# taz.de -- Stigmata kleiner Männer: Die da oben | |
> Unter einem Meter siebzig wird das Leben ungerecht. Kleine Männer | |
> verdienen weniger Geld, die Literatur hasst sie und sie werden nicht | |
> Präsident der USA. | |
Bild: Kleine Männer haben mehr Power, Sex und Eloquenz. Sie sind den Großen h… | |
Ein bekannter, aber nur 1,69 m großer freier Journalist, musste immer | |
wieder erleben, dass man ihn höflich, nett und zuvorkommend behandelte, | |
solange er mit einem Redakteur telefonierte. Sobald man sich | |
gegenüberstand, wurde er von oben herab angeguckt, und das nicht nur aus | |
statischen Gründen. Darunter litt der kleine Journalist so, dass er | |
zahlreiche Magazine und Illustrierten vollschrieb. | |
Er wurde zum größten Starreporter in den Achtzigern, seine langen Artikel | |
waren legendär, außerdem schrieb er zahlreiche Krimis, Sachbücher und | |
Geschichten, bevor er schließlich Uniprofessor wurde. Und das alles nur, | |
weil er an der 1,70-Grenze gescheitert war. | |
Rund 25 Prozent der deutschen Männer gelten als klein, das heißt, sie sind | |
unter 1,70 m. Sagte man unverblümt zu ihnen: „Du bist aber klein“, würde | |
das als eine Beleidigung aufgefasst, weshalb die Medien sich mühen, das | |
Problem zu umschreiben. Aber auch „mittelgroß“, „untersetzt“ oder | |
„zierlich“ hört niemand gern, der klein ist. Der kleine Mann ist | |
empfindlich, und das zu Recht, denn er wird gerne untergebuttert. Und | |
deshalb muss er sich mehr anstrengen als der große Mann, will besser sein. | |
Nur das Gleiche zu erreichen, reicht ihm nicht. | |
Der Oldenburger Bibliothekar und Bestsellerautor Günther Willen machte bei | |
seiner täglichen Zeitungslektüre eine überraschende Entdeckung: Kleine | |
Männer werden sehr häufig mit der Angabe ihrer Körpergröße versehen, | |
während bei großen Männern diese Angabe fehlt. Die „magische Grenze“ lag | |
hier aus unerfindlichen Gründen bei einem Meter und dreiundsiebzig | |
Zentimetern. | |
## Alles über die Kleinen | |
Günther Willen ist diesem Phänomen auf den Grund gegangen und hat alles | |
zusammengetragen, was mit kleinen Männern zu tun hat, welche Rolle sie in | |
der Literatur spielen, welche kleinen Diktatoren und Bösewichte es gab, | |
welche kleinen Politiker und Bonzen, welche kleinen Stars und Sternchen. | |
Und er hat dabei Erstaunliches herausgefunden. | |
Große Männer, zitiert Willen aus Studien, werden bei der Vergabe von Jobs | |
bevorzugt. Dass sie tatsächlich „entscheidungsfreudiger, risikobereiter und | |
beruflich erfolgreicher“ (Willen) seien, ist dabei nie nachgewiesen worden. | |
Dennoch verdienen Männer über 1,89 m an der Wall-Street zwei Prozent mehr | |
als Männer unter 1,80 m. Dafür wiederum, behaupten Ärzte der Universität | |
Michigan, würden kleine Männer „mehr mobben“, was naheliegend ist. | |
Interessant, wenngleich eigentlich nicht verwunderlich, dass bei den | |
amerikanischen Präsidentschaftswahlkämpfen meistens der größere Kandidat | |
gewinnt – Barack Obama ist übrigens 1,85 m groß, Konkurrent Mitt Romney | |
1,88 m. | |
Kleine Männer haben „mehr Power, mehr Sex, mehr Energie, mehr Ehrgeiz, mehr | |
Eloquenz“, behauptet Willen. Sie sind den großen Männern hoffnungslos | |
überlegen, und vielleicht deshalb versucht die 75%-Mehrheit der großen | |
Männer, sie sich vom Leib zu halten. Das gelingt in den seltensten Fällen, | |
was man gerade bei den kleinwüchsigen Diktatoren sieht, die mit | |
„Geltungssucht, Machtbewußtsein und Ehrgeiz“ (Willen) sich an die Spitze | |
des Staates vorarbeiten und dann alle spüren lassen, dass mit ihnen nicht | |
zu spaßen ist. | |
## Kleine Tyrannen | |
Benito Mussolini (1,52 m) flößte seinen Gegnern Rhizinusöl ein und Josef | |
Stalin (1,65 m) stellte sie an die Wand, nicht ohne ihnen vorher noch einen | |
Schauprozess gemacht zu haben, ganz zu schweigen von den Nazi-Größen, die | |
ganz klein waren: Hitler (1,72 m), Goebbels (1,65 m), Eichmann (1,68 m) | |
Streicher (1,68 m). Gottseidank bringt maßloser Ehrgeiz nicht immer einen | |
Diktator hervor, aber doch erstaunlich viele kleine Politiker, die durch | |
viele Wortmeldungen auffallen wie Gregor Gysi (1,66 m), Norbert Blüm (1,67 | |
m), den man allerdings auch zu den Kabarettisten rechnen könnte, und | |
Heinrich Lummer (1,58 m), der sich in seiner Zeit als Berliner Innensenator | |
gerne als Napoleon inszenierte, wenn er besetzte Häuser räumen ließ. | |
Als kleiner Mann kann man es gar bis zum Bundeskanzler bringen, man muss | |
dazu allerdings Mitglied der SPD sein und Helmut Schmidt (1,70 m) oder | |
Gerhard Schröder (1,72 m) heißen. | |
Auch in der Branche der Schauspieler ist es nicht von Vorteil klein zu | |
sein, dennoch sind es gerade die kleinen, die ganz groß raus kamen. | |
Humphrey Bogart, der 1999 vom American Film Institute zum „größten | |
männlichen amerikanischen Filmstar aller Zeiten“ gewählt wurde, musste | |
während der Dreharbeiten von „Casablanca“ mit Plateauschuhen herumlaufen, | |
um zu Ingrid Bergmann auf Augenhöhe „Here‘s looking at you, kid“ sagen zu | |
können. Woody Allen, ebenfalls nicht der größte, kam nach einer Begegnung | |
mit seinem Idol Bogart zu der Einsicht: „Du bist klein, du bist mies, und | |
trotzdem ist dir alles gelungen. Ich bin klein, ich bin mies, und mir wird | |
auch alles gelingen.“ Sein Plan ist im großen und ganzen aufgegangen. | |
Manchmal, wie im Klassiker „Tote schlafen fest“ jedoch, passte die Rolle | |
wie angegossen: Bogart: „Sie wollten mich sprechen?“ Lauren Bacall: „Sie | |
sind Privatdetektiv? Ich wusste gar nicht, dass es die wirklich gibt, außer | |
in Krimis – dreckige, kleine Kerle, die in Hotels herumschnüffeln. | |
Besonders anziehend sehen Sie nicht aus.“ Bogart: „Ich bin ’n bisschen | |
klein geraten. Das nächste Mal komm ich auf Stelzen, trag ’ne weiße Fliege | |
und ’nen Tennisschläger unterm Arm.“ Bacall: „Glaub nicht, dass das viel | |
helfen wird.“ | |
Und wie kommt der kleine Mann in der Literatur weg? Meistens nicht gerade | |
vorteilhaft. Als „Rudi der Arsch“ und als „Hundertsiebenundfünfzig | |
Zentimeter Hansdampf in allen Gassen“ beschreibt ihn Frank Schulz, David | |
Dodge kanzelt ihn ab: „Er war schwer von Begriff und noch dazu prahlerisch, | |
wie es nur ein kleiner Mann sein konnte“, und auch Ross Thomas kann sich | |
einen Seitenhieb auf ihn nicht verkneifen: „Er stand auf, wippte wieder auf | |
den Fußspitzen, um größer zu wirken. Sein Gesicht war eine Studie aus | |
Abscheu“. | |
## Kleine Duckmäuser | |
Michel Houellebecq hat ebenfalls keine sehr gute Meinung von kleinen | |
Männern: „Jeds geringe Körpergröße erleichterte es ihm zudem, eine | |
Unterwerfungshaltung einzunehmen, die im Allgemeinen von Kulturreferenten | |
sehr geschätzt wurde.“ | |
Dabei gibt es natürlich jede Menge kleingeratene Schriftsteller, die im | |
Literaturkanon ganz oben stehen und zumeist skandalträchtige Leben führten, | |
um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wie Honoré de Balzac (1,65 m), | |
der Marquis de Sade (1,60 m) und Truman Capote (1,60 m). Ohne ihre Bücher | |
wäre die Kosmos der Weltliteraur um einiges, ja, kleiner. | |
Es war also höchste Zeit, eine Lanze für den kleinen Mann zu brechen, der, | |
obwohl in der Minorität, recht erfolgreich ist. Weil das allerdings | |
aufgrund seiner Diskriminierung häufig nach hinten losgeht, bleibt einem | |
nichts anderes übrig, als ihn im Auge zu behalten, was schwierig ist, weil | |
er so klein... aber wir wollen uns nicht im Kreis drehen. | |
7 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
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