# taz.de -- Solo-Ausstellung Halil Altindere: Wenn ich nicht tanzen kann | |
> Halil Altindere ist eine Schlüsselfigur der Kunstszene in der Türkei. In | |
> Berlin ist jetzt seine erste Einzelausstellung in Deutschland zu sehen. | |
Bild: Fremd im eigenen Land: Halil Altinderes Leuchtkasten mit C-Print No Man�… | |
„Glücklich ist, wer sich Türke nennen darf.“ Wer das überall in der Tür… | |
plakatierte Motto des Staatsgründers Atatürk kennt, kann ermessen, was es | |
bedeutete, als der Künstler Halil Altindere im Jahr 1997 seinen türkischen | |
Personalausweis vergrößerte und an eine Passdruckerei in Istanbul hängte. | |
Der 1971 in Mardin geborene Künstler ist nämlich kurdischer Abstammung. Und | |
noch bis vor wenigen Jahren war es tabu, die heilige türkische Nation und | |
ihre Symbole kritisch zur Schau zu stellen. | |
Es ist einigermaßen verwunderlich, dass dieser Mann noch nicht in einer | |
Soloshow in Deutschland vorgestellt worden ist. Denn Altindere gehört zu | |
den Schlüsselfiguren der zeitgenössischen Kunstszene in der Türkei, | |
zusammen mit Künstlerinnen wie der im Jahr 1946 geborenen Gülsün | |
Karamustafa oder Hale Tenger. Jahrgang 1960 leitete er zu Beginn der | |
neunziger Jahre eine neue Politisierung der türkischen Kunstszene ein. | |
## Repräsentationskritik an den Tabus | |
Migration, Identität und Geschlecht waren die Themen, mit denen die | |
sogenannte 95er-Generation sich von der alten Künstlerelite absetzte, die | |
sich noch an der Soz-Art oder der westlichen Abstraktion orientierte, sich | |
mit ihrer, in der Form spielerischen, in der Sache harten | |
Repräsentationskritik an den Tabus und Symbolen der türkischen Gesellschaft | |
abarbeitete. Und die sich neue Medien wie Video, Performance oder | |
Installation erschloss. | |
Wenn Altindere einen Transvestiten im T-Shirt mit der Aufschrift „Türkiye“ | |
fotografiert, definiert er die Macho-Nation von ihren Minderheiten her. Und | |
wenn er in dem Video „Dengbejs“ kurdische Männer in einem Istanbuler | |
Hinterhaus Geschichten erzählen lässt, definiert er den kemalistischen | |
Gründungsmythos der „einheitlichen türkischen Nation“ von ihren | |
verleugneten und blutig unterdrückten Volksgruppen her. | |
Im Jahr 1999 gab Altindere die Kunstzeitschrift art-ist heraus und | |
organisierte Ausstellungen, blieb in erster Linie aber immer Künstler. Sein | |
wichtigster Mentor und Verbündeter war Vasif Kortun. Der unabhängige | |
Kurator, der heute Direktor des SALT-Kunsthauses in Istanbul ist, sprach | |
von der 95er-Generation als Künstlern, „die politische Stücke produzierten, | |
ohne politisch organisiert zu sein“. | |
Ihr „Erfolg“ ließ nicht lange auf sich warten: Für seine Arbeit mit den | |
vergrößerten Personalausweisen war Altindere als erstem türkischem Künstler | |
eine parlamentarische Untersuchung angedroht worden, wegen Verunglimpfung | |
des türkischen Ausweises. Die Istanbul-Biennale, auf der er die Werke | |
ausgestellt hatte, hatte ihren Skandal. | |
„An attack on my art is an attack on socialism and progress“ – die auf die | |
Wand gesprühte Parole, die den Besucher der von dem türkischen Koc-Konzern | |
gesponserten Kunsthalle Tanas empfängt, sieht nach klassischer Politkunst | |
aus. Doch die Arbeit „Hommage to Mladen Stilinovic zielt auf das | |
Ironiekonzept des fast gleich alten serbischen Neokonzeptualisten. | |
## Poesie und ästhetische Strenge | |
Denn wenn man etwas vergebens sucht in Altinderes Kunst, dann | |
revolutionäres Pathos. Wohl aber findet man Poesie und ästhetische Strenge. | |
Einer Arbeit hat Altindere „If I can’t dance, I don’t want to be part of | |
your revolution“ genannt – nach dem Motto der amerikanischen Anarchistin | |
Emma Goldman. Die handgefertigte Goldkette auf dem Foto hat er einer jungen | |
Frau um den Hals gehängt, die ein T-Shirt in der Anarchistenfarbe Schwarz | |
trägt. | |
Wie Stilinovic kleidet Altindere seine Kritik immer in ironische Paradoxe. | |
Wenn er in seiner Arbeit „Das Kapital“ von 2009 in Marx’ Hauptwerk mit | |
Hilfe eines Lasers ein Loch in Form einer Pistole schneidet, will er an die | |
mörderischen Folgen einer allzu gläubig verfolgten Ideologie erinnern. | |
Wenn er in der Arbeit „No Man’s Land“ einen Raumfahrer auf einem historis… | |
aufgezäumten Pferd in die prähistorische Vulkanlandschaft Kappadokien | |
stellt, symbolisiert er, wie oft in der Türkei Fortschritt und vergessene | |
Geschichte unvermittelt nebeneinander existieren. Und wenn er auf einer | |
türkischen Banknote den Staatsgründer Atatürk die Hände vor das Gesicht | |
schlagen lässt, demonstriert Altindere seine Hauptwaffen: Ironie und Humor. | |
Selbst da, wo er die gefährdete Rolle des Künstlers in der Türkei | |
anspricht, wirkt sein Werk noch wie eine surrealistische Performance: In | |
dem Video „Who shot the artist“ von 2009 sieht man Altindere in einer | |
Istanbuler Shopping Mall auf den Zuschauer zugehen. Plötzlich fallen | |
Schüsse, der Künstler ist getroffen, das Blut beginnt aus seiner Brust zu | |
spritzen. Trotzdem lässt er sich nicht von seinem improvisierten Referat | |
über die türkische Kunstszene abhalten. | |
Die Arbeit ist näher an der türkischen Realität, als man denkt. Zwei Jahre | |
nach ihrer Entstehung wurde in Istanbul auf offener Straße ein Attentat auf | |
den türkischen Maler Bedri Baykam verübt, als er öffentlich gegen den | |
Abriss eines Denkmals protestierte. | |
Aber Altindere wusste ja, auf was er sich einließ, als er beschloss, ein | |
Künstler zu werden, der, wie er es sagte, „nicht im Atelier auf Inspiration | |
wartet“. | |
Halil Altindere: „Infinity has no accent“. Tanas-Kunstraum. Noch bis zum | |
24.11. Booklet 4 Euro | |
4 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## TAGS | |
Kunst Türkei | |
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