# taz.de -- Felsentherme von Vals: Ein neuer Investor | |
> In Vals hat man bisher nur wenig falsch gemacht. Unverständlich ist | |
> daher, die berühmte Therme an einen Immobilienhändler zu verkaufen. | |
Bild: Die berühmte Therme von Zumthor ist nur von innen schön. | |
Wieder tauchen geheimnisvolle Wesen aus dem Nebel auf. Nur aus Kopf und | |
Oberkörper bestehend, bewegen sie sich wie in Zeitlupe über die dampfende | |
Wasseroberfläche – zuerst ein glatzköpfiger Senior, dann eine Gestalt mit | |
zwei Köpfen –, ein junges Pärchen, das miteinander verwachsen scheint. | |
Reißt der Dunst einen Moment lang auf, zeigen sich verschneite Gipfel, auf | |
dem das Mondlicht ruht. Trotz dieser gespenstischen Szenerie fühlt man sich | |
irgendwie geborgen: Das bis zur Brust reichende Thermalwasser ist | |
türkisgrün, glasklar und 30 Grad warm. | |
Gegen Mitternacht ist es in der Valser Felsentherme am schönsten. Zum einen | |
gilt nun ein Schweigegebot, zum anderen haben ausschließlich die Hotelgäste | |
Zutritt. Und die nutzen die nächtliche Badestunde oftmals gar nicht. | |
Tagsüber herrscht dagegen einiger Andrang. Peter Zumthors frühes | |
Meisterwerk ist für Architekturfreaks ein absolutes Muss. Täglich pilgern | |
Menschen aus aller Herren Länder in das von wilden Dreitausendern umgebene | |
Bergdorf, um sich dem hochgelobten Bauwerk in Bademontur zu nähern. | |
160.000 Bade- und 60.000 Hotelgäste werden jedes Jahr gezählt. An | |
Wochenenden sind die 150 Zimmer fast immer ausgebucht. Tagesgäste haben es | |
dann besonders schwer – sie müssen Monate vorher reservieren. | |
Man könnte von Goldgrube reden, wäre da nicht der abgetakelte Hotelbereich | |
aus den sechziger Jahren. Am offensichtlichsten ist der Investitionsstau in | |
den fünf- bis achtstöckigen Außenhäusern. Zwar hat hier jedes Zimmer einen | |
hübschen Balkon, der Innenraum erinnert jedoch eher an die Kajüte einer | |
alten Hochseejacht. Die Betten werden aus Schrankwänden ausgeklappt, man | |
schläft irritierend hoch über dem Boden. Betreten wird die schmale | |
Zimmerflucht über eine stillgelegte Kochnische. Der Eingangsbereich ist so | |
eng, dass man seine Gepäckstücke einzeln nach drinnen tragen muss. | |
In diesen gesichtslosen Wohntürmen ist erst mal keine umfassende | |
Modernisierung zu erwarten. Denn die meisten Zimmer sind seinerzeit als | |
Appartments verkauft worden, vor allem an Deutsche, die man erst mal mit an | |
den Tisch bekommen müsste. Alles in allem müssen in den nächsten Jahren | |
mindestens 50 Millionen Schweizer Franken investiert werden. | |
## Der Gemeinde fehlt das Geld | |
Der Besitzer der Gesamtanlage, die Gemeinde Vals, kann solche Summen | |
unmöglich aufbringen. Kein Wunder also, dass der Verwaltungsrat schon | |
länger nach einem privaten Investor Ausschau hielt. Ungewöhnlich ist aber, | |
dass das vierköpfige Gremium Ende letzten Jahres eine Art Vorvertrag mit | |
einem international agierenden Immobilienhändler abschloss, ohne zuvor mit | |
dem Gemeinderat Rücksprache gehalten zu haben. | |
Zum Politikum wurde das Gemauschel aber nur deshalb, weil Peter Zumthor nun | |
seinerseits nach Geldgebern Ausschau hielt und auf die vorliegenden | |
Übernahmepläne mit einem Gegenangebot reagierte. Was sich in den folgenden | |
Monaten in der Gemeinde abspielte, spottet jedoch jeder Beschreibung. Rund | |
um Zumthors Intimfeind, den Steinbruchbesitzer Pius Truffer, formierte sich | |
eine lautstarke Gruppe, die sich hinter den Verwaltungsrat stellte und alle | |
Register zog, um den Sieg des Architekten zu verhindern. | |
## Auf Stimmenfang | |
Um auch die Dorfjugend ins Wahllokal zu locken, wurde ihr der zusätzliche | |
Bau einer Mehrzweckhalle versprochen, der noch in diesem Jahr beginnen | |
sollte. Die Strategie ging auf: Bei der entscheidenden Abstimmung waren | |
auch die im Saal, die niemals zuvor an einer Gemeindeversammlung | |
teilgenommen hatten, und der Schöpfer der Therme wurde abserviert. Seine | |
Gegner hatten das Ressentiment gegen die „Kulturbringer aus der Stadt“ | |
bedient, das in Bergdörfern weit verbreitet ist. | |
Deshalb ist es auch nicht selbstverständlich, dass man den | |
Künstlerarchitekten aus Haldenstein seinerzeit die Therme bauen ließ. In | |
gewachsenen Bergdörfern hat man üblicherweise wenig Verständnis für | |
extravagante Bauwerke, schon gar nicht, wenn sie 27 Millionen Franken | |
verschlingen. | |
Ein Wunder war es dennoch nicht, dass Zumthors Antispaßbad seinerzeit eine | |
Mehrheit bekam. Denn die Valser waren schon lange nicht mehr die | |
geschlossene Gesellschaft weltabgeschiedener Bergbauern, als die sie so | |
gern belächelt werden. | |
## Eine Klappe, zwei Fliegen | |
Schon 1948 wurden die Weichen in die Zukunft gestellt. Man unterzeichnete | |
den Konzessionsvertrag mit einer Kraftwerksgesellschaft, die nun oberhalb | |
des Orts einen riesigen Staudamm baute. So hatten die Nachfahren der | |
deutschsprachigen Walserbauern zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. | |
Zum einen war ihr Dorf vor weiteren Überschwemmungen gefeit, zum anderen | |
brachte das Kraftwerk Arbeit und Geld ins Tal. | |
Die neuen finanziellen Spielräume entfesselten eine in Bauerndörfern sonst | |
unbekannte wirtschaftliche Dynamik. So begann man das Wasser der einzigen | |
Thermalquelle Graubündens in Flaschen abzufüllen und als Mineralwasser zu | |
verkaufen. 1960 gingen die Rechte vorübergehend an den deutschen | |
Industriellen Kurt Vorlop, den Begründer der Getränkedynastie Vorlo. | |
Vorlop war es auch, der den bescheiden angelaufenen Badetourismus zum | |
großen Geschäft auszubauen versuchte. Mitte der sechziger Jahre ließ er | |
anstelle des Thermenhotels aus der Jugendstilzeit vier Appartmenttürme mit | |
tausend Betten in die Landschaft setzen - ohne Rücksicht auf Ort oder | |
Material. | |
## Das erste hochalpines Thermalbad | |
Während sich im Dorf noch die Ziegen und Schafe tummelten, stand am | |
Ortseingang nun das „erste hochalpine Thermal-, Mineral-, Wellen- Hallen- | |
und Freibad Europas“. | |
Die Freude über den Einzug der urbanen Architektur sollte aber nicht lange | |
anhalten. Als Vorlop die Wohnblöcke samt Hotel und Kurmittelabteilung | |
kurzerhand weiterverkaufte, begannen die ersten Valser zu ahnen, dass man | |
auf das dünne Eis der Immobilienspekulation geraten war. | |
Über- und unterdimensioniert zugleich, verwandelte sich das Vorzeigeprojekt | |
innerhalb nur eines Jahrzehnts zum Negativbeispiel einer überzogenen | |
Planungseuphorie. Schließlich landete es in den Händen der Banken, die | |
keinen neuen Käufer fanden und mit der endgültigen Schließung drohten. Um | |
dies zu verhindern erwarb die Gemeinde den gesamten Komplex. | |
## Ein Volltreffer | |
In dieser Lage erwies sich der Neubau der Therme als Volltreffer. Und dies | |
ausgerechnet dadurch, dass Zumthor mit der Logik der architektonischen | |
Moderne brach und ein Gebäude schuf, das aus nichts anderem bestand als aus | |
den vor Ort vorhandenen Elementen Stein, Wasser und Licht. | |
Dieses „Zurück zum Lokalen“ löste eine wirtschaftliche Kettenreaktion aus, | |
der Vals seine heutige Sonderstellung verdankt. | |
Nicht nur in der Gastronomie, auch im produzierenden Gewerbe stieg die Zahl | |
der Arbeitsplätze deutlich an. Durch seine Verwendung in der Therme war der | |
vor Ort gebrochene Quarzit so bekannt geworden, dass er inzwischen auch | |
nach Übersee exportiert wird. | |
Damit hat Vals jene breite ökonomische Basis bekommen, die im Berggebiet | |
heute Seltenheitswert hat. Statt von staatlichen Subventionen und | |
touristischen Monostrukturen lebt es vom wertschöpfungsintensiven Verkauf | |
seiner vor Ort veredelten Rohstoffe – dem Naturstein, dem Thermalwasser und | |
dem zur Stromproduktion genutzten Regenwasser. | |
## Mehrheit gegen Zumthor | |
Was wäre nun näher gelegen, als Zumthor auch noch das Hotel neu bauen zu | |
lassen? Neben der Therme, die schon zwei Jahre nach ihrem Bau unter | |
Denkmalschutz gestellt wurde, hätte der Ort ein weiteres Kulturdenkmal | |
erhalten, das ihm den Zustrom von Gästen gesichert hätte. | |
Die Stimmbürger entschieden sich jedoch für den Verkauf an das | |
„Stoffelpart“-Unternehmen, obwohl dessen Sanierungs- und Neubaupläne noch | |
mehr als vage sind. Der Grund? Remo Stoffel ist ein gebürtiger Valser, | |
taugt also als Gegenspieler zu der Welt der hohen Kultur, als deren | |
Exponent Zumthor zugleich geschätzt und gefürchtet wird. | |
Ob das Vertrauen in den gerade mal 35-jährigen Investor berechtigt ist, | |
wird sich noch zeigen müssen. Er muss erst mal das weit verbreitete | |
Negativimage abschütteln, mit undurchsichtigen Geschäften reich geworden zu | |
sein und im Visier der Steuerfahndung zu stehen. Andererseits kann man sich | |
auch sicher sein, dass man ihm beim geplanten Neubau des Thermenhotels sehr | |
genau auf die Finger schauen wird. | |
13 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Fitzthum | |
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