# taz.de -- Umstrittener Mordprozess in Ukraine: „Manipulierte Anklage“ | |
> Ein Prozess gegen einen nigerianischen Studenten in Lugansk ruft | |
> Menschenrechtler auf den Plan. Sie sprechen von einer konstruierten | |
> Anklage. | |
Bild: Haben keinen guten Ruf bei Menschenrechtlern: ukrainische Polizisten. | |
KIEW taz | Ein Mordprozess gegen einen nigerianischen Studenten in der | |
ukrainischen Stadt Lugansk ruft massive Bedenken bei | |
Menschenrechtsorganisationen hervor. Die Staatsanwaltschaft wirft dem | |
26-jährigen Olaoulu Femi, der vor fünf Jahren zum Medizinstudium in die | |
ostukrainische Stadt kam, „vorsätzlichen versuchten Mord in Tateinheit mit | |
Hooliganismus“ an vier ukrainischen Jugendlichen vor. Dafür droht ihm | |
lebenslange Haft. | |
Menschenrechtsaktivisten halten allerdings Femis Darstellung für wesentlich | |
plausibler. Demnach hatten die Ukrainer ihn und einen Freund im Hof eines | |
Wohnheims angepöbelt, als „Affe“ beschimpft, und körperlich angegriffen. | |
„Sein Freund lag bereits bewusstlos am Boden, und er fürchtete um sein | |
Leben und das seines Freundes“, sagt Maksym Butkevych vom | |
No-Borders-Projekt in Kiew. | |
Das Projekt kümmert sich, finanziert von der deutschen Stiftung Erinnerung, | |
Verantwortung und Zukunft, um die Erfassung sogenannter Hassverbrechen. | |
Femi habe zur Selbstverteidigung eine abgeschlagene Glasflasche benutzt, so | |
Butkevych. | |
Die Gerichtsakten bestätigten, dass die Jugendlichen dabei nur leichte | |
Schnittwunden erlitten hätten. Diese selbst behaupten aber, sie seien | |
grundlos angegriffen worden. Weitere Beweise gibt es nicht, ebenso wenig | |
ein Motiv. | |
## Mängel bei Ermittlungen | |
Dass der Medizinstudent in jener Nacht beschlossen haben soll, im | |
Alleingang vier Jugendliche zu ermorden, hält das Netzwerk ukrainischer | |
Menschenrechtsorganisationen für eine „manipulierte und konstruierte | |
Anklage“. | |
Die Aktivisten beklagen erhebliche Mängel bei den Ermittlungen. Aus den | |
Gerichtsakten seien Hinweise auf den Alkoholisierungsgrad der Jugendlichen | |
verschwunden. Besonders brisant sei, dass Femi erst ein halbes Jahr nach | |
seiner Festnahme im November 2011 eine Dolmetscherin gestellt worden sei. | |
Bis dahin habe er gar nicht genau gewusst, was ihm vorgeworfen wird. Der | |
Prozessbeginn wurde Monat um Monat verschoben. Seit Anfang September gab es | |
drei Verhandlungstage. Die Jugendlichen hätten sich dabei mehrfach in | |
Widersprüche verwickelt, so Prozessbeobachter. | |
## „Verbale Beleidigungen“ | |
Für Butkevych spiegeln sich in dem Verfahren die Probleme, denen Angehörige | |
„sichtbarer Minderheiten“ in der Ukraine ausgesetzt sind. Er habe mit | |
vielen nigerianischen Studenten in Lugansk und Kiew gesprochen. | |
„Die meisten haben mir geschildert, dass sie es gewohnt sind, auf der | |
Straße zumindest verbal beleidigt zu werden.“ Die Polizei stehe in einem | |
unguten Ruf, weil sie für „racial profiling“, also anlasslose | |
Personenkontrollen speziell von Afrikanern bekannt sei. | |
Eine genaue Erfassung rassistischer Gewalt in der Ukraine gibt es nicht. | |
„In den letzten Jahren steigt die Zahl solcher Verbrechen“, sagt Vyacheslav | |
Likhachev vom Kongress der Nationalen Minderheiten der Ukraine. | |
## Rechtsextreme werden aggressiver | |
Jugendliche aus rechtsextremen Subkulturen träten zunehmend aggressiver | |
auf. Die Polizei neige dazu, die fremdenfeindliche Motivation solcher | |
Verbrechen zu ignorieren: „Es ist immer so, dass die Polizei ein | |
Hassverbrechen nicht als solches anerkennt“, so Likhachev. | |
Der Fall strahlt bis nach Berlin aus. „Wir brauchen internationalen Druck | |
auf die ukrainischen Behörden“, erklärt Oleksandra Bienert, die in Berlin | |
den Ukrainischen Kinoklub leitet. Sie und ihre ukrainischen Freunde sammeln | |
Spenden für Femi und versuchen die Öffentlichkeit über den Fall zu | |
informieren. | |
Die Lugansker Justizbehörden stehen auch von offizieller Seite unter Druck: | |
Nachdem in mehreren Städten Kundgebungen für Femi stattfanden, hat die | |
Generalstaatsanwaltschaft in Kiew die Behörden in Lugansk aufgefordert, | |
Stellung zu beziehen. | |
16 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Frank Brendle | |
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Ukraine | |
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