# taz.de -- Zeitung lässt nachsitzen: Leiharbeit beendet - Ausbeutung bleibt | |
> Die Oldenburger "Nordwest-Zeitung" offeriert hauseigenen Leiharbeitern | |
> jetzt Arbeitsverträge - an der Ungleichbehandlung in der Belegschaft | |
> ändert sich dadurch wenig. Streikende zur "Strafarbeit" verdonnert. | |
Bild: Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit: Streikposten vor dem Oldenbur… | |
Eigentlich klingt es nach einem spektakulären Erfolg der Belegschaft: Die | |
in Oldenburg erscheinende Nordwest-Zeitung (NWZ) rückt von der seit Jahren | |
praktizierten Leiharbeit im eigenen Hause ab und bietet jenen rund 80 | |
Redakteuren, Volontären und Verlagsangestellten, die bislang über eine | |
Tochterfirma beschäftigt waren, eigene Arbeitsverträge an. Sie erfüllt | |
damit eine langjährige Forderung der Arbeitnehmervertreter. Dennoch | |
herrscht bei ihnen nicht nur Jubelstimmung – denn die von ihnen | |
angeprangerte „Zweiklassengesellschaft“ bleibt bestehen. | |
Die übernommenen Ex-Zeitarbeiter werden künftig zwar besser entlohnt, | |
bleiben aber deutlich schlechter gestellt als ihre alteingesessenen | |
Kollegen, die für dieselbe Arbeit noch nach geltendem Tarif bezahlt werden. | |
Diese Zweigleisigkeit ist möglich, weil sich der Verlag im Sommer 2011 aus | |
der Flächentarifbindung der Branche gelöst hatte. Seitdem kämpfen die | |
Mitarbeiter um einen Haustarif. | |
Der seit einem Jahr schwelende Arbeitskampf fand bislang wenig öffentliche | |
Aufmerksamkeit; die Verlagsleitung gibt sich nach außen zugeknöpft. Dabei | |
geht es um Themen, die an Grundfragen der Branche rütteln: Zeitarbeit, | |
Tarifumgehung, Arbeitsbedingungen. Zwar ist die Nordwest-Zeitung längst | |
nicht das einzige Blatt, das Teile der Belegschaft untertariflich entlohnt | |
– der Deutsche Journalistenverband (DJV) listet auf seinen Internetseiten | |
knapp 50 solcher Medienhäuser auf. Was allerdings die Zeitarbeit betrifft, | |
schritt die NWZ schon sehr früh voran. | |
Als eines der ersten Unternehmen der Branche hatte der Verlag 2004 die | |
neuen Möglichkeiten genutzt, die die rot-grüne Bundesregierung dem Sektor | |
der Arbeitnehmerüberlassung eingeräumt hatte, und mit der | |
„Nordwest-Personaldienstleistungsgesellschaft“ (NWP) eine eigene | |
Zeitarbeitsfirma gegründet, die Redaktions und Verlagsbeschäftigte an den | |
Mutterkonzern verlieh. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, teilte | |
sich die NWZ die Leihfirma mit den Verlagshäusern der Ostfriesen-Zeitung, | |
der Wilhelmshavener Zeitung und des Bremer Weser-Kuriers. Bis zu 500 Euro | |
weniger im Monat als ihre alteingesessenen Kollegen hätten die „NWPler“, | |
wie die Leiharbeiter im Pressehaus genannt wurden, für die gleiche Arbeit | |
verdient, rechnete der Betriebsratsvorsitzende Ulrich Janßen vor. | |
Die interne Ungleichbehandlung der Beschäftigten ist seit langem ein Thema | |
im Pressehaus. Vor einem Jahr, nach der Aufkündigung der Tarifbindung, | |
begannen die Mitarbeiter, ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. Es | |
kam zu Aktionen und Warnstreiks; mehrfach demonstrierten sie in der | |
Oldenburger Innenstadt. Nicht wenige Passanten hätten sich überrascht über | |
die Zustände bei der Zeitung gezeigt, berichten Demonstrationsteilnehmer. | |
Verwunderlich ist das nicht: Die Nordwest-Zeitung ist die einzige | |
Tageszeitung in der Stadt, und das Thema hatte in der Berichterstattung | |
keine Rolle gespielt – nicht einmal, als die Chefredaktion ein Interview | |
mit dem zur Unterstützung der Belegschaft angereisten Ver.di-Chef Frank | |
Bsirske brachte. Die Chefredaktion habe ihm gesagt, der Arbeitskampf im | |
eigenen Hause sei „nicht von Interesse für die breitere Öffentlichkeit“, | |
berichtete Bsirske. | |
Der Konflikt trieb mitunter noch bizarrere Blüten. An einem eintägigen | |
Warnstreik Ende Mai hatten auch Leiharbeiter teilgenommen. Kurz darauf | |
bekamen sie per Email und SMS eine ungewöhnliche Benachrichtigung von der | |
NWP: Am folgenden Tag – dem Pfingstsamstag, an dem nahezu jeder Journalist | |
normalerweise freigehabt hätte – sollten sie sich zur Arbeit bei anderen, | |
ihnen unbekannten Adressen einfinden. | |
„Klingeln Sie dort an der Tür“, hieß es lapidar. Manche wurden in der | |
Redaktion eines lokalen Anzeigenblatts eingesetzt, andere gar ins mehr als | |
60 Kilometer entfernte Emden geschickt, um dort für einen Tag bei der | |
Ostfriesen-Zeitung zu arbeiten. „Zur Strafarbeit verdonnert“, nannte es der | |
Betriebsrat. | |
Später hatte der Verlag angeboten, das Gehalt um 200 Euro zu erhöhen. Diese | |
Erhöhung wird bei der Übernahme der NWPler jetzt umgesetzt, außerdem gibt | |
es eine Staffelung nach Betriebszugehörigkeitsdauer. „Der Abstand zum | |
Tariflohn beträgt ja immer noch 300 Euro“, sagt Janßen; ebenso fehlten | |
Zusagen zu einer regelmäßigen Anpassung des Lohns. | |
Im Mai ist die vierte Verhandlungsrunde zwischen Geschäftsführung und | |
Arbeitnehmervertretern über einen Haustarif, der das regeln könnte, | |
geplatzt. Von Seiten der NWZ-Geschäftsführung ist keine Stellungnahme zu | |
bekommen. | |
Für die Gewerkschaften ist die festgefahrene Situation nicht einfacher | |
geworden – ihr öffentlichkeitswirksamstes Argument, das mit der Leiharbeit, | |
ist ihnen abhanden gekommen. Und ausgerechnet jene Beschäftigten, die unter | |
der Ungleichbehandlung zu leiden haben, ziehen nicht mehr mit. Ein NWPler, | |
der aus Angst vor Konsequenzen ungenannt bleiben möchte, berichtet von | |
einem Gespräch mit der Geschäftsführung, dass diese habe durchklingen | |
lassen, dass sie von den Leiharbeitern bei Annahme des Vertragsangebots | |
einen Verzicht auf weitere Beteiligung am Arbeitskampf erwarte. | |
22 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Maik Nolte | |
## TAGS | |
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Arbeitsrecht | |
Leiharbeit | |
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