| # taz.de -- Kolumne Boston Buddies #7: Republikaner im Regen | |
| > Mit einem smarten Republikaner über Energiesparlampen zu diskutieren, | |
| > verändert nicht den Wahlausgang. Durchaus aber die Wahrnehmung. | |
| Vermont im Regen ist wie jeder andere Ort im Regen - außer dem Meer, das | |
| manchmal dann noch ein bisschen schöner wird – nicht unbedingt | |
| empfehlenswert. Daran ändert weder das hübsche Hotel noch die wundervoll | |
| pittoreske Hauptstraße von Woodstock etwas. Von der natürlich nichts zu | |
| sehen ist, zumal es um 19 Uhr stockdunkel ist. | |
| Ich bin genervt und verfluche welches Tief auch immer, das mir den ersten | |
| Regentag in sechs Wochen bringt. Um nicht in eine Wetterdepression zu | |
| verfallen, denn dafür war ich nun wirklich noch nie der Typ, laufe ich doch | |
| noch durch den Regen Richtung pittoresker Hauptstrasse. Die romantisch | |
| beleuchteten Restaurants mit weißen Tischdecken lasse ich hinter mir – das | |
| muss nun wirklich nicht sein – und gehe lieber in die Kneipe an der Ecke, | |
| in der das Licht heller scheint und die Musik lauter spielt. | |
| Und das „Bentleys“ sollte mich überraschen. Zunächst jedoch wenig positiv. | |
| Hunderttausende von Touristen scheinen keinen Unterschied zu machen, mein | |
| Personalausweis wird nicht als legales Dokument akzeptiert. Auch nicht die | |
| Tatsache, dass ich die 21 seit geraumer Zeit hinter mir gelassen habe. | |
| Meinen Reisepass trage ich nicht durch jede Einöde. (Die organisierten | |
| Frankfurter zwei Tische weiter hatten ihren Pass natürlich dabei, die 40 | |
| aber auch schon deutlich überschritten.) | |
| Nachdem ich zu meinem Ausweis noch meinen Führerschein lege, entscheidet | |
| man sich schließlich dafür, den Verdienst im deutschen Gast zu suchen. Sie | |
| würde nie mehr nach ihrem Ausweis gefragt werden, ich solle es unbedingt | |
| als Kompliment nehmen, raunt mir da auf einmal eine Dame neben mir mit | |
| australischem Akzent zu. Ihr Alter verrät Philippa mir nicht, das absolut | |
| faltenfreie Gesicht lässt nicht mehr als grobe Schätzungen zu. Gatte | |
| Andrew, Amerikaner, ist 50. | |
| ## Pendeln gegen das Burnout | |
| Andrew und Philippa sind Pendler. Sie pendeln zwischen Woodstock, New York | |
| und Adelaide, Australien. Adelaide gegen das Heimweh, Woodstock gegen das | |
| Burnout, New York gegen alles andere. Andrew ist in der Softwarebranche, | |
| Philippa ist stets mit einem Touristenvisum unterwegs – „die Steuern, | |
| unmöglich“! | |
| In einem traditionell demokratisch orientierten Bundesstaat wie Vermont ist | |
| Erfolgsmann Andrew einer der wenigen Republikaner. Und keiner der | |
| verrückten Tea-Party-Hardcore-Fanatiker, die Europäer so gern belächeln. | |
| Andrew ist smart, sachlich und hat Substanz, die Diskussion wird | |
| interessant. Philippa moderiert – und bestellt Drinks | |
| Fast 20 Minuten debattieren wir über die Macht des Einzelnen etwas zu | |
| verändern – am Für und Wider von Energiesparlampen und deren Entsorgung. | |
| Ich glaube daran, dass der Einzelne etwas bewegen kann, Andrew an die | |
| Trägheit der Leute, die durch falsche Entsorgung der giftigen Inhaltsstoffe | |
| alles kaputt machen. Energiesparlampen benutzen wir trotzdem beide. | |
| In den großen Fragen Steuern, Sozialsystem und Gesundheitsreform kommen wir | |
| nicht so leicht zusammen, zu weit liegen wir in zentralen Fragen | |
| auseinander. Doch völlig absurd finde ich nur sehr wenig, was Andrew sagt. | |
| Nach zwei Stunden mache ich mir etwas weniger Sorgen, sollte Mitt Romney | |
| der nächste Präsident werden – auch, wenn ich Andrews Wahlentscheidung gern | |
| ins Wanken gebracht hätte. | |
| Als ich gehe, hat es aufgehört zu regnen. Am nächsten Morgen scheint die | |
| Sonne. Vermont ist doch ganz nett. | |
| 16 Sep 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Rieke Havertz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |