# taz.de -- WOHNUNGSBAU IN BERLIN II: "Hier gibt es keine Banlieue" | |
> Wenn es bezahlbare Neubauwohnungen geben soll, braucht man ein neues | |
> Förderprogramm, sagt Degewo-Chef Frank Bielka. | |
Bild: "Man muss ja nicht dieses Irrsinnssystem aus den siebziger Jahren wieder … | |
taz: Herr Bielka, auch die Degewo feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges | |
Jubiläum der Neuköllner Gropiusstadt. Sind Sie denn froh, dass die | |
Großsiedlung endlich wieder Aufmerksamkeit bekommt? | |
Frank Bielka: Ja. Wie alle Großsiedlungen wurde auch die Gropiusstadt am | |
Anfang als sozialpolitische Tat bejubelt. Endlich ein Bad und eine Heizung! | |
Das hat sich sehr schnell gedreht. Mittlerweile haben wir mindestens 40 | |
Jahre kritische Diskussion über Großsiedlungen hinter uns. Jetzt aber wird | |
die Diskussion offener. Da kommt natürlich der 50. Geburtstag der | |
Gropiusstadt sehr gelegen. | |
Was ist das Besondere an der Gropiusstadt? | |
Sie ist die Berliner Wohnsiedlung, die am stärksten auch einen | |
städtebaulichen und architektonischen Impuls hat. Andere Siedlungen werden | |
Sie so schnell mit keinem Architekten oder Städteplaner in Verbindung | |
bringen. In der Gropiusstadt ist die Philosophie von Walter Gropius | |
spürbar. Wir sind gerade dabei, diesen Impuls wieder wachzuküssen. Das | |
Einzelhochhaus in einer Landschaft, das wollen wir aktualisieren und | |
verstärken. | |
Hat also „Gropius 2.0“ Christiane F. als Image abgelöst? | |
Christiane F. ist noch in den Köpfen der Älteren. Wenn Sie die Jugendlichen | |
fragen, wissen die gar nicht, wovon Sie reden. Das ist Geschichte, wenn Sie | |
so wollen. Gropius 2.0? Ja! | |
Sie haben als Degewo in der Gropiusstadt auch den Bildungsverbund | |
initiiert. Ist das nicht eigentlich die Aufgabe der Bildungsverwaltung? | |
Das Problem der Verwaltung ist oft die mangelnde Bereitschaft, über die | |
Ressortgrenzen hinauszuschauen. Das sage ich als jemand, der in | |
verschiedenen Verwaltungen gearbeitet hat. Das Thema des Bildungsverbunds | |
ist Koordination. Offenbar klappt das besser, wenn es jemand außerhalb der | |
Verwaltung macht. Da sind wir als kommunale Wohnungsgesellschaft freier. | |
Was heißt das konkret? | |
Wir haben uns die Faktoren vorgenommen, die das Quartier beeinflussen. Da | |
kommen Sie auf ein Dutzend Faktoren, und ein ganz wichtiger davon ist die | |
Bildung. Nun können wir als Degewo nicht in die Schulen gehen. Aber wir | |
können Schulen, Senatsverwaltungen und Bezirk an einen Tisch bringen. Und | |
plötzlich entsteht eine Aufbruchstimmung, die viele mitzieht. | |
Wie viel lässt sich Ihr Unternehmen das kosten? | |
Weniger, als Sie denken. Wenn ich die Sanierung nicht dazuzähle, haben wir | |
insgesamt an den drei Standorten von Bildungsverbünden der Degewo ein paar | |
hunderttausend Euro reingegeben. Aber der entscheidende Punkt ist die | |
Kreativität und der Wille, etwas durchzusetzen, nicht das Geld. | |
Welche Erfolge kann der Bildungsverbund verzeichnen? | |
Wir hatten lange eine ganz merkwürdige Situation: Viele Eltern aus | |
Nordneukölln mit Migrationshintergrund schicken ihre Kinder in die | |
Gropiusstadt zur Schule. Gleichzeitig schicken viele Biodeutsche, wie es | |
scherzhaft heißt, ihre Kinder nach Treptow-Köpenick. Das ist für ein | |
Quartier überhaupt nicht gut. Es wäre besser, wenn die, die da sind, | |
bleiben und noch andere dazukommen. Aber jetzt hat sich da was geändert. | |
Erstmals seit Langem gibt es wieder in nennenswertem Umfang | |
Schulanmeldungen aus der Gropiusstadt selbst. | |
Der Leerstand der Gropiusstadt geht inzwischen gegen null, auch immer mehr | |
Besserverdienende ziehen dorthin. Befürchten Sie mittelfristig auch | |
Aufwertung und Verdrängung? | |
Das ist eine Gratwanderung. Natürlich hatten wir lange Phasen der | |
Segregation. Die Mittelschichten gingen weg, die sozialen Probleme wurden | |
größer. Wenn jetzt die Mittelschichten wieder zurückkommen, ist das keine | |
Verdrängung. Wir nähern uns eher wieder dem Zustand der Mischung. Unsere | |
Stärke als städtische Gesellschaft ist, dass wir genau diese Mischung | |
herstellen wollen. Das heißt aber auch, dass wir uns denen verpflichtet | |
fühlen, die bedrängter sind. Einem Privaten können Sie das nicht | |
vorschreiben. | |
Die Degewo möchte in der Gropiusstadt 400 Wohnungen neu bauen. Wissen Sie | |
schon, wo? | |
Wir haben einen Architektenwettbewerb gemacht und verschiedene Standorte | |
geprüft. Nun stehen die Standorte fest. Alle übrigens auf Degewo-eigenen | |
Grundstücken. Die Architektur soll die Grundstruktur der Gropiusstadt | |
erhalten. | |
Wie hoch wird die Miete sein? | |
Im Schnitt 8,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt. | |
Können Sie sicherstellen, dass eine Wohnung, die leer wird, weil ein | |
Degewo-Mieter in einen der Neubauten zieht, zum alten Preis wieder | |
vermietet wird? | |
Nein, das kann ich nicht sicherstellen. Ich muss auch über | |
Neuvermietungszuschläge nachdenken. Aber die müssen sich natürlich im | |
Rahmen des Mietspiegels bewegen. Wenn Sie sich unsere bisherige | |
Neuvermietungspraxis ansehen, merken Sie, dass wir das sehr moderat machen. | |
Anfang September hat der Senat mit Ihnen und den anderen fünf städtischen | |
Gesellschaften ein Bündnis für bezahlbare Mieten vereinbart. Wessen Miete | |
30 Prozent des Nettoeinkommens überschreitet, kann eine Mieterhöhung | |
ablehnen. Gibt es da schon eine erste Bilanz? | |
Wir haben vor zwei Wochen die Mieterhöhungen rausgeschickt. Für knapp | |
13.000 Wohnungen. Im Schnitt wird bei denen die Miete um 12 Euro erhöht. | |
Die Degewo hat 72.000 Wohnungen. Da ist es noch zu früh für eine Bilanz. | |
Insgesamt soll das Mietenbündnis die sechs landeseigenen Gesellschaften 100 | |
Millionen Euro kosten. Wie viel davon entfällt auf die Degewo? | |
Wir rechnen mit etwa 20 Millionen. Aber das ist eine Schätzung. Ob sie | |
stimmt, werden die nächsten Monate zeigen. Wir wissen zum Beispiel gar | |
nicht, wie die Einkommensverhältnisse unserer Mieter wirklich sind. Die | |
Mieter, die den Eindruck haben, dass sie über Gebühr belastet werden, | |
müssen jetzt aktiv werden. | |
Was ist von diesen 20 Millionen der größte Punkt? Die Mietkappung wegen der | |
Einkommen? Oder die Begrenzung der Modernisierungsumlage von 11 auf 9 | |
Prozent? | |
Die 9 Prozent interessieren fast gar nicht, weil wir auch in der | |
Vergangenheit bei Modernisierungen nie an die Grenze gegangen sind. | |
Stärkere Einschnitte erwarten wir durch die Regel, dass wir nur noch 15 | |
Prozent in vier Jahren erhöhen können. | |
Bisher waren es 20 Prozent in drei Jahren. | |
Ja, der Senat war der Meinung, dass das, was er in seiner | |
Bundesratsinitiative fordert, von den eigenen Gesellschaften schon mal | |
vorab umgesetzt wird. | |
Wenn wir noch einmal beim Mietenbündnis bleiben: Innerhalb des S-Bahn-Rings | |
soll künftig jede zweite Wohnung an Wohnungssuchende vergeben werden, die | |
den Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) haben. Können Sie da | |
schon sagen, wie hoch die Nachfrage ist? | |
Auch da ist es zu früh für eine Bilanz. Wir haben aber im Frühjahr | |
versucht, anhand der Neuvermietungszahlen abzuschätzen, wie hoch der Anteil | |
derer ist, die einen WBS bekommen würden. Grundlage waren die Angaben der | |
Mieter über ihre Einkommen, die sie bei der Bewerbung abgeben. Wir haben in | |
allen Quartieren außer in der City West schon heute einen Anteil von um die | |
50 Prozent erreicht. | |
Das heißt, da wird sich gar nicht viel ändern. | |
Das klingt, als würde man fragen, warum man das überhaupt gemacht hat. Im | |
Sinne von Transparenz und Verlässlichkeit macht die Regel schon Sinn. Aber | |
wir fangen nicht bei null an. Wir sind ja auch bisher nicht die | |
Menschenfresser gewesen. Auch vor dem Bündnis hatten wir in unserer Satzung | |
einen sozialen Auftrag. | |
Warum haben sich die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften mit | |
diesem Bündnis dann so schwergetan? | |
Haben Sie nicht. | |
Wie bitte? 20 Millionen sind kein Pappenstiel. | |
Wir sind in der Lage, das finanziell zu schultern. Bei alldem dürfen wir | |
aber die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verlieren. Auch darum ging | |
es in den Gesprächen mit den Ressorts Stadtentwicklung und Finanzen. | |
Der Senat will 30.000 neue Wohnungen. Auch wenn Sie auf eigenen | |
Grundstücken bauen oder vom Liegenschaftsfonds Grundstücke umsonst | |
übertragen bekommen, werden diese Wohnungen nicht unter 8 Euro den | |
Quadratmeter Miete kosten, Heizung und Betriebskosten nicht mitgerechnet. | |
Sozial ist das nicht. Das sind Wohnungen für den gehobenen Mittelstand. | |
Wenn Sie als Land wirklich in einer nennenswerten Zahl Wohnungen für die | |
breite Masse der Wohnungssuchenden wollen, müssen Sie eine Miete von 6 Euro | |
hinkriegen. Das geht nicht ohne eine neue Subventionierung. | |
Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben bereits neue Förderprogramme für den | |
sozialen Wohnungsbau aufgelegt. | |
Berlin wird da auch nicht drum herumkommen. Man muss ja nicht dieses | |
Irrsinnssystem aus den siebziger Jahren wieder reaktivieren. Wenn man aber | |
Zuschüsse gibt und sich dafür bestimmte Mietkonditionen erkauft, ist das | |
der richtige Weg. Und wenn der Senat Mieten in dieser Preisklasse haben | |
will, dann wird das Geld kosten. | |
Wie viele Millionen müsste der Senat da in die Hand nehmen? | |
Das haben wir noch nicht ausgerechnet. Es wäre natürlich unsinnig, alle | |
30.000 neuen Wohnungen so zu fördern. Aber es gäbe zum Beispiel die | |
Möglichkeit, bei einem Neubau einen Teil der Wohnungen mit Belegungsrechten | |
für die Bezirke zu fordern – und zu fördern. | |
Den Imagewandel, den Sie mit der Gropiusstadt anstreben, hat das | |
Brunnenviertel im Wedding teilweise schon hinter sich. Was hat zu dieser | |
Erfolgsgeschichte beigetragen? | |
Auch im Brunnenviertel sind wir mit einem breiten Fragenkatalog gestartet: | |
Was hat dazu geführt, dass das Viertel diese Probleme hat? War es die | |
Kriminalität, die da übrigens eine größere Rolle spielte als in der | |
Gropiusstadt? Die Bildung? Städtebauliche Barrieren? Unattraktive | |
Gewerbebereiche? Das wollten wir herausfinden, um zielgerichtet | |
gegensteuern zu können. Als Ergebnis haben wir dann dort unseren ersten | |
Bildungsverbund gegründet. | |
Lässt sich der Erfolg messen? | |
Inzwischen gibt es wieder ein hohes Interesse, ins Brunnenviertel zu | |
ziehen. Der Leerstand ist von 7 Prozent mit steigender Tendenz vor sieben | |
Jahren auf 1 Prozent zurückgegangen. Das entspricht der Fluktuationsrate. | |
Wir haben also Vollvermietung. Die Schwelle gegenüber der | |
70er-Jahre-Architektur hat deutlich abgenommen. Dank der Mittelschichten, | |
die aufgrund der Erfolge des Bildungsverbunds ins Brunnenviertel ziehen, | |
können wir nun auch wieder von einer Mischung sprechen. Wie wichtig das | |
ist, sehen Sie in Frankreich, wenn es in der Banlieue wieder einmal brennt. | |
16 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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