# taz.de -- „Der Tag der Norddeutschen“: Willkommen in Entenhausen | |
> Der NDR zeigt am Samstag 17 Stunden Alltag. Jetzt, wo jeder sein Leben im | |
> Netz dokumentieren kann, wollen die alten Medien auch den Zuschauern | |
> Platz einräumen. | |
Bild: Alltag. In Echtzeit. Nicht unbedingt spannend, aber immerhin echt. | |
„Schieb, schieb, schieb!“, ruft die Hebamme Raymonde Kulessa, sie ruft | |
ohnehin viel in diesen dreieinhalb Minuten, die die Zuschauer des | |
Norddeutschen Rundfunks am Samstag Abend miterleben können. Sie dürfen | |
einer fremden Frau bei einer Geburt zusehen. | |
Gerome Hennings heißt der Junge, der geboren wird, geschehen am 11. Mai | |
dieses Jahres, irgendwann zwischen 18 und 19 Uhr in Waren an der Müritz. | |
Hebamme Kulessa ist eine von 121 Norddeutschen, deren Alltag der NDR an | |
diesem Tag gefilmt hat. „Der Tag der Norddeutschen“ ist das Ergebnis, eine | |
17-stündige Collage (Regie: Franziska Stünkel). | |
Zwischen 6 und 24 Uhr zeigt der NDR das Experiment am Samstag. Die | |
jeweilige Sendezeit soll möglichst genau der Zeitspanne entsprechen, in der | |
die Protagonisten am 11. Mai erlebt haben, was wir sehen. Unterbrochen wird | |
das durch Gespräche im Studio. Hier erzählen einige Hauptdarsteller, wie | |
ihr Leben weitergegangen ist. | |
Das Konzept von „24 h Berlin“, 2009 bei Arte ausgestrahlt, war ähnlich, | |
ebenso „Ein Tag Leben in NRW“, das der WDR kürzlich aus User-generated | |
Content bastelte. In Zeiten, in denen jedermann sein Leben im Netz | |
dokumentieren kann, ist es für die alten Medien wichtig, dem Alltag der | |
Zuschauer viel Platz einzuräumen. | |
Etwa die Hälfte der Protagonisten des „Tags der Norddeutschen“ wurde | |
demokratisch gekürt, 350.000 NDR-Rezipienten beteiligten sich. Den Rest | |
suchte der Sender, darunter Prominente, die, wie praktisch, dem Haus | |
verbunden sind: die alte Nervensäge Carlo von Tiedemann (O-Ton des Senders: | |
„NDR-Urgestein“) und die mittelalte Nervensäge Hubertus Meyer-Burckhardt | |
(O-Ton des Senders: „Talkshowlegende“). | |
Das Hamburger Institut für Migration und Rassismusforschung hat den NDR | |
kritisiert, weil Menschen aus Afrika und Asien nicht vorkommen (taz vom 7. | |
11. 2012). Aber wer kommt vor? Ob Vereinskneipenwirtin, Yogalehrerin oder | |
Spargelbauer: Programmkenner werden das Gefühl haben, solche Menschen alle | |
schon mal gesehen zu haben, in Valiumsendungen wie dem „Schleswig-Holstein | |
Magazin“. Die dargestellte Welt ist nicht nur heil – zu sehen sind Bilder | |
aus Jugendgefängnis und Kinderhospiz –, aber die Trutschigkeit des NDR | |
stets spürbar. „Der Tag der Norddeutschen“ zeigt viele, viele Entenhausens. | |
9 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
## TAGS | |
DDR | |
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