# taz.de -- Performance-Festival „Spine“: Chicken Jack hält nicht viel von… | |
> Gated Communities, Townships und Innenstadt: Soziale Grenzen prägen das | |
> Leben in Johannesburg. Viel Stoff für das Performance-Festival „Spine“. | |
Bild: Winzige Steinhäuser und Wellblechhütten dicht an dicht, unbefestigte Sa… | |
Eigentlich hat der Schlagbaum keine Funktion. Er steht nur da und | |
symbolisiert eine Grenze. Theoretisch kommt jeder an dem freundlichen | |
Security-Mann vorbei. Doch Absperrung und Sicherheitskameras schrecken ab. | |
Urania Village ist eine weiße Enklave in Johannesburg, umgeben von | |
größtenteils heruntergekommenen Vorstadtvierteln. Nur ein paar Häuserblocks | |
weiter wohnen Menschen, für die das Leben in Gated Communities unerreichbar | |
ist. | |
Die meisten der schwarzen Nachbarn sind in den Straßen von Urania | |
unerwünscht. Denn Zusammenleben ist in Johannesburg noch immer kompliziert. | |
Martha Maleka steigt aus dem weißen Minibustaxi und blickt die sauber | |
gefegte Straße herunter. Sie kommt nicht aus der Gegend, doch sie kennt sie | |
gut. Die perfekt gesicherten Häuser, die hohen Mauern. | |
„Das ist hier eben so“, sagt sie lakonisch. „Damals war es auch nicht | |
anders.“ Auch vor 50 Jahren war Maleka hier bestenfalls zu Gast. Damals, | |
als ihre Tante in dem Viertel für eine weiße Familie arbeitete. Als sie | |
ihre Nichte manchmal mitnahm. Und die dann abends in die Township | |
zurückfuhr. | |
Die 62-Jährige ist heute mit ihrem Sohn Humphrey hier. Zusammen mit dem | |
Choreografen Sello Pesa und dem Tänzer Brian Mtembu stellt der Performer | |
aus Soweto vor Ort sein Kunstprojekt „In House“ vor. Im Rahmen des | |
Performance-Festivals „Spines“ vom Goethe-Institut, will er sein Publikum | |
drei Tage lang an ungewöhnliche Orte in Johannesburg und mit Bewohnern vor | |
Ort in Kontakt bringen. Natürlich ist es eine eher homogene Truppe, die er | |
durch die Stadt führt. | |
## Kulturmanager und junge Künstler | |
Doch immerhin trifft dabei ein weißes Rentnerpaar auf schwarze | |
Kulturmanager und junge amerikanische Künstler begegnen südafrikanischen | |
Kollegen aus dem Goethe-Umfeld. Auch Mutter Maleka ist unter den 35 | |
Teilnehmern. Sie kennt fast jede Arbeit ihres Sohnes, und sitzt nun auch in | |
einem der vier Minibustaxis, die in Observatory ankommen. | |
Auf dem Gelände der Sternwarte im Viertel steht eine schöne alte Villa, und | |
vor der Villa ein halb leerer Swimmingpool. Darin hockt ein Mann mit langen | |
Dreadlocks und gestreifter Badehose. Eben noch hatte Raphaël Christian | |
Etonga sich mit blauer Farbe angemalt, mit Stöcken hantiert und den | |
stereotypen Wilden vor prunkvoller Kulisse gemimt. | |
Nun kullert er einen Autoreifen durch den Pool und wälzt sich selbst durchs | |
Wasser. „Der kommuniziert mit den Ahnen“, ist Martha Maleka sich sicher. | |
„Ich selbst gehe auch immer zum Fluss, um mit den Verwandten zu sprechen.“ | |
Sie faltet die Hände und blickt Etonga wohlwollend an. | |
Tatsächlich soll es in dem augenzwinkernden Stück des Kameruner Künstlers | |
eher um das Chaos in seiner Heimatstadt Yaoundé gehen. Doch spielt das | |
wirklich eine Rolle? „Wenn du mich fragst, nein“, sagt Sello Pesa, einer | |
der Initiatoren. „Ich will ja, dass die Zuschauer eigene Schlüsse ziehen. | |
Dass sie darüber mit Unbekannten ins Gespräch kommen und dabei vielleicht | |
auch mal Grenzen überwinden.“ | |
## Improvisierte Müllkippe | |
Bislang ist das Festivalpublikum unter sich geblieben. Doch als die Busse | |
an einer improvisierten Müllkippe vorbeifahren, lassen sie gleich eine | |
Reihe unsichtbarer Grenzen hinter sich. Winzige Steinhäuser und | |
Wellblechhütten dicht an dicht, unbefestigte Sandwege und Frisörsalons im | |
Freien – wir sind im Township Alexandria. | |
Angeführt von ein paar lokalen Helfern zieht unsere Gruppe durch winzige | |
Gassen und an vielen offenen Haustüren vorbei. Freundliches Grüßen ringsum, | |
doch ebenso prüfende Blicke. Humphrey Maleka hat die fremde Township erst | |
fürs Festival richtig entdeckt. „Ohne Brian Mtembu, der in Alex lebt“, sagt | |
er, „wäre ich aufgeschmissen gewesen.“ „Mir schien es erst so, dass die | |
Leute sich hier kaum füreinander interessieren, weil viele Zuwanderer und | |
nur auf der Durchreise sind.“ | |
Doch mit den Festivalbesuchern strömt auf einmal das halbe Viertel | |
zusammen. Denn mitten auf dem Bürgersteig liegt ein Mensch. Neben ihm ein | |
weißes Ambulanzköfferchen mit grünem Kreuz, darum verteilt ein paar Eier. | |
Das Gesicht des Mannes ist mit einer hautfarbenen Maske bedeckt – eine | |
surreale, albtraumhafte Szene. | |
Ratlosigkeit in der Menge. „Vielleicht hat er einen Unfall gehabt?“ „Er | |
könnte ja auch betrunken sein.“ Die Bewohner des Viertels können sich | |
keinen Reim drauf machen. Erst ein Polizist, der im Auto mit offenem | |
Fenster an der Szene entlangfährt, schätzt sie richtig ein. „Kunst“, ruft | |
er lachend und fährt kopfschüttelnd an Stan Wannet vorbei. | |
## Poesie des Augenblicks | |
Mittlerweile trauen sich ein paar junge Mädchen an den holländischen | |
Performer heran. Ob das wirklich Kunst sein soll, fragen sie schüchtern, | |
und auch Martha Maleka ist skeptisch. Umständlich versuchen die | |
Festivalbesucher die Poesie des Augenblicks zu erklären – und sind kurz | |
darauf mit den Anwohnern im Gespräch. | |
Vor ähnlich ungewöhnlichem Hintergrund verhandelt tags darauf Raphaël | |
Christian Etonga die Kunst. Zwischen den Kulturinstitutionen des | |
innerstädtischen Newtowns und den Sweatshops eines chinesischen Viertels | |
hat er sich an der Straße ausgebreitet. Er sitzt auf einer Decke, | |
streichelt den Kopf eines altersschwachen Huhns und spricht leise mit ihm. | |
„Chicken Jack“, verkündet er nach einer Weile, „hält nicht viel von | |
Performance-Kunst.“ Dann steckt er unvermittelt den Kopf des Huhns in den | |
Mund und bringt es zum Schweigen. Betretene Stille, als es plötzlich | |
aufhört zu flattern. Doch nach einer Weile öffnet Etonga endlich wieder den | |
Mund und befreit das Huhn. | |
Es ist die vorletzte Station der dreitägigen Tour, und wer erschöpft war, | |
ist jetzt wieder munter. Etonga hat nicht nur die Tierschützer der Gruppe | |
alarmiert. Er hat auch unterschiedlichste Befindlichkeiten berührt. Während | |
die weiße Kulturbourgeoisie sich Sorgen über das Wohlbefinden von Jack | |
macht, stoßen sich Zuschauer aus dem Viertel eher an der angeblichen | |
Sprachfähigkeit des Huhns. Aufmerksamkeit zumindest hat Etonga auf beiden | |
Seiten erregt. | |
## Choreograf mit Lackplateaus | |
Zwar kann man darüber diskutieren, ob das Festival nicht etwas zu oft auf | |
derartige Schockeffekte gesetzt hat – ein deutscher Choreograf mit | |
Lackplateaus und Gardinenwimpern war den Bewohnern von Soweto auch nicht | |
ganz geheuer. Doch es gab eben auch die leisen Momente: die poetische | |
Installation in Alexandra oder Etongas ironisches Stück in Badehose. | |
Das eine hat tatsächlich für Austausch zwischen Stadt- und Vorstadtpublikum | |
gesorgt. Das andere für Verortung von Performancekunst vor | |
Postapartheid-Kulisse. Mehr konnte das Festival mit seinem | |
Begegnungsanspruch vielleicht gar nicht leisten. Nicht in einer Stadt, wo | |
Segregation zwischen sozialen Schichten und ethnischen Gruppen noch immer | |
so ausgeprägt ist. Zwar überwinden Menschen wie Humphrey und Martha Maleka | |
zuweilen die Grenzen. Doch bislang sind sie die Ausnahme. | |
10 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Wellershaus | |
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