# taz.de -- Kolumne Boston Buddies #9: Bloß keine Sentimentalitäten | |
> Die deutsche Schuldfrage nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Muffins und | |
> Spiegelei disktuieren? Warum nicht. Ein Sommer in Boston geht zu Ende. | |
Bild: Abschied vom Banjo. | |
Bluegrass statt Country. Ein letzter Abend in Boston. Ich beschließe ihn | |
mit amerikanischer Musik – aber nun mit guter. Der ungewöhnliche Klang des | |
Banjos, der Südstaatenakzent des Sängers, die Stimmung ist perfekt. Keine | |
Sentimentalitäten jetzt. Und bloß keine Nacherzählung der Highlights eines | |
Sommers, das langweilt nach dem ersten Absatz. | |
Die Buddies sollten diese Kolumne beschließen. „In Boston lernt man | |
niemanden kennen, die Bostoner sind nicht offen.“ Das hörte ich überall in | |
den ersten Tagen in der neuen Stadt. Die Bostoner kennen sich selbst | |
schlecht. | |
Reiche Republikaner, arme Schuhputzer, junge Hipster und alte | |
Geschichts-Nerds, sie alle waren offen, sie alle suchten das Gespräch, das | |
über eine simples „How is it goin'?“ hinaus ging. Ob ich noch einmal | |
zwischen Muffins und Spiegelei über die Frage der „German guilt“ nach dem | |
Zweiten Weltkrieg diskutieren möchte, weiß ich nicht so genau. Ein Erlebnis | |
war auch das, genau wie der Missionierungsversuch des spirituellen | |
Schuhputzers oder die zahlreichen politischen Diskussionen. | |
Aber hier sollte ja nicht mit Nacherzählungen gelangweilt werden. Den Blick | |
nach vorn richten, nicht zurück. Doch der Blick nach vorn beinhaltet in | |
einem kleinen Winkel auch immer die Erinnerungen an das Vergangene. Der | |
fast vorübergehende Sommer wird zukünftige Sommer prägen. Er wird neue | |
Freunde in die Heimat bringen, er hat Perspektiven verändert. | |
Die Stimme meiner Buddies, manche von ihnen nach neun Wochen mehr als nur | |
Bekannte, übertönt das Banjo. „Was war das beste an Deinem Sommer in | |
Boston?“ „Was hat dir am besten gefallen?“ Sie, die Buddies. All die, die | |
an diesem Abend mit mir Bluegrass hören, all die, die einen Abend oder | |
einen Kaffee lang ihre Geschichten mit mir geteilt haben und aus einer | |
anonymen eine greifbare, aufregende Stadt gemacht haben. Ich geb’s zu, die | |
Wochenenden in Main, der Besuch bei Ben & Jerry’s und die ein oder andere | |
Kneipe waren auch nicht schlecht. Wie das Cantalab mit seinen | |
Bluegrass-Bands. | |
Der letzte Song ist gespielt, die Gläser geleert. | |
Im Bus raus aus der Stadt ein letzter Blick zurück. Die ersten Blätter | |
färben sich rot, die Sommer ist fast vorbei. Vier Buchstaben. Aus Boston | |
wird Berlin. | |
30 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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