Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Romanverfilmung „Die Wand“: Der Raum zwischen ihr und dem Rest
> Julian Pölsler hat Marlen Haushofers „Die Wand“ mit auf die Leinwand
> gebracht. Für einen eigensinnigen Film ist er zu werkgetreu geworden.
Bild: Martina Gedeck mit Filmhund „Luchs“.
Sie war schon vorher allein. Das spürt man gleich. Diese Frau aus der
Stadt. Mit ihrem weißen Sonntagskleidchen, den hochhackigen Schuhen und
lackierten Nägeln. Ihr Schritt, mit dem sie ihren Freunden hinterherstapft,
hat etwas zu Unentschiedenes. Als wüsste sie nicht, wie viel Abstand
zwischen sie und andere gehört. Wo sie anfängt, wo sie aufhört. Ihr Blick
ist leer geräumt bis auf eine Reserviertheit, von der schwer zu sagen ist,
in welchen Teilen sie sich aus Angst und Soziopathie mischt.
Ihre ganze Präsenz – ein halbherziges Rückzugsmanöver vor einer Welt, die
nicht ihr Ort geworden zu sein scheint. Und das nicht erst oben in der
monströsen Stille des Hochgebirges, in dieser heiklen Mischung aus
Herrgottsnähe und Fremdenangst. Was auch immer dieser Frau, Ende 40, Anfang
50, zusetzt, sie von allem in bleierne Kühle entrückt, es umgibt sie schon
vor dem Beginn der Erzählung.
Die Frau stellt sich auch uns nicht namentlich vor, sondern sitzt im ersten
Filmbild einfach da. Mit schwarz geränderten Nägeln am groben Holztisch
lässt sie einen Bleistift wie eine letzte Lanze gegen den Wahnsinn
unveränderlicher Einsamkeit über die Papierblätter stampfen. Damit beginnt
der Film. Nach einem Schock, der nicht ihr erster gewesen sein wird.
Chronologisch erzählt, geht die Geschichte so: Ein Wochenende mit einem
befreundeten Ehepaar in deren Hütte in den Bergen. Das Paar will sich nach
der Anreise die Beine vertreten und wandert ins Dorf. Es kehrt nicht mehr
zurück. Als die Frau mit dem zurückgelassenen Hund aufbricht, sie zu
suchen, stößt sie gegen eine unsichtbare Wand.
Fortan gibt es für ihr Leben nur noch diese Schneekugel. Eine ganze
Hochalm, auf der sie die Sommer mit der Kuh Bella und dem Hund Luchs
verbringt, passt da hinein. Die einzigen Menschen, die sie auf der anderen
Seite des Glases zu sehen bekommt, sind ein altes Bergbauernpaar. Wie im
Dornröschenschlaf oder einem Brueghel-Bild ist es beim Wasserschöpfen für
die Ewigkeit eingefroren.
## Weltverlust einer Depression
Die Frau lernt zurechtzukommen. Sie pflanzt Kartoffeln an, versorgt ihre
Kuh, trainiert den Umgang mit Sense, Gewehr und der Stille. Sie schreibt,
um nicht den Verstand zu verlieren, jagt und erntet, um etwas zu essen zu
haben. Das ist der einfache Segen und das komplexe Drama der Vorlage, des
weltweit beachteten Romans „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Das Buch wurde
als Weltverlust einer Depression gelesen, als naturalistische Utopie, als
weibliche Robinsonade, die die Frau aus gesellschaftlichem
Rollendeterminismus in die Freiheit der Natur entlässt oder gar als
Metapher auf atomare Bedrohung.
Nun ist es außerdem ein Film von Julian Roman Pölsler geworden, dem der
Haushofer-Roman vor 25 Jahren zum „Lebensbuch“ wurde. Pölsler, der sich
selbst einen „Naturneurotiker“ nennt, ist auf einem Bergbauernhof in der
Steiermark „völlig isoliert von der Welt“ aufgewachsen. Die Demut vor dem
Naturschönen, aber auch vor einer schöpferischen Instanz dahinter ist
seinen Bildern ebenso eingeschrieben wie die unbedingte Treue zum Werk.
So kommt es, dass wir Martina Gedeck sehen, wie sie schreibt, durch den
Hochwald streift oder den Hund füttert, und dazu ihre Stimme hören, die uns
erzählt, dass sie schreibt, durch den Hochwald streift oder den Hund
füttert. Eine filmische Tautologie, die interessant sein kann. Weil sie das
Betrachtetwerden im Filmbild und die innere Reflexion der Frau
übereinanderlegt. Als klopften so beide von ihrer jeweiligen Seite ans
Glas.
## Eine bebilderte Lesung
Über lange Strecke hat man jedoch den Eindruck, der Film taste selbst
suchend die Oberfläche nach etwas ab, was aus ihm mehr machen könnte als
eine bebilderte Lesung. Jedes Bild fahndet nach einer Notwendigkeit, nach
einem Mehrwert, der sich zum gesprochenen Wort addieren könnte. Und so
wunderbar er von Anfang an ein Bild für die monadische Existenz der Frau
findet, sie nie in einer Einstellung mit anderen Menschen zeigt, sondern
immer den Raum betont, der zwischen ihr und dem Rest liegt, so ratlos wirkt
wiederum die Schönheit des frühen Lichts auf der Alm, der Bodennebel im
Hochwald oder der funkelnde Sternenhimmel.
Martina Gedeck stemmt als erzählerisches Zentrum, was eine Schauspielerin
nur stemmen kann. Mit einer klug zurückgenommenen Stimme, klarsichtig,
nüchtern, trägt sie ihre Figur durch die Isolation, durch Angst, Bedrohung,
aber auch durch das Glück, das sie in der Erhabenheit der Bergmassive, im
Blau darüber, im Grün davor findet.
Im Sprechen schwingt die ganze Vielschichtigkeit des Buchs mit. Seine
existenzialistische Versuchsanordnung, das pure Sein ohne Sinnbestimmung,
ohne apriorische Mission. Das elementare Essen, Töten, Sterben, aber auch
die Freiheit, die Verantwortung fürs eigene Handeln, die sich aus diesem
absurden Verhältnis des Menschen zur Welt ergibt. Manchmal scheint der Film
genau das nicht auszuhalten und ihm mit seiner Natursicht und einer
dahinter liegenden kosmologischen Ordnung zu widersprechen. Ein Kommentar.
Eine Andeutung. Nur das allein macht noch keinen eigensinnigen Film.
Pölslers „Wand“ bleibt der Film zum Buch, das man mit Martina Gedeck auf
dem Cover praktischerweise gleich neu aufgelegt hat.
„Die Wand“. Regie: Julian Roman Pölsler. Kinostart: 11. Oktober 2012.
11 Oct 2012
## AUTOREN
Birgit Glombitza
## TAGS
Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Roman von Camille Laurens: Männer reifen, Frauen altern
In „So wie du mich willst“ verweigert sich die Protagonistin dem sexuellen
Tod. Dieser soll Frauen angeblich schon ab 44 ereilen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.