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# taz.de -- Vergangenheitstrip: „Ich hatte Angst vor Gediegenheit“
> Ein Gespräch mit dem Filmemacher Detlev Buck und dem Schriftsteller
> Daniel Kehlmann über den Film „Die Vermessung der Welt“.
Bild: Karl Friedrich Gauß (Florian David Fitz) und seine Frau Johanna (Vicky K…
taz: Herr Buck, die üppigen Bilder von Amazonien in Ihrem neuen Film, „Die
Vermessung der Welt“, findet man die noch so vor Ort?
Detlev Buck: Den Dschungel, den Alexander von Humboldt vorgefunden hat, den
gibt es nicht mehr. Er ist jetzt durchzogen und durchädert von Straßen und
Leitungen, von Ölpipelines, von abbrennbaren Gasen.
Ist es im Urwald inzwischen eng geworden?
Detlev Buck: Das ist genau wie in Deutschland: Du kannst nicht in die
Vergangenheit reisen, du musst sie erzeugen, mit allem, was dazugehört.
Das heißt, Sie haben das Drehbuch für die Indios geschrieben, und diese
mussten ihre Ursprünglichkeit aus der Requisitenkammer holen?
Detlev Buck: Das musste alles gestellt werden. Die Huaranis in Ecuador
leben teilweise sehr unberührt. Das ist eine Gemeinschaft, die mit den
Fettaffen lebt und mit der Penisschnur bekleidet ist, wenn die Leute unter
sich sind. Aber sie genieren sich dafür. Andere kommen in Jeans daher und
sind stark durch die katholische Kirche geprägt.
Wie wurde ihr Team von den Indios in Ecuador aufgenommen?
Detlev Buck: Es wurde schnell ein gegenseitiges Verständnis aufgebaut. Für
die Indios, die sich bereit erklärt haben mitzumachen, ist der Forscher
Humboldt ein Held. Weil er eben kein Eroberer ist, sondern jemand, der
wirklich versucht hat, etwas zu durchdringen. Beispielsweise war er ein
Feind der Sklaverei, deshalb haben wir die Szene auf dem Sklavenmarkt auch
stark hervorgehoben.
Sie haben also nicht mit ein paar Dollars Leute geangelt?
Deltev Buck: Nein, den Indios war es ein großes Bedürfnis, dass dieser Film
entsteht und gut wird. Dadurch hatte man nie das Gefühl, dass man sie
überfällt, gefügig macht und dann wieder abhaut.
Eines haben der Mathematiker Carl Friedrich Gauß und der Naturforscher
Alexander von Humboldt, die Hauptfiguren, deren Leben in dem Film gezeigt
wird, gemeinsam: Beide sind Ausnahmewissenschaftler von unstillbarem
Erkenntnisdrang. Was haben Sie beide gemeinsam?
Daniel Kehlmann: Ich habe uns in der konkreten Zusammenarbeit nicht als
wahnsinnig unterschiedlich erlebt. Es war sehr harmonisch.
Herr Kehlmann, hatten Sie Angst, dass diese Verfilmung Ihres Buches in
Exotismus abgleiten könnte?
Daniel Kehlmann: Nein. Exotismus, das gibt der Ansatz des Romans gar nicht
her, weil er ja wenig Sozialkolorit hat, außerdem ist er eine Komödie und
damit von Natur aus unpathetisch. Ich habe für den Roman ja keine Reisen
unternommen. Mexiko kannte ich ganz gut. In Peru war ich aber vorher nicht,
und ich hatte nicht den Eindruck, dass das beim Schreiben einen Unterschied
macht.
Sind Sie mit den Filmbildern zufrieden ?
Daniel Kehlmann: Sehr. Ich hatte Angst vor Gediegenheit. Ich wollte keine
schöne, saubere Nachmittags-Fernsehhistorien-Geschichte, diese Art
BBC-Jane-Austen-Verfilmung. Deswegen hab ich mich so gefreut, als Detlev
sich für das Buch interessierte, weil mit ihm etwas Frischeres, Wilderes zu
erwarten war.
Amazonien, das sind im Film schöne Bilder. Exotischer, fremder wirken aber
die Szenen in Deutschland, wo das Leben des Mathematikers Gauß spielt.
Daniel Kehlmann: Dschungel ist ja letztlich doch auch irgendwie vertraute
Vegetation. Die hier in Deutschland erzeugte Vergangenheit wirkt
bedrängender, dunkler, enger. So sieht man sie ansonsten nicht in
Historienfilmen. Dadurch ist diese Vergangenheit viel exotischer. Es gibt
diese wunderbare Bemerkung, des echten Humboldt: "Die Natur spricht überall
dieselbe Sprache." Es gibt exotische Natur, sagt er, nur als
Traumvorstellung, aber sobald man irgendwo ist, fühlt man, dass Natur
überall das Gleiche ist. Urwald ist auch nur Wald. Aber die Zivilisation
spricht absolut nicht überall dieselbe Sprache, da entsteht auch schon mal
große Fremdheit.
Und die Bilder dieser Fremdheit wirken im Film wie ein wunderbares
Zeitdokument.
Detlev Buck: Das liegt daran, dass wir sehr großen Wert auf die Ausstattung
bis in kleinste Detail gelegt haben: Kostüme, Gesichter, Mimik, Gesten …
Ein Sehgenuss …
Daniel Kehlmann: Deswegen ist es ja auch so wichtig, den Film in 3-D zu
sehen, weil gerade dadurch diese feinen, haptischen Details so viel stärker
wirken. Ich werde immer ganz traurig, wenn mir Leute sagen, das mit 3-D sei
doch Schnickschnack. Nein, der Film ist so wunderbar komplex und reich
entworfen für das Sehen in 3-D, dass man einfach auf diese Erfahrung nicht
verzichten sollte. Diese komplexe Ausstattung macht den Film so stark.
Nur Humboldt ist nicht immer komplex, zumindest fehlt jeder Hinweis auf
seine Sexualität.
Daniel Kehlmann: Im Buch gibt es einen Moment, in dem das zwischen ihm und
seinem Bruder klar ausgesprochen wird. Sein Bruder sagt zu ihm: "Immer noch
die Knaben?" Aber im Film bleibt das ziemlich ausgespart. Ich hatte mich
auch im Roman dafür entschieden, dass Humboldt diese sexuelle Ebene
verdrängt. Und dass dieser wahnsinnige Reise- und Davonlaufdrang eben auch
davon kommt, dass er etwas in sich hat, was er nicht wahrhaben oder gar
zulassen will. Das war im 18. und 19. Jahrhundert normal. Ich habe mich
auch an Don Quichotte und Sancho Panza orientiert. Sie sind im Grunde das
prototypische Paar der Reisenden. Ihr wahres Abenteuer ist ihr ständiger
Konflikt, den sie durch die Welt tragen. Und ein bisschen haben eben
Humboldt und Bonpland auch eine Don-Quichote-und-Sancho-Panza-Beziehung.
Herr Buck, was machte Sie neugierig auf die Verfilmung der "Vermessung der
Welt"?
Detlev Buck: Ein frischer Zugriff auf historische Figuren, der nicht
historisierend wirkt, sondern frech und frei ist. Aber trotzdem ist ein
Prinzip herausgearbeitet: das Prinzip von Individuen, die sich nicht
zufriedengeben mit dem, wie es ist. Das interessiert mich. In allen meinen
Filmen geht es um Menschen, die sich von A nach B bewegen: von Grunewald
nach Neukölln, vom Knast in die Freiheit. Mir geht es um das Prinzip der
Bewegung, auch bei dem Naturforscher Humboldt und dem Mathematiker Gauß.
Selbst wenn der eine nicht so viel reist, bewegt er sich doch im Kopf sehr,
sehr viel.
27 Oct 2012
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Kino
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