# taz.de -- Kommentar Proteste in Frankreich: Kein Präsident ohne Volk | |
> Französische Linksregierungen haben immer den Druck der Straße gebraucht | |
> um ihr Programm umzusetzen. Das ist heute so gültig wie schon 1936. | |
Wer Sachzwänge als Schicksal verkaufen will, bringt sich selbst in neue | |
Zwangslagen. Das haben Zigtausende von Demonstranten in Paris „ihrem“ | |
sozialistischen Präsidenten François Hollande dankenswerterweise in | |
Erinnerung gerufen. | |
In Frankreich steht die Ratifizierung des EU-Fiskalpakts an. Die | |
Linksregierung braucht also Druck der Straße. Sie braucht die Mobilisierung | |
der Bürgerinnen und Bürger, um politische Ziele zu erreichen, die im Namen | |
der ewigen Sachzwänge als utopisch oder womöglich in der EU als | |
unverantwortlich verschrieen werden. | |
Ohne Unterstützung durch Demonstrationen, Streiks und andere Formen der | |
direkten Einmischung der Betroffenen hat noch keine Linksregierung ihr | |
eigenes Programm auch nur ansatzweise verwirklichen können. | |
Das weiß man in Frankreich seit der Volksfrontregierung von 1936. Nur unter | |
dem massiven Druck aus den Fabriken hat diese erstmals den bezahlten Urlaub | |
gegen den Widerstand der Patrons eingeführt. Auch als der Sozialist | |
François Mitterrand 1981 Präsident wurde, brauchte die aktive Hilfe der | |
vereinten Linken, damit die Todesstrafe abgeschafft, das Rentenalter | |
gesenkt und andere Sozialreformen durchgeführt wurden. | |
Sobald dieser Druck nachließ, begann die zuerst schleichende und dann fast | |
automatische Unterordnung unter die Marktgesetze. Die linken | |
Straßenproteste gegen eine „auf ewig“ im Gesetz verankerte Schuldenbremse | |
warnen darum den sozialistischen Staatspräsidenten aus der geschichtlichen | |
Erfahrung davor, einen Pakt mit dem Sparteufel mit dem Herzblut seiner | |
eigenen Wähler zu unterschreiben. | |
Denn er beraubt sich damit selber eines Teils der institutionellen Macht, | |
ihre Interessen gegen die „Sachzwänge“ der Finanzwelt zu verteidigen. Der | |
linke Präsident braucht das linke Volk, ob dieses ihn so zwingend benötigt, | |
ist weniger sicher. | |
1 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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