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# taz.de -- Bildungskrise in den USA: Heuschrecke sucht profitable Schule
> Hedgefonds haben die Schulen entdeckt. Über sogenannte Charter Schools
> wollen sie auf dem US-Bildungsmarkt mitmischen.
Bild: Gefangen in der öffentlichen Schule – da kann nur der Privatsektor hel…
US-amerikanische Fondsmanager haben ein neues Profitfeld entdeckt: Schulen,
genauer „Charter Schools“. Das sind Vertragsschulen, die im öffentlichen
Auftrag von privaten Betreibern organisiert werden. „Wenn du bei einem
Hedgefonds bist, sind Schulen definitiv eine heiße Sache“, sagt Joe
Williams von den „Democrats for Education Reform“.
Die Lobbygruppe hat nichts mit den Demokraten gemein. Sie wird von drei
milliardenschweren Fonds finanziert. Ihr Motto heißt, dass im öffentlichen
Schulsystem „Millionen Kinder – vor allem aus Elternhäusern mit niedrigem
Einkommen und Farbige – in kontinuierlich scheiternden Schulen gefangen
sind“. Das öffentliche Schulsystem der USA halten sie für „zutiefst
dysfunktional“.
Der Satz von den eingesperrten Kindern ist das Mantra vor allem
konservativer Politiker, die meisten US-Amerikaner halten das Schulsystem
sowieso für moribund. Bereits Studien der Reagan-Regierung identifizierten
die Schuldigen des Niedergangs: faule, überbezahlte Lehrer, der bremsende
Charakter einer Einheitsschule sowie liberale Lehrinhalte, die Kindern die
charakterbildende Möglichkeit des Wettbewerbs sowie Engagement und
Führungskraft verbauen.
Wer in den letzten Jahren eine öffentliche Schule in den USA betreten hat,
gleichgültig, ob in New York City, Chicago oder dem ländlichen Wisconsin,
dem springt die Krise ins Auge: Geografische Kenntnisse entsprechen oft dem
Berichterstatter-Radius von Fox News, nicht wenige Lehrer meinen, dass am
US-amerikanischen Wesen die Welt genesen müsse; von Schülern kommt
irgendwann die schüchtern vorgetragene Frage, wo denn Hitler nun gerade
lebe. Zudem sind religiöse Überzeugungen eine starke Konkurrenz für das,
was in Textbüchern manchmal als höchstens „wissenschaftlich bewiesen“
deklariert wird.
Der Boston Globe entdeckte vor zwei Jahren eine interessante Korrelation:
Im Vergleich der Industrienationen liegen die Ausgaben für staatliche
Schulen in den USA eher im mittleren Bereich, während gleichzeitig viel
privates Geld Nachhilfe und Vorbereitung für die aufwändigen Tests
einkaufen muss. Lehrer verdienen kaum ein Drittel der Einkommen ihrer
deutschen Kollegen.
Die Bildungshistorikerin und ehemalige Spitzenbeamtin der
Bush-Administration, Diane Ravitch, merkt an, dass Schulen nur so gut wie
ihr soziales Umfeld seien. In einem Buch über standardisierte Tests stellte
sie 2010 fest, dass soziale Verelendung, mit dem Herausbilden von
ethnischen Monokulturen in diesen Nachbarschaften mit miesen
Testergebnissen einhergehen. In den USA gelten über 21 Prozent der Kinder
als arm. In wohlhabenden Wohnvierteln waren die Testergebnisse der Schulen
deutlich besser.
## Mehr Privatschulen
Zwischen den Bildungsreformen der US-amerikanischen Vorzeigepädagogen
Horace Mann und John Dewey verfestigte sich eine Philosophie, die das
Schulsystem der USA als entscheidenden Mechanismus für eine gemeinsame
Kultur der auf Einwanderung basierten Gesellschaft begriff: Junge Menschen
sollten zu selbstständigen und kritischen Bürgern in einer demokratischen
Gemeinschaft herangezogen werden. Das Ideal galt etwa bis zu Ronald Reagans
Amtsantritt 1981. Seitdem wächst der Anteil der privaten Schulen. Seit 1988
gibt es Vertragsschulen, die formell keine Privatschulen sind.
Die tiefgreifendste Veränderung verantwortete Präsident George W. Bush. Er
schrieb in seiner Schulreform vom 8. Januar 2002 eine Fixierung auf
Testergebnisse fest, geprüft wird seitdem ab der 3. Klasse.
Die Basis lieferte ein Dokument mit dem Titel Reinventing Education:
Entrepreneurship in America’s Public Schools. Nach Ansicht des Autors, Lou
Gerster, sind die Schulen Marktplatz, Schüler das Humankapital, Lehrer die
Verkäufer. Gerster war zu dem Zeitpunkt Vorsitzender von IBM.
Aus diesen Ideen Vorschlägen wuchs das Gesetz, dass die Sprache der
Business-Community spricht und eine eindeutige Rechnung offenbart: Es gibt
Input, also Dollar für die Schule, dem Output, also das Testergebnis,
gegengerechnet wird. Der konservative Kanon lautet seitdem: Schlechte
Testergebnisse sind Zeugen schlechter Lehrer. Und je schlechter die Tests
ausfallen, desto geringer werden Lohn und Zuschüsse – eine zutiefst
US-amerikanische Logik.
Außerdem ist bis heute auch ein zweites Hätschelkind der Konservativen fest
verankert: Die Testergebnisse, bei denen es fast ausschließlich um Lesen
und Mathematik geht, sollten mit einer spezifischen Lehrmethode aufgewertet
werden – Phonics. Dabei handelt es sich um eine strikte, textbuchbasierte
Lautwiederholungsmethode mit speziell hergestellten Lehrmaterialien.
Gerald Coles, Autor einer Studie über Analphabetismus, kommentierte
trocken: „Phonics ist eine Art über Analphabetismus nachzudenken, ohne die
großen sozialen Ungleichheiten mit einzubeziehen. Demnach kann
Analphabetismus schlicht mit neuen Textbüchern geheilt werden.“
## Lukrative Tests
Die Lernqualität wurde eher nicht verbessern, sehr viel mehr allerdings die
Profite von Unternehmen, die Teststandards erarbeiteten, Vorbereitungen und
Hilfsliteratur anbieten sowie Testbögen zur Verfügung stellen und
auswerten. Dies wird privatwirtschaftlich organisiert, Entrepreneurship in
America’s Public Schools: Mit der Bush’schen Reform verwuchsen die
öffentlichen Schulen weiter mit einem Komplementärsystem der
Aktiengesellschaften. Bei der Einführung des Gesetzes prognostizierten
Analysten dem Testmarkt einen Jahresumsatz zwischen 2,7 und 7 Milliarden
Dollar.
Stephen Metcalf wies bereits 2002 in der Wochenzeitung The Nation nach,
dass selten ein Bildungsgesetz so eindeutig im Sinne einer wirtschaftlichen
Lobby geschrieben wurde. Und so sieht es aus: Pearsons North America
verzeichnet im Halbjahresbericht 2012 einen Umsatzzuwachs um 7 Prozent auf
4,005 Milliarden Dollar. Nach Steuern nahm der Konzern im vergangenen Jahr
1,185 Millionen Dollar ein, das Halbjahreswachstum 2012 kletterte um 35
Prozent. Pearsons North America etwa ist der größte Schulbuchverlag der
Welt und Vertragspartner für die wichtigsten Tests zur
Universitätszulassung SAT und GRE sowie für Schultests und
Lehrerevaluation.
Besonders steil wachsen die Zahlen der internetbasierten Unternehmen: Der
Markt rund um die 12 Klassen wird zwischen 2010 und 2015 um 43 Prozent
zunehmen, das Marktvolumen auf 24,4 Milliarden Dollar. Am Grundsatz der
Testfixierung und des Konkurrenzgedankens der Systeme haben auch die
zaghaften Reformen von Präsident Barack Obama nichts geändert: Noch immer
sind die Tests ein Sanctum der Schulpolitik.
Eine abstruse Begleiterscheinung sind Lehrer, die Ergebnisse ihrer Schüler
manipulieren, besonders schlechten Schülern wird auch schon mal angedeutet,
am Testtag nicht zu erscheinen: Einkommen und Schulzuschüsse hängen vom
Output ab. Für ehrgeizige Schüler gilt: Wer bestehen, zugelassen werden
oder glänzen will, muss Geld auf den Tisch legen.
Aus der Konkurrenz erwächst den öffentlichen Schulen ein erheblicher
Nachteil: Staatliche Zuschüsse sind an die Schülerzahl gebunden, und die
wandern in die Vertragsschulen ab. Von der New Yorker Stadtregierung
erhalten die Charter zwischen 13.653 und 16.660 Dollar öffentliche Gelder
pro Jahr und Schüler, 649 Dollar mehr als ein Schüler einer öffentlichen
Schule. Während sie die festgesetzten Summen verbuchen, sparen
Vertragsschulen beim Bau und Unterhalt der Gebäude oder Lehrerlöhnen.
Insider behaupten, Investoren könnten ihr Geld in wenigen Jahren doppelt
zurückbekommen.
Und so treffen sich in New York längst Fondsmanager auf
Schulgründungsfesten, tragen Namenssticker am Revers, die ihre
Firmenzugehörigkeit verschweigen und prosten sich zu. Sie wissen: Bildung
ist eine Investition in die Zukunft.
24 Oct 2012
## AUTOREN
Lennart Laberenz
## TAGS
Schule
USA
Hedgefonds
Privatschule
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