# taz.de -- Kritik am „deutschen Wirtschaftswunder“: Mehr, aber für alle | |
> Das deutsche Wirtschaftsmodell hat viel zu hohe soziale und ökologische | |
> Kosten. Zwei Ökonomen wollen das ändern und bleiben in einer Studie vage. | |
Bild: „Ein neuer Wachstumspfad für Deutschland“ müsse her, finden die Wir… | |
BERLIN taz | Von Krise keine Spur, jedenfalls nicht in Deutschland. Die | |
Ausfuhren boomen, die Arbeitslosigkeit ist gering, die Aktienkurse steigen. | |
Vom „deutschen Wirtschaftswunder“ schrieb die britische Zeitschrift | |
Economist bereits im vergangenen Jahr voller Neid. Doch dieser | |
Wachstumserfolg geht mit enormen sozialen und ökologischen Kosten einher, | |
warnt nun das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO): mit | |
wachsender sozialer Polarisierung, immer mehr prekärer Beschäftigung und | |
geringen Aufstiegschancen sowie mit einer unterdurchschnittlichen | |
Entwicklung in puncto Energiesparen und Klimaschutz. | |
Mag sein, dass nach Jahren wirtschaftlicher Stagnation und hohen | |
Arbeitslosenraten eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nötig war, | |
schreiben Karl Aiginger und Thomas Leoni in ihrer Studie für den | |
Arbeitskreis Nachhaltige Strukturpolitik der deutschen | |
Friedrich-Ebert-Stiftung. Mag sein, dass auch die Lohnkosten gesenkt werden | |
mussten, um international wieder wettbewerbsfähig zu sein. | |
Aber: Die Korrekturphase müsse nun abgeschlossen werden. Sonst drohten | |
nicht nur soziale und ökologische Probleme überhand zu nehmen. Auch der | |
wirtschaftliche Erfolg Deutschlands sei gefährdet, wenn die | |
Inlandsnachfrage wegen der mageren Lohnentwicklung schwächele. Dazu komme, | |
dass Haushalte mit geringem Einkommen immer weniger in die Bildung | |
investierten, der Staat dieses Manko aber nicht ausgleiche. | |
„Ein neuer Wachstumspfad für Deutschland“ müsse her, folgern die Autoren … | |
ihrer gleichnamigen Studie. Das alte Ziel, das Volkseinkommen zu steigern, | |
habe ausgedient. Denn das Wachstum gehe immer noch mit steigendem | |
Ressourcen- und Energieverbrauch einher, die insgesamt wachsenden Einkommen | |
kämen längst nicht allen gesellschaftlichen Gruppen zugute. | |
## Soziales Wachstum | |
Die beiden Ökonomen setzen dem die Forderung nach einem „sozialen Wachstum“ | |
entgegen. „Als soziales Wachstum verstehen wir einen Wachstumspfad, bei dem | |
auch die niedrigen Einkommen steigen, unterschiedliche Startchancen | |
tendenziell ausgeglichen und Risiken unter anderem bezüglich Arbeitsplatz, | |
Gesundheit und Alter von der Gesellschaft abgefedert werden“, schreiben | |
sie. Wachstum also soll es weiter geben. | |
Wie das neue Wachstum aussehen könnte, bleibt jedoch im Ungefähren. „Es | |
muss möglich sein, die steigende Wirtschaftsleistung mit einem absolut | |
sinkenden Ressourcenverbrauch zu erstellen und mit einer deutlich höheren | |
Energieeffizienz“, glauben die Autoren – und ignorieren dabei, dass | |
steigende Energieeffizienz bislang stets mit mehr Energieverbrauch | |
einherging. | |
Arbeit müsse steuerlich entlastet und Energie- und Ressourcenverbrauch | |
belastet werden – eine Idee, die schon vor gut einem Jahrzehnt im Rahmen | |
der ökologischen Steuerreform umgesetzt wurde, ohne nennenswerten Erfolg. | |
Vor allem aber fehlt jeglicher Ansatz, die Ungleichheit bei Einkommen und | |
Vermögen und die ausgesprochen niedrige Besteuerung von Vermögen in | |
Deutschland anzugehen. | |
„Die Bereitstellung von Dienstleistungen vonseiten der öffentlichen Hand | |
ist wohl kaum ohne einen ausgebauten Staatssektor und eine hohe Steuerquote | |
möglich.“ So lautet der einzige Hinweis darauf, dass es ohne eine | |
steuerpolitische Umverteilung wohl nicht gehen wird. | |
15 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Nicola Liebert | |
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