# taz.de -- Die Bonner Bundesministerien-Lobby: Die Wacht am Rhein | |
> Bis heute arbeitet fast die Hälfte der Bundesregierung in Bonn. Die | |
> Lobby, die diesen Zustand verteidigt, ist geschickt. Aber die Zeit spielt | |
> gegen sie. | |
Bild: So schön! Auch das Verteidigungsministerium sitzt immer noch in Bonn. | |
BERLIN/BONN taz | Neulich haben ihm seine Genossen schon wieder den Tag | |
versaut. Mittwochs hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber die | |
Kinder, und ausgerechnet an diesem Tag stimmten seine Parteifreunde im | |
Haushaltsausschuss anders, als er sich das gewünscht hatte. Als die Linke | |
beantragte, über den Umzug von Bonn nach Berlin zu diskutieren, enthielten | |
sich einige SPDler nur, statt dagegen zu stimmen. Eine Gefahr für den | |
Bonner Kelber. Den ganzen Tag über musste er die Leute in der Heimat | |
beruhigen. Das Feuerlöschen klappte. Noch. | |
Wer die Bonner Ministerien antastet, bekommt es mit Kelber zu tun. Wenn der | |
44-Jährige, ein großer, schwerer Mann, vom Schreibtisch aufsieht, blickt er | |
aufs Brandenburger Tor. Aber bei seiner Arbeit geht es Kelber vor allem um | |
seine Heimat. „Bonn hat den Wandel gut bewältigt“, sagt Kelber mit sonorer | |
Stimme. Eine glatte Untertreibung. | |
Dass es Bonn prächtig geht, zeigen die Zahlen: Allein der sogenannte | |
Ausgleichsvertrag aus dem Jahr 1994 sicherte der Stadt 2,81 Milliarden Mark | |
zu. Unter anderem für eine ICE-Anbindung, für vom Bund überlassene | |
Grundstücke, Kulturveranstaltungen und das World Conference Center. Seit | |
dem Wegzug der halben Regierung hat sich Bonn vergrößert: Die Einwohnerzahl | |
stieg um 10 Prozent auf 325.000. | |
Zudem ist die Beschäftigtenzahl seit 1991 um rund 20.000 gestiegen, ein | |
Plus von etwa 15 Prozent. Allein die ehemaligen Bundesunternehmen Post, | |
Postbank und Telekom haben in Bonn rund 25.500 Beschäftigte. Was spricht | |
heute noch dafür, rund 8.500 Ministeriumsstellen hier zu halten? | |
„Wenn die gingen“, sagt Kelber in seinem Berliner Abgeordnetenbüro, „dann | |
wäre das, als würde VW Niedersachsen verlassen“. An den Beamten hingen | |
weitere 20.000 Mitarbeiter der UN-Organisationen und der | |
Kultusminsterkonferenz. Diese zögen nun mal dahin, wo die Politik gemacht | |
wird. Aber stimmt das? Hängt Bonns Wohlstand allein an der Politik? | |
## Alles neu gebaut | |
Wieland Münch fährt seinen schwarzen BMW über die Adenauerbrücke. Münch ist | |
Immobilienmakler. Unter der Brücke fließt der Rhein. Rechts kommt der | |
„Bonner Bogen“ in Sicht, lange eine der wenigen Baulücken der Stadt. Heute | |
stehen hier Hotels und Bürogebäude mit spektakulärem Panoramablick. „Das | |
ist fast alles neu gebaut“, sagt Münch. Er lenkt den Wagen auf das Gelände, | |
langsam fährt er vorbei an Stahl und Glas. Münch zählt auf: „Nokia-Siemens. | |
Hotel Kameha – unheimlich gut gebucht. Und hier ist Adidas.“ | |
Münch, 41 Jahre alt, kahl rasiert, kräftiger Händedruck, hat einen | |
undankbaren Job. In einer Stadt, in der kaum Büros und Wohnungen leer | |
stehen, verdient er sein Geld mit deren Verkauf und Vermietung. Dennoch hat | |
er Glück. Die Preise sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Münch | |
zeigt auf eine Baustelle: „Lückenschließung, Rheinblick. Vor zwei, drei | |
Jahren hätte ich 2.500, 3.000 Euro pro Quadratmeter bekommen. Heute: | |
4.000“, sagt er. „Und hier, noch ein Neubau. Zu wuchtig, finde ich, aber: | |
6.000 Euro.“ Wer kann sich so was leisten? „Das sind ganz andere Einkommen, | |
über die wir hier reden. Nicht die von Beamten.“ | |
Falls die Ministerialbeamten nach Berlin zögen, würde die Exhauptstadt also | |
nicht auf einen Schlag arm. Aber Bonn-Liebhaber wie SPD-Mann Kelber | |
argumentieren auch mit den Kosten: Ein Umzug, meint Kelber, würde mehrere | |
Milliarden Euro kosten – manche Verwaltungsexperten schätzen: 10 | |
Milliarden. Hingegen liegen die sogenannten Teilungskosten, die der | |
Bundesrechnungshof ermittelt hat, bei jährlich unter 10 Millionen Euro. | |
Geht es um die rheinischen Pfründen, steht eine erstaunliche Phalanx. | |
Direktmandatsinhaber Kelber ist stolz auf seine Allparteienkoalition. Im | |
Kern besteht sie aus den Abgeordneten Kelber, Katja Dörner (Grüne) und Paul | |
Schäfer (Linke). Die Zusammenarbeit läuft informell. Meldet sich ein | |
Politiker mit der Forderung, die Regierung vollständig in Berlin | |
anzusiedeln, schickt einer der drei eine SMS an die anderen beiden: Sollen | |
wir darauf reagieren oder es ignorieren? Lautet die Antwort „reagieren“, | |
schreiben sie eine schmissige Pressemitteilung. | |
## Mehr als drei Provinzdödel | |
Die Grüne Katja Dörner findet daran nichts Anrüchiges. „Es ist mitnichten | |
nur die NRW-Macht, die zieht. Die anderen, auch Grüne, haben einfach keine | |
guten Argumente für einen Umzug.“ Auch Paul Schäfer lobt die | |
Zusammenarbeit. Allerdings habe ihm nicht so recht gefallen, als Kelber und | |
Dörner nach dem Rauswurf von Umweltminister Norbert Röttgen beklagten, nun | |
sei Bonn nicht mehr im Kabinett vertreten. „Das ist mir zu regional | |
fixiert“, sagt er. „Ich bin kein Provinzdödel.“ | |
Wer glaubt, die Bonn-Lobby bestünde nur aus drei Provinzdödeln, | |
unterschätzt sie. Wenig überraschend ist, dass sich die Vertreterin des | |
Rhein-Sieg-Kreises im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), | |
parteiintern für Bonn starkmacht. Gewicht in die Waagschale warf auch der | |
Bonner Guido Westerwelle – bis zum Aufstieg ins Außenamt. | |
Wie stark die Aufpasser sind, weiß Johannes Kahrs. Der Hamburger | |
SPD-Abgeordnete spricht von einer „Bonn-Mafia“. Kahrs ist ein Verfechter | |
des Umzugs an die Spree. Bonn sei vielen Abgeordneten, vor allem den | |
jüngeren, mittlerweile „relativ huppe“. | |
Doch ein Umstand führt immer wieder dazu, dass bislang nichts geschieht: | |
Bis heute stammt ein Viertel der Bundestagsabgeordneten aus NRW. Vor Wahlen | |
gebe es dann „immer wieder Ansagen“, das Thema nicht zu forcieren, | |
berichtet Kahrs. Einen Umzugsbeschluss durchzusetzen sei „relativ | |
schwierig“. Dafür müssten zunächst in den Parteien Mehrheiten entstehen. | |
Die Chance dafür gebe es stets nur zwei oder drei Jahre nach einer | |
Bundestagswahl. Dann drückten schon wieder anstehende Wahlen in NRW. | |
Einer der hartnäckigsten Umzugsverfechter ist der Linken-Abgeordnete Roland | |
Claus. Fast schon traditionell bringt er Anträge ins Parlament, den Umzug | |
zu vollenden. Auch er räumt ein, dass er vor NRW-Wahlen „ein wenig | |
Rücksicht“ nehme. Er rechnet damit, dass der Bundestag im Oktober erneut | |
über seinen Antrag debattieren wird. Er muss schon damit zufrieden sein, | |
dass er bisher stets verhindern konnte, dass die Aussprache für die | |
Nachtstunden angesetzt oder die Redebeiträge nur zu Protokoll genommen | |
werden. | |
## 80 Versetzungen abgelehnt | |
Auch die Ministerialbürokratie bremst, wie das | |
Bundesverteidigungsministeriums beweist. Thomas de Maizière (CDU) forciert | |
den Umzug möglichst vieler Ministeriumsmitarbeiter. Der Bonner Personalrat | |
hält dagegen. Eigentlich will der Minister 360 Dienstposten nach Berlin | |
verlagern. Der Personalrat lehnte rund 80 Versetzungen ab, denn diese | |
verstießen gegen das Bonn-Berlin-Gesetz. Bei der Entscheidung, welche | |
Stellen an welchem Dienstort angesiedelt sind, muss zwar die | |
Ministeriumsspitze den Personalrat nur anhören, geht es aber darum, | |
konkrete Personen von der einen in die andere Stadt zu versetzen, hat der | |
Personalrat in jedem Fall ein Mitbestimmungsrecht. | |
Trotzdem gibt sich Roland Claus hoffnungsvoll: „Der Trend läuft für uns.“ | |
Denn de facto findet der Umzug schon statt, unter der Hand. Offiziell haben | |
die Bundesministerien für Verteidigung, Verbraucherschutz, Umwelt, | |
Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheit sowie Bildung und Forschung ihren | |
Hauptsitz in Bonn. Doch die Mitarbeiter bekommen ihre Ressortchefs nur | |
selten zu sehen. Sie arbeiten in Berlin. Das ist kein Zufall, sondern | |
klammheimliche Strategie in den meisten Ministerien mit Erstsitz in Bonn. | |
Schon heute werde in manchen Berliner Ministerien mehr Platz für womöglich | |
umziehende Beamte aus Bonn „schamhaft vorgehalten“, berichtet Kahrs. | |
Ähnlich argumentiert Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Er | |
sprach sich schon 2011 dafür aus, „die Regierungsfunktionen in den nächsten | |
Jahren Schritt für Schritt zusammenzuführen“. Es gehe nicht um einen | |
Donnerschlag, so Thierse, „sondern um die Entscheidung für einen | |
Umzugsfahrplan“. Alle Regierungsfunktionen gehörten nach Berlin, „bestimmte | |
politische Dienstleistungen können in Bonn bleiben“. Das Bonn-Berlin-Gesetz | |
sei „nicht für die Ewigkeit gemacht“. | |
In der Unionsfraktion sind solche Stimmen auch zu hören, nur leiser. | |
Immerhin rang sich Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2011 zu der | |
Aussage durch, das Bonn-Berlin-Gesetz sei „grundsätzlich einzuhalten“, | |
Änderungen seien nur im Einvernehmen möglich. | |
## Unerhörte Trickserei | |
Eine Möglichkeit, das Problem zu lösen, sehen Befürworter des Umzugs im | |
Beispiel des Bundesamts für Justiz (BfJ). 2007 tat die damalige | |
Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) etwas Unerhörtes: Sie trennte einen | |
großen Teil ihres Ministeriums in Bonn einfach ab. Rund 350 | |
Ministeriumsmitarbeiter bildeten nun eine eigene Oberbehörde, unter anderem | |
zuständig für Rechtshilfen in internationalen Strafsachen und | |
Auslandsadoptionen. | |
Dadurch waren sie nicht mehr Teil des Ministeriums, ihm aber weiterhin | |
untergeordnet. Ein Trick, der funktioniert: Die Mitarbeiter konnten in Bonn | |
bleiben. Allerdings ist das BfJ hervorgegangen aus dem | |
Bundeszentralregister, das 1999 von Berlin nach Bonn zog – noch so eine | |
Ausgleichsmaßnahme. Das spätere Bundesamt war also schon größtenteils | |
selbstständig, bevor es das 2007 auch offiziell wieder wurde. | |
In einer alten Villa hat Werner Jann sein Büro. Wenn er aus dem Fenster | |
schaut, sieht er den S-Bahnhof Griebnitzsee; von hier ist es nicht weit | |
nach Berlin. Jann hat den Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Verwaltung und | |
Organisation der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der | |
Universität Potsdam inne. Schon vor zwanzig Jahren schlug er ein | |
„Abschichtungsmodell“ vor, eine Art Vorwegnahme eines Verfahrens, wie es | |
später das Bundesjustizministerium nutzte. „Alle Abteilungen eines | |
Ministeriums, die nicht direkt dem Minister zuarbeiten, sollten in Bonn | |
bleiben können, die anderen sollten nach Berlin.“ | |
Es gehe heute gar nicht mehr um einen Komplettumzug, meint Jann: „Man | |
sollte nur die Fiktion beenden, der Hauptsitz einiger Ministerien sei noch | |
in Bonn. Der Sitz aller Ministerien sollte in Berlin sein.“ Denn: „Bonn ist | |
Zweite Liga, was die Bundespolitik angeht, das wissen auch alle. Bonn | |
müsste sich von der Lebenslüge verabschieden, es sei noch Bundesstadt.“ Es | |
scheint, dass selbst die Bonn-Lobbyisten mit solch einer Lösung leben | |
könnten. „Verwaltungsaufgaben muss man nicht umziehen lassen“, sagt Ulrich | |
Kelber. Das koste bloß Geld. „Ich wäre offen für so eine Variante“, sagt | |
Paul Schäfer. Letztlich geht es vielen nicht um den Regierungssitz, sondern | |
um Arbeitsplätze – und Wählerstimmen. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
P. Gessler | |
M. Lohre | |
## TAGS | |
Stadtplanung | |
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