# taz.de -- Grüne in Hamburg: „Das erhöht die Bindungswirkung“ | |
> In Castings wird die Doppelspitze zur Bundestagswahl gesucht. In Hamburg | |
> nehmen vier Prominente teil und ein paar Vertreter der Schratfraktion. | |
Bild: Vier plus sieben: Grünen-Casting mit dem Jürgen (3. v. l.), der Claudia… | |
HAMBURG taz | Sieben Männer sitzen da, die die Welt nicht braucht, | |
Deutschland nicht, die Grünen auch nicht. Dennoch wollen sie einer der | |
beiden SpitzenkandidatInnen der Grünen bei der Bundestagswahl 2013 werden. | |
Und deshalb treten sie auf dem norddeutschen Urwahlforum der Ökopartei am | |
Mittwochabend in Hamburg auf – vor rund 200 Mitgliedern aus | |
Schleswig-Holstein, Niedersachsen und, eben, Hamburg. Denn die Grünen | |
wollen die Basis entscheiden lassen, welche Doppelspitze es mit Merkel und | |
Steinbrück aufnehmen soll. So recht zu beneiden sind sie allerdings nicht | |
um die Kandidaten von der Basis. | |
15 Parteimitglieder bewerben sich auf insgesamt elf Urwahlforen um | |
Zustimmung der Mitgliedschaft. Aus Thüringen „die Katrin“ (mit Nachnamen | |
Göring-Eckardt, aber bei Grünens wird grundsätzlich geduzt), „die Renate“ | |
(Künast) aus Berlin, „die Claudia“ (Roth) aus Bayern und „der Jürgen“ | |
(Trittin) aus Niedersachsen sind die Promis. | |
Nach zweieinhalb Stunden Statements, Fragen und Antworten drängt sich ein | |
Eindruck auf: Veranstaltungen wie diese in einem Bürgerhaus im Hamburger | |
Süden dienen vornehmlich dazu, Partei und Öffentlichkeit zu beweisen, dass | |
die vier Genannten mindestens zwei Ligen höher spielen als die anderen auf | |
dem Podium. Denn der Klassenunterschied ist frappierend. | |
## Der Klassenunterschied | |
Vier männliche Bewerber sind gar nicht erst gekommen: Krankheit, zu weite | |
Anreise, keinen Bock – so genau wissen das auch die beiden Moderatorinnen, | |
die grünen Parteichefinnen Katharina Fegebank (Hamburg) und Marlene Löhr | |
(Schleswig-Holstein) nicht. | |
Sieben männliche Bewerber hätten gar nicht erst zu kommen brauchen. In | |
ihren dreiminütigen Vorstellungsreden sagen sie Sätze wie: „Ich stehe hier | |
aus schierer Verzweiflung.“ Oder: „Ich bin politischer Amateur und stelle | |
mir Fragen.“ Oder auch: „Wer ins Licht will, muss aus dem Schatten treten.�… | |
Einige immerhin haben Programmatisches zu bieten: „Ich möchte mit euch | |
zusammen die Banken regulieren.“ Oder: „Ich bin gegen die Vermögenssteuer, | |
denn man darf die Kuh nicht schlachten, die man melken will.“ Oder auch: | |
„Ich habe nichts gegen Schwule und Lesben, ich bin ja liberal.“ Die Namen | |
dieser sechs Herren seien an dieser Stelle verschwiegen. Auch Journalisten | |
müssen gelegentlich Menschen vor sich selbst schützen – und vor allem die | |
eigenen LeserInnen vor eben jenen. | |
## Der Grenzbereich | |
Aber da ist ja auch noch Friedrich Wilhelm Merck, intern nur „Friwi“ | |
genannt, und der fällt nicht unter den Artenschutz. Zu oft schon hat der | |
inoffizielle Vorsitzende der inoffiziellen „Schratfraktion“ bei den | |
Hamburger Grünen auf deren Parteitagen die Geduldsfäden von Mitgliedern wie | |
Medienmenschen strapaziert. Er gehört zu dem halben Dutzend ausschließlich | |
männlicher Grüner, die in wechselnden Konstellationen – aber mit großer | |
Verlässlichkeit – unverständliche Anträge für und gegen Alles und Jedes | |
stellen und für sämtliche verfügbaren Ämter, Posten und Mandate | |
kandidieren. | |
Auch hier also macht der 67-jährige Friwi mit, der die Grünen angeblich | |
mitbegründet hat, vor einem halben Jahrhundert mal etwas zur Rettung der | |
Welt erfunden haben will, was leider keinen weiteren Anklang fand, und nach | |
intensiven Forschungen „im Grenzbereich von Quantenphysik und Informatik“ | |
nun frischen Wind in die Bundespolitik bringen will. Ach ja, und weil am | |
Mittwochvormittag das Bundesverwaltungsgericht einen Baustopp für die | |
Elbvertiefung verhängt hat, will Friwi gleich den gesamten Hamburger Hafen | |
an die Nordsee verlegen. Durchgerechnete Konzepte, sagt er, liefere er | |
gerne nach. | |
Das sei doch ein „unterhaltsamer und vergnüglicher Abend gewesen“, wird | |
Fegebank die in weiten Teilen bizarre Veranstaltung zusammen zu fassen | |
suchen. „Das hat gezeigt, dass Politik auch Spaß machen kann.“ | |
## Der Fachkräftemangel | |
Dem Quartett der Parteipromis obliegt es, der Bühnenshow politische | |
Ernsthaftigkeit zu verleihen. Sie reden über die Energiewende, über die | |
Frauenquote, über die Vermögenssteuer, über soziale Spaltung und | |
Altersarmut, ohne inhaltliche Differenzen zu zeigen. Mehr Rechte für | |
Flüchtlinge finden alle gut, ebenso die Forderung von „der Claudia“ nach | |
„mehr Kitaplätzen statt Herdprämie“. Auch einen „alternativen | |
Verfassungsschutzbericht“ unter Mitwirkung von Verbänden und Initiativen, | |
wie „die Renate“ ihn sich wünscht, können sich die anderen vorstellen. Nur | |
das bedingungslose Grundeinkommen, das lehnt „die Katrin“ rundweg ab, | |
während „die Claudia“ bloß skeptisch ist. | |
Bei so viel Einigkeit in den Grundpositionen bohrt die Basis in der | |
Fragerunde umso mehr nach. Wie wolle denn, bitte, „der Jürgen“ als | |
eventueller Bundesfinanzminister den Haushalt konsolidieren und die | |
Euro-Krise lösen? Indem er alles besser mache als die jetzige Kanzlerin, | |
sagt der, und lästert über den „Fachkräftemangel“ im Bundeskabinett. Und | |
warum „die Renate“ überhaupt kandidiere, nachdem sie als Spitzenkandidatin | |
in Berlin die dortige Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2011 in den | |
Sand gesetzt habe? Weil sie aus ihren Fehlern gelernt habe, antwortet sie | |
kurz und spitz. | |
Oder wie „die Katrin“ Spitzenämter in der Kirche bekleiden könne, wo diese | |
doch verantwortlich sei für Inquisition, Hexenverbrennungen und | |
Frauenunterdrückung? Eben deshalb sei sie ja Protestantin, weist die | |
Theologin und Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in | |
Deutschland (EKD) auf den feinen Unterschied hin. Und verspricht schon mal | |
einen Kirchentag für den Mai 2013 in Hamburg, der „die Bewahrung der | |
Schöpfung“ in den Mittelpunkt stelle – „mit ganz viel Nachhaltigkeit, ga… | |
vielen Radfahrern, ganz viel veganem Essen und ganz vielen friedlichen | |
Menschen“. | |
## Der Vierkampf | |
Es ist ein Vierkampf der Promis unter sich. Immerhin, so ließe sich | |
einwerfen, haben die Grünen vier respektable KandidatInnen. Die CDU hat nur | |
eine und dann lange nichts, die SPD hat mühsam auch einen gefunden, die | |
Linke weiß noch nicht, ob sie zwei findet, die FDP ist mit der Suche nach | |
einem schon überfordert, und die Piraten wollen am liebsten gar keinen. So | |
gesehen stehen die Grünen so schlecht nicht da. | |
Und die Urwahl macht sie offenbar attraktiv: Seit der Basisentscheid im | |
September beschlossen wurde, sind bundesweit 406 Menschen der Partei | |
beigetreten. Auch zwei der Bewerber sind erst kürzlich nur Grüne geworden, | |
um hier kandidieren zu können. Er finde dieses Casting dennoch nicht | |
trivial, beteuert „der Jürgen“: Da zeige sich, wer im Wahlkampf, in | |
Talkshows, am Rednerpult „zuspitzen“ könne. | |
Ihm kommt das entgegen, denn er kann das. Auch sie finde diese Urwahl | |
„sehr, sehr gut“, sagt „die Claudia“. Da werde nichts in Hinterzimmern | |
ausgemauschelt, da könnten alle Parteimitglieder quer durch die Republik | |
sich ein eigenes Bild machen vom Personalangebot. „Die Basis entscheidet, | |
wer es wird, das erhöht auch die Bindungswirkung.“ | |
Soll hinterher niemand sagen können, er oder sie hätte es nicht gewusst. | |
18 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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