das ergab eine taz-Umfrage in den wichtigsten | |
Kreisverbänden. Am Sonntag stellt sich die 56-jährige Fraktionschefin im | |
Bundestag mit 14 anderen Urwahlbewerbern vor. | |
Nach der Abgeordnetenhauswahl am 18. September 2011, bei der die Grünen mit | |
17,6 Prozent zwar ihr bestes Ergebnis in Berlin holten, aber wieder in der | |
Opposition landeten, hatte sich die Kritik gehäuft. Sie betraf ihre | |
Wahlkampfführung, aber auch ihr Programm: Künast habe die grünen Inhalte | |
vernachlässigt und Fachkenntnis sowohl in der Abgeordnetenhausfraktion wie | |
auch in den Bezirken viel zu wenig genutzt. Gerade bei ihrem eigenen | |
Parteiflügel büßte sie an Ansehen ein. Bei einem bundesweiten Treffen | |
führender Realos zu Jahresbeginn gab es nach einer Rede Künasts eisiges | |
Schweigen, wie Teilnehmer berichteten. | |
Inzwischen hat sich der Wind gedreht. „Wir Berliner Realos haben uns mit | |
Renate Künast versöhnt“, sagt Norbert Schellberg, Kreischef in | |
Steglitz-Zehlendorf und einer der Realo-Vordenker im Landesverband. Er geht | |
davon aus, dass Künast bei der Urwahl von den hiesigen Grünen viel Rückhalt | |
bekommen wird. Nicht wenige Sympathien würden aber auch Katrin | |
Göring-Eckardt gelten. Sie ist die zweite Reala unter den „Großen Vier“ im | |
Bewerberfeld, zu dem auch die führenden Parteilinken Claudia Roth und | |
Jürgen Trittin gehören. | |
Ein Grund für die Dissonanzen im Realo-Lager war laut Kreischef Schellberg, | |
dass Künast nach der Wahlniederlage jegliche Koalition mit der CDU für die | |
Zukunft ausgeschlossen hatte. So etwas kam schlecht an bei | |
Parteimitgliedern wie Schellberg, dessen Motto auf der Homepage seines | |
Kreisverbands lautet: „Jede Regierung mit grüner Beteiligung ist besser als | |
jede Regierung ohne grüne Beteiligung.“ Inzwischen sei dieser Disput | |
ausgestanden, so Schellberg, viele Gespräche habe es seither gegeben. „Und | |
seither vertritt Künast diese These nicht mehr.“ | |
Auch im Kreisverband Mitte gilt Künast als rehabilitiert. „Sie hat großen | |
Rückhalt bei den Berliner Grünen – inzwischen wieder“, sagt | |
Vorstandsmitglied Thilo Fuchs. Künast habe viel aufgearbeitet: „Wir sind | |
jetzt wieder im Reinen mit ihr“. Aus Pankow berichtet das dortige | |
Abgeordnetenhausmitglied Andreas Otto, es werde durchaus wahrgenommen, dass | |
Künast weit mehr als früher an der Basis unterwegs sei. „Sie hat sehr wohl | |
reflektiert, was da im vergangenen Jahr passiert ist.“ In ihrem eigenen | |
Wahlkreis in Tempelhof-Schöneberg ist die Unterstützung besonders groß. Die | |
örtliche Grünen-Vorsitzende Birgit Krause spricht von „100 Prozent | |
Sympathie“. Und auch sie fügt ein „wieder“ hinzu. | |
## Sogar Linke loben sie | |
Selbst in Friedrichshain-Kreuzberg, Hochburg der Parteilinken, ist von | |
Respekt gegenüber Künast zu hören. „Es gab ja anderswo Häme über ihre | |
Bewerbung bei der Urwahl – ich kann die nicht teilen“, sagt Werner Heck, | |
Pressesprecher der Kreisparteispitze. „Man kann ja in vielen Dingen nicht | |
mit ihr einer Meinung sein, aber sie ist eine kompetente Politikerin.“ Heck | |
mag nichts prognostizieren, geht aber davon aus, dass das | |
Abstimmungsverhalten „nicht einheitlich“ sein wird. Was hieße, das die | |
Stimmen aus diesem Kreisverband nicht komplett an die linken Kandidaten | |
Roth und Trittin gehen. | |
Wie kam es zu diesem Gesinnungswandel? Für Landeschef Daniel Wesener war | |
der Parteitag Ende März, bei dem Künast erst im zweiten Wahlgang in den | |
neuen Landesparteirat gewählt wurde, ein Wendepunkt. „Renate Künast hat das | |
vergangene halbe Jahr intensiv genutzt, sie hat jeden Kreisverband | |
besucht“, sagt der Parteichef. „Mein Eindruck ist, dass das durchaus auf | |
große Resonanz gestoßen ist.“ | |
Wesener spricht sich dagegen aus, dass nur ein gutes Abschneiden von Künast | |
bei der Urwahl es rechtfertigen würde, sie wieder zur Nummer eins der | |
Grünen-Landesliste für die Bundestagswahl 2013 zu machen. Über diese | |
Kandidatenliste entscheidet die Partei Anfang kommenden Jahres. „Ich finde | |
diese Diskussion falsch, beides zu verbinden“, sagt Wesener. „Wir können | |
nicht einerseits fordern, dass sich unsere Spitzenleute einer Urwahl | |
stellen, und dann, noch bevor es losgeht, darüber spekulieren, welche | |
Folgen ein Ergebnis hat.“ | |
Wie die mehr als 5.300 Berliner Grünen bis zum 30. Oktober abstimmen, wird | |
bei der Auszählung nicht ablesbar sein: Die Urwahlstimmzettel sind | |
einheitlich, nicht nach den Landesverbänden ausgewiesen und gehen direkt an | |
ein Wahlbüro in der Bundeszentrale. Das Ergebnis soll bis zum 9. November | |
vorliegen. | |
22 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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