Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Matthias Brandt im Polizeiruf 110: Eine Figur wie ein Puzzle
> Am Sonntagabend zeigt die ARD Matthias Brandts vierten Auftritt im
> Münchner „Polizeiruf 110“. Als Kommissar von Meuffels hat er viele Preise
> gewonnen.
Bild: „Die Schnittmenge ist größer als bei anderen Figuren. Ich mag den sch…
Ganz beiläufig gibt Detti Ellermann seinem alten Internatsfreund Hanns von
Meuffels, mittlerweile Kommissar, sein iPad. „Hier, nimm ruhig mit. Kannste
mir morgen zurückgeben. Letzte Nacht werd ich wohl ohne überstehen.“ Die
Hämorrhoiden sind zwar noch nicht ganz abgeklungen, raus muss er trotzdem
aus dem Krankenhaus. Doch zurückgeben kann von Meuffels das Gerät nicht
mehr. Am nächsten Morgen ist Ellermann tot.
„Nimm das iPad! Da findest du den entscheidenden Hinweis!“, will der
krimigepeinigte Zuschauer dem durch die Krankenhauskorridore schleichenden
Kommissar zubrüllen. Schließlich wurde man jahrelang darauf trainiert, dass
in einem „Polizeiruf 110“ oder einem „Tatort“ nichts ganz beiläufig
geschieht. Alles ist bedeutungsschwer: jeder Dialog, jede Geste – vor allem
dann, wenn es jemanden betrifft, der am kommenden Morgen nicht mehr lebt.
„Ich hatte mir schon gedacht, dass viele Menschen darauf warten, dass
dieses iPad am Schluss eine ganz unvorhersehbare Wendung hervorruft“, sagt
Hendrik Handloegten, der Regisseur von „Fieber“, dem neuesten Münchener
„Polizeiruf“ (Drehbuch: Alex Buresch und Matthias Pacht). Doch das tut es
nicht. Es verschwindet einfach in von Meuffels’ Tasche. Es bleibt der
Fantasie des Zuschauers überlassen, wie der Ermittler es wohl der Witwe
überreicht.
## Vom Rand bis in die Mitte
„Ich mag es gern, wenn nicht aus jeder Handlung eine logische Kette
abzuleiten ist“, sagt Matthias Brandt. Zum vierten Mal ist er als Hanns von
Meuffels im „Polizeiruf“ zu sehen. Brandt liebt es, dass sich seine Figur
langsam entwickelt. „Das ist wie ein Puzzle“, sagt der 51-Jährige: „Wenn
ich das früher mit meiner Tochter gemacht habe, haben wir zuerst den Rand
gelegt und es dann nach innen zusammengebaut.“
So soll der Zuschauer auch von Meuffels kennenlernen. Der Rand – ein
Norddeutscher mit preußischen Tugenden und klarem Wertesystem zieht in die
bayerische Landeshauptstadt – ist gegeben, das Innere soll über die
Situationen, in die die Figur hineingestoßen wird, vom Zuschauer
erschlossen werden, „und nicht über Eigenschaften, die man ihr anzieht“,
sagt Brandt.
## Sohn von Willy Brandt
Er weiß, wie es ist, Eigenschaften angezogen zu bekommen: Als Sohn des
vielleicht populärsten deutschen Nachkriegspolitikers musste er immer
wieder Rollen spielen. Es gibt Filmaufnahmen, in denen der zwei Jahre alte
Matthias am Schreibtisch seines Vaters Willy sitzt und den Hörer falsch
herum hält. Der Regierende Bürgermeister von Berlin wusste sich und seine
Familie zu inszenieren. Oder wie Matthias 1974 seinem politisch
geschwächten Vater im ZDF-„Sportstudio“ hilft und für ihn auf die Torwand
schießt.
Doch geholfen hat auch das nichts mehr. Willy Brandt musste bald darauf
wegen der Guillaume-Affäre zurücktreten. Und sein Sohn Matthias, das
Nesthäkchen, spielte 2003 eine besondere Rolle: die des DDR-Spions Günter
Guillaume in „Im Schatten der Macht“. Der Fernsehdurchbruch für den
Theaterschauspieler Matthias Brandt, der sich nach seinem Abitur nicht
getraut hatte, seinen Eltern zu offenbaren, dass er Schauspieler werden
wollte, und sich vom Arbeitsamt eine Liste mit Schauspielschulen zukommen
ließ. In Hannover wurde er aufgenommen. Am nächsten Tag stand es groß in
der lokalen Bild-Ausgabe.
Brandt hat zunächst auf den Bühnen in Oldenburg, Bonn, Wiesbaden, Berlin
und anderswo ganz langsam seine eigene Geschichte geschrieben und sie seit
„Im Schatten der Macht“ in der öffentlichen Wahrnehmung um ein Vielfaches
beschleunigt. Der Berliner hat in den vergangenen Jahren alle relevanten
Preise gewonnen, die ein Filmschauspieler in Deutschland gewinnen kann.
Allein für seine Darstellung des Hanns von Meuffels bekam Brandt den
Bayerischen Fernsehpreis, den Bambi und den Sonderpreis beim
Fernsehfestival Baden-Baden.
## Versagen von LKA und Verfassungsschutz
Besonders „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, der zweite „Polizeiruf 11…
mit Brandt, wurde prämiert, trotz (oder gerade wegen) seiner Verbannung ins
Nachtprogramm. Der Film über einen islamistischen Anschlag in München und
das Versagen und Vertuschen von LKA und Verfassungsschutz durfte nicht auf
dem 20.15-Uhr-Sendeplatz am Sonntagabend gezeigt werden.
„Entspannende Momente, die für einen 20-Uhr-Krimi typisch sind und einer
emotionalen Überreizung und Ängstigung von Kindern und Jugendlichen
entgegenwirken, finden hier nicht statt“, begründete 2011 die
Jugendschutzbeauftragte des Bayerischen Rundfunks ihr Veto. „Es bleibt der
Nachgeschmack einer willkürlichen Handlung“, sagt Brandt noch heute.
„Fieber“ darf zur normalen Sendezeit laufen. Dabei ist auch Handloegtens
Film ungewöhnlich explizit, wenn beispielsweise der Junkie, der von
Meuffels niedergeschossen hat, in dessen Nahtoderfahrung auftaucht und aus
der Schusswunde des Kommissars das Projektil herauspopelt.
„Wenn es irgendein Konzept oder Programm für die Figur von Meuffels gibt,
dann ist es, dass jeder Autor und jeder Regisseur die größtmögliche
Freiheit haben soll“, sagt Brandt. Und die Autoren Buresch und Pracht sowie
Regisseur Handloegten haben diese Freiheit genutzt, wenn sie den Ermittler
unter dem Einfluss starker Schmerzmittel auf einen Trip voller
Fieberfantasien schicken.
## Wie „Mad Men“
Doch viel schlimmer als jede Einbildung ist die Realität im Krankenhaus:
Patienten und eine Ärztin sterben auf ungeklärte Weise, die Klinikleitung
versucht die wahren Gründe für die Todesfälle zu vertuschen, bescheißt
systematisch die Krankenkassen und frisiert so die Bilanzen, um das Haus an
einen chinesischen Investor zu verkaufen. Das alles erzählt „Fieber“ fast
nebenbei. Wer sämtliche Nuancen erfassen will, sollte sich konzentrieren.
Es ist wie bei den überall zu Recht gelobten US-Serien aus den vergangenen
Jahren, wie etwa „Mad Men“ oder „Breaking Bad“.
„Das Gespräch nach einem ’Polizeiruf‘ oder ’Tatort‘ ist das gleiche …
nach einem Fußballspiel“, erklärt Handloegten: „War es gestern Abend
spannend oder langweilig?“ Darauf läuft es hinaus. Jeder Krimi würde mit
anderen Krimis verglichen. „Deswegen muss man eine spannende Geschichte
erzählen, und man muss sie auf eine Art erzählen, wie sie die Leute nicht
sowieso schon jeden Tag sehen“, sagt Handloegten: „Das ist für mich Achtung
vor dem Zuschauer.“
Brandt will mit seiner Figur noch eine Weile Achtung vor dem Zuschauer
beweisen. Schon in diesem Monat beginnen die Dreharbeiten für den nächsten
Teil. „Die Schnittmenge zwischen mir und von Meuffels ist größer als bei
anderen Figuren, die ich gespielt habe. Ich mag den schon sehr“, sagt
Brandt. Er will die Figur zu Ende erzählen. Doch es gilt das Gleiche wie
bei einem Puzzle: „Wenn es fertig ist, ist es fertig. Und dann sollte man
etwas anderes machen.“
4 Nov 2012
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Matthias Brandt
Willy Brandt
Polizeiruf 110
München
Polizeiruf 110
ARD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Polizeiruf 110 aus Rostock: Wodka hilft
Eine Frau wird erschlagen, eine Tochter bleibt über: Laut dröhnt das
Schweigen im neuen „Polizeiruf 110“, der Nebenschauplätze angenehm maulfaul
ignoriert.
Hannoveraner Tatort: Hurra, es funktioniert!
Der NDR macht mal wieder aus dem „Tatort“ ein Event. Die Doppelfolge mit
Kommissarin Lindholm ist tatsächlich über weite Strecken spannend.
ARD Film „Bloch – Heißkalte Seele“: Der Empathiker
In „Bloch - Heißkalte Seele“ kümmert sich der Psychotherapeut Maximilian
Bloch um die Seelen der Menschen.
Kolumne Fernsehen: Tiefkühlpizza, keinen Eintopf!
Eine bessere Gesellschaft ist möglich. Mit Fernsehchips. Pädagogen haben
wohl auch was gegen ihre Kinder.
Tatort-Regisseur über Krimis: „Deutsche Ermittler sind sehr altbacken“
Ku-Klux-Klan-Anhänger bei der Polizei? Für einen „Tatort“ ist so etwas zu
ernst, sagt Regisseur Lars Kraume. Dafür tut die Frankfurter Kommissarin
Conny Mey viel für die Emanzipation.
ARD-Reihe porträtiert Matthias Brandt: Schon als Kind berühmt
Nicht kontrovers, sondern lobhudelnd und fast wie ein Nachruf:
„Deutschland, deine Künstler“ widmet sich dem Leben des Schauspielers
Matthias Brandt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.