# taz.de -- Charité sucht nach Ursachen: Aktenzeichen Keim-Krimi ungelöst | |
> Nach dem Tod eines Säuglings in der Berliner Charité ermittelt die | |
> Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. Ein weiteres Baby ist | |
> inzwischen außer Lebensgefahr. | |
Bild: Zur Zeit keine neuen Aufnahmen: Frühgeborenenstation der Charité. | |
BERLIN taz | Nach dem Tod eines Frühchens in der Berliner Charité ist ein | |
weiteres Baby, das sich ebenfalls mit dem Darmbakterium Serratia marcescens | |
infiziert hat, außer Lebensgefahr. Dem Säugling gehe es besser, sagte der | |
Berliner Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) am Montag. | |
Seine Informationen beruhten auf Angaben der behandelnden Ärzte. Die | |
Charité selbst mochte bis Redaktionsschluss keine Angaben machen, weder zu | |
den Krankheitsverläufen sechs weiterer infizierter Babys noch zu etwaigen | |
Behandlungserfolgen. Unklar blieb auch der Stand ihrer bisherigen | |
Untersuchungen nach dem weiterhin unbekannten Infektionsherd. | |
Unterdessen teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Montag mit, dass sie | |
nach dem am Wochenende bekannt gewordenen Todesfall des Frühchens wegen | |
fahrlässiger Tötung ermittelt. Die Ermittlungen richteten sich gegen | |
unbekannt und stünden noch ganz am Anfang. Zu klären sei, wie die | |
Serratien-Keime in die Klinik gelangten und ob daraus strafrechtliche | |
Vorwürfe entstehen könnten. | |
Der frühgeborene Säugling war auf einer Frühchenstation am Campus | |
Virchow-Klinikum nach dem Befall mit dem Darmbakterium im Oktober | |
gestorben. Das Baby war zunächst mit einem Herzfehler im Virchow-Klinikum | |
zur Welt gekommen und dann für eine Operation ins benachbarte Deutsche | |
Herzzentrum verlegt worden. Dort starb es fünf Tage nach der Operation an | |
einer Blutvergiftung. | |
## Arbeitsgruppe zur Ursachensuche | |
Nach Charité-Angaben war das Kind fünf Tage vor der Verlegung noch negativ | |
auf den Keim getestet worden, später wurden die Bakterien dann aber doch | |
nachgewiesen. Wie und durch wen das Baby infiziert wurde, ist unklar. | |
Unter Leitung des Gesundheitsamts in Berlin-Mitte wurde daraufhin am Montag | |
in der Charité eine Arbeitsgruppe zur Suche nach der Ursache gebildet. Das | |
Team, das sich nach Redaktionsschluss erstmals treffen wollte, soll zudem | |
die Lage auf den Frühgeborenenstationen analysieren und über weitere | |
Hygienemaßnahmen beraten. | |
Der Gruppe gehören Vertreter der Charité, des Robert-Koch-Instituts, des | |
Landesamts für Gesundheit und Soziales und der Senatsverwaltung für | |
Gesundheit an. Bislang ist völlig unklar, wer den Keim in die Klinik | |
schleppte und wie er sich dort offenbar über Wochen ungehindert ausbreiten | |
konnte. Als mögliche Übertragungswege gelten die üblichen Verdächtigen: | |
mangelhaft desinfizierte Geräte und nach dem Toilettengang ungewaschene | |
Hände. | |
## Keine multiresistenten Keime | |
Nach Angaben der Charité sind derzeit insgesamt sieben Babys an der | |
Serratien-Infektion erkrankt. Bei weiteren 16 Patienten wurde der Keim | |
positiv nachgewiesen, ohne allerdings eine Erkrankung auszulösen. Die | |
Infektionen wurden bislang nur am Standort Campus Virchow nachgewiesen; die | |
Frühchenstationen am Campus Charité Mitte seien, so die Charité, nicht | |
betroffen. | |
Serratien sind Bakterien, die bei vielen Menschen zur Darmflora gehören, | |
ohne dass deswegen jemand erkrankt. Sie gelten zudem als weitaus weniger | |
gefährlich als etwa die multiresistenten Keime, gegen die es kein | |
Antibiotikum gibt und an denen zuletzt im Bremer Klinikum Mitte drei | |
Frühchen gestorben sind. Bei extrem früh Geborenen oder Patienten mit | |
eingeschränkter Immunabwehr können die Serratien-Keime jedoch schwere | |
Infektionen hervorrufen. | |
Gerade Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1.500 Gramm sind | |
gefährdet: Sowohl ihre Lungen als auch ihr Darm sind noch nicht ausgereift | |
und somit für Infektionen aller Art anfällig. Jährlich kommen in | |
Deutschland etwa 8.000 Kinder mit weniger als 1.500 Gramm zur Welt. Die | |
Lebensfähigkeit von Frühgeborenen beginnt in der 23. Schwangerschaftswoche | |
bei einem Geburtsgewicht von etwa 500 Gramm. Allerdings liegen die | |
Überlebenschancen zu diesem Zeitpunkt bei nur 50 Prozent. In der 28. Woche | |
liegen sie bereits bei über 90 Prozent. | |
## Aufnahmestopp zur Vorbeugung | |
Als „vorbeugende Maßnahme“ hat die Charité einen Aufnahmestopp für zwei | |
ihrer fünf Frühchenstationen verhängt. So soll verhindert werden, dass sich | |
noch weitere Patienten infizierten, solange die Erregerquelle nicht | |
gefunden wurde. | |
Seit dem Ausbruch am 8. Oktober, über den das Klinikum die Öffentlichkeit | |
erstmals am 20. Oktober unterrichtete, seien überdies alle Patienten auf | |
den entsprechenden Stationen auf den Erreger untersucht worden, so die | |
Charité. Zudem seien die Patienten auf zwei – räumlich getrennte – | |
Stationen aufgeteilt worden. Das Pflegepersonal, das sich um die | |
Infizierten kümmere, habe keinen Zugang zu den Nichtinfizierten. | |
Ob ein erster Serratien-Fall in der Charité von Anfang Juli 2012 mit den | |
jetzigen Infektionen zusammenhängt, muss noch geprüft werden. Damals hatte | |
wahrscheinlich eine Mutter das Bakterium an ihr Neugeborenes weitergegeben. | |
22 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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