# taz.de -- Die Vorzeige-Frau der CDU: Ministerin ohne Hürden | |
> Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) ist erklärte Gegnerin | |
> von Quoten. Ins Ministeramt hat die Tochter eines türkischstämmigen | |
> Schneiders aus Hamburg-Altona es auch ohne geschafft. | |
Bild: Bloß nicht zu laut werden: Aygül Özkan (CDU). | |
HANNOVER taz | Aygül Özkan strahlt. Ein Samstag im November, Niedersachsens | |
CDU-Sozialministerin betritt das Congress-Centrum Hannover. | |
Mitgliederversammlung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, ein | |
Pflichttermin im Feindesland. SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im | |
Januar, Stephan Weil, ist da. Özkans direkte Konkurrentin Cornelia Rundt, | |
Verbandsvorstand und Sozialministerin im SPD-Schattenkabinett, hält das | |
Grußwort. Ministerpräsident David McAllister (CDU) hat abgesagt, „dringende | |
private Termingründe“. Özkan aber ist da. | |
Eigentlich ist das hier nicht ihre Szene. Zweieinhalb Jahre, nachdem Aygül | |
Özkan als Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und | |
Integration nach Niedersachsen kam, ist sie noch immer ein bisschen fremd. | |
Eine Managerin sei sie, die jedes Amt verwalten würde, in das man sie | |
setzt, heißt es. Özkan lächelt, grüßt, schüttelt Hände. Die „seltene G… | |
auf Menschen ganz unbefangen zuzugehen“, lobt man in der CDU an ihr. | |
Dort hat sie es damit weit gebracht. Die Niedersachsen-CDU hat sie für den | |
Bundesparteivorstand vorgeschlagen. Bei der Landtagswahl hat sie | |
Listenplatz drei. Kommt ein Regierungswechsel, wie Umfragen | |
prognostizieren, winkt in Hannover schon die Alternative: Hier handelt man | |
sie als Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl im September 2013. Özkan, | |
die Tochter eines türkischen Schneiders aus Hamburg-Altona, als Gesicht | |
einer Großstadt-CDU. Noch dementiert sie. | |
## Zähigkeit und Fleiß | |
Geschafft hat sie das mit Zähigkeit und Fleiß. Ganz so, wie sie jede Form | |
von Quoten – sei es für Frauen oder Migranten, im öffentlichen Dienst oder | |
der Wirtschaft – ablehnt, hat es auch für sie nie welche gegeben. Ihre | |
Karriere zeige, „es stehen viele Wege offen. Als Frau und als Frau mit | |
Migrationshintergrund“, sagt sie. Die Wirtschaft werde das Potenzial von | |
Frauen wie Migranten auch so bald stärker nutzen, ist sie sicher. Frauen | |
und Migranten müssten sich selbst „Ziele setzen und bereit sein, sich dafür | |
anzustrengen“. | |
Özkan lebt das vor. Als der damalige Ministerpräsident Christian Wulff | |
(CDU) sie 2010 aus der Hamburgischen Bürgerschaft nach Niedersachsen holt, | |
überschlägt sich nicht nur die Presse. Frau, Migrantin, Mutter, gerade mal | |
38 Jahre alt, erste türkischstämmige Landesministerin bundesweit. Die Frage | |
der Qualifikation spielt keine Rolle. | |
## Argwöhnische Routiniers | |
Mit Sozial- und Gesundheitspolitik hat sie bis dahin wenig am Hut, gilt in | |
Hamburg als knallharte Wirtschaftsfrau. Jurastudium, Führungskraft bei der | |
Telekom, dann beim Postdienstleister TNT. 2004 CDU-Eintritt, 2008 Einzug in | |
die Bürgerschaft, dort gleich Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses. Auf | |
Integrationsthemen hat sie sich bewusst nicht festlegen lassen. | |
Entsprechend hart ist der Anfang – nicht nur fachlich. Die Landtagsfraktion | |
empfängt Özkan nicht mit offenen Armen. Frau, Migrantin, Städterin: Im | |
Mikrokosmos der ländlich-biederen Niedersachsen-CDU sind das vor allem | |
Makel. Im Kabinett trifft sie auf argwöhnische altgediente Routiniers. Und | |
Özkan tut ihr übriges, spricht sich gegen Kruzifixe wie Kopftücher in | |
staatlichen Schulen aus, in der CDU ein Skandal. Der Versuch, die Presse | |
mit einer „Mediencharta“ zu kultursensibler Sprache zu verpflichten, endet | |
in Zensur-Vorwürfen. Als Wulff nach Berlin abrauscht, ist sie unter | |
Nachfolger McAllister Ministerin auf Bewährung. | |
Özkan aber wirft nicht hin, steckt alles weg. „Wohin?“, fragen sich selbst | |
Vertraute. 200 Termine nimmt sie allein im ersten Amtsjahr wahr. | |
Unermüdlich pendelt sie zwischen Hannover und Hamburg, wo ihr Mann als Arzt | |
arbeitet und der elfjährige Sohn zur Schule geht. Und zeigt | |
„Bodenständigkeit, wie man sie von einer Städterin nicht erwartet“, wie es | |
aus der Partei heißt. Schützenfeste, Ortsverbandssitzungen, Özkan ist | |
dabei. Beim traditionellen Wurstessen von Hannovers Schützen isst die | |
Muslimin eben Käse. Das zieht, zumindest in der CDU. | |
Ansonsten hält sie sich zurück, wird niemandem unbequem, macht eine Politik | |
der netten Inszenierung: Die Ministerin lässt sich gegen Grippe impfen, | |
liest Schulkindern vor, trifft Muslime zum Fastenbrechen. Mehr erwartet man | |
nicht: „In Zeiten knapper Kassen kann man in der Sozialpolitik keine großen | |
Sprünge machen“, ist die Formel in der CDU. Von „Symbolpolitik“ spricht | |
dagegen die Opposition, Migrantenverbände sind offen enttäuscht. Heikle | |
Fragen der Integrationspolitik überlässt sie Innenminister Uwe Schünemann | |
(CDU). Nie kommt ein Wort zu seiner rigiden Abschiebepolitik. Als | |
Schünemann die Muslime mit einer Islamisten-Checkliste düpiert, bleibt sie | |
still. „Schünemann bestimmt, wen Özkan integrieren darf“, beschreiben | |
Gegner das Verhältnis. Muslime nennen sie „das größere Dilemma als | |
Schünemann“. | |
Derlei Kritik will sie selbst nicht kennen. Enttäuschung habe ihr gegenüber | |
keiner geäußert. Sie selbst trage nicht jede Kritik in die Öffentlichkeit. | |
„Zielführender ist es, den Austausch mit Kabinettskollegen zu kontroversen | |
Punkten direkt zu führen.“ Hürden habe sie nie erlebt, sagt Özkan, die | |
einst trotz guter Noten keine Gymnasialempfehlung bekam. Wichtig findet | |
sie, Hilfe annehmen zu können, „vom Gedanken wegzukommen, abgeholt zu | |
werden“. Sie habe Unterstützung erfahren, weil sie danach gefragt hat. | |
Erst suchte Ole von Beust für die CDU in Hamburg das Modell Frau, | |
Migrantin, jung. Dann kam Wulff. Eine Logik, die keiner festgeschriebenen | |
Quote folgt, dafür einer inoffiziellen, auf die Medien und Öffentlichkeit | |
setzen. Özkan spielt mit. Arbeiten, demütig bis devot bleiben, bloß nicht | |
zu laut werden. Und stets strahlen. | |
16 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Teresa Havlicek | |
Teresa Havlicek | |
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CDU Hamburg | |
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