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# taz.de -- Fußballnationalmannschaft der Arbeiter: Stauerviz Seeler für Deut…
> Vor 80 Jahren lief zum letzten Mal die Auswahl des Arbeitersports auf.
> Damit endete ein Kapitel der Fußballgeschichte, das weitgehend ignoriert
> wird.
Bild: Vor dem Tor: Uwe Seeler ist noch heute eine HSV-Ikone. Sein Vater machte …
Alfons Beckenbauer war ein Fußballer, dem zeitgenössische Beobachter
„kräftige Lebendigkeit im Strafraum des Gegners“ bescheinigten – dank
dieser Eigenart bestritt der Halbstürmer, der in den 1920er Jahren und
Anfang der 1930er Jahre in München für die Sportfreunde 1912 Giesing
spielte, fünf Länderspiele. Erwin Seeler, der für den SC Lorbeer in Hamburg
aktiv war und als Lastkranführer und Stauerviz, also als Vorarbeiter, im
Hafen schuftete, lief sogar neunmal für Deutschland auf.
Obwohl Alfons der Onkel eines gewissen Liberos ist und Erwin der Vater
einer Hamburger-SV-Legende, ist das Milieu, in dem ihre Karrieren begannen,
heute weitgehend vergessen: Beide stammen aus dem Arbeitersport. Und, ja,
sie waren Nationalspieler.
Denn der Arbeitersportbund (ATSB) organisierte in Konkurrenz zum DFB nicht
nur einen eigenen Spielbetrieb – allein die Fußballsparte hatte Ende 1932
fast 137.000 Mitglieder –, sondern hatte auch eine eigene
Nationalmannschaft. Wobei der Begriff aber verpönt war. Die Proletarier
bezeichneten das Team als Bundesauswahl, für Fußballnationalismus hatten
sie nichts übrig.
Die Geschichte dieser Mannschaft dauerte nur acht Jahre. Zu Ende ging sie
vor 80 Jahren in Leipzig: am 26. Dezember 1932, als die deutsche
Arbeiterelf vor 10.000 Zuschauern im Stadion des VfL Leipzig-Südost die
Auswahl Polens mit 4:1 bezwang. Zwei Tore erzielte ein Mann namens Gräfe
vom Dresdner Klub Eintracht Leuben, und er ist weniger bekannt als der
Onkel von Franz und der Vater von Uwe, denn von ihm ist nicht einmal der
Vorname überliefert.
## Rote Europameisterschaft
Das letzte Länderspiel fand im Rahmen einer dezentral ausgetragenen
Arbeiter-Europameisterschaft statt, die im Sommer 1932 begann und auf zwei
Jahre angelegt war. Eine für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Idee –
zwei Jahre nach der ersten WM der bürgerlichen Fußballverbände in Uruguay.
15 Länder hatten für diese rote EM gemeldet, die durch die politische
Entwicklung in Deutschland ihren Wert verlieren sollte.
Drei Spiele standen für die ATSB-Auswahl nach dem Sieg gegen Polen auf dem
Plan, doch sie konnte sie nicht mehr austragen, nachdem die Nazis im März
1933 begonnen hatten, den Arbeitersport zu zerschlagen, das Vermögen der
aufgelösten Vereine und teilweise auch deren Immobilien und Sportanlagen in
ihren Besitz zu bringen. Sein 40-jähriges Bestehen erlebte der 1893 als
Arbeiterturnerbund (ATB) gegründete und 1919 in ATSB umbenannte Verband
somit nicht mehr.
Der Arbeitersport war eine Alternative zum bürgerlich-nationalistischen
Sport beziehungsweise zum „vorherrschenden Gedankengut“ gewesen, das
„Turnen und Sport auf wehr- und machtpolitische Ziele verpflichten wollte“.
So formulierte es 1993 der damalige SPD-Bundesvorsitzende Rudolf Scharping
in einem Grußwort zu einer Tagung, die anlässlich des 100-jährigen
Jubiläums stattfand. Sogar er hatte ein paar lichte Momente in seiner
Karriere.
Auch die Nationalmannschaft stand für dieses Gegenmodell: Ihr erstes
Länderspiel bestritt sie 1924 gegen Frankreich. Hier wurde das seinerzeit
noch halbwegs ernst zu nehmende Ideal von Sport als Völkerverständigung mit
Leben gefüllt. Die bürgerlichen Sportorganisationen der beiden „Erbfeinde“
hatten zu jenem Zeitpunkt, sechs Jahre nach Frankreichs Sieg über
Deutschland im Ersten Weltkrieg, keinen Kontakt. Der nationalistische DFB
brauchte bis 1931, bis er ein Länderspiel mit den Franzosen vereinbarte.
## Torrichter schon in der 20er Jahren
Zum Selbstverständnis der Arbeiterfußballer gehörte es, die im bürgerlichen
Sport geltenden Regeln entsprechend den eigenen Bedürfnissen zu variieren.
Bei Meisterschaftsspielen kamen teilweise Torrichter zum Einsatz, es gab
eine entsprechende Kannbestimmung im Regelwerk. Bei einem Länderspiel gegen
die UdSSR 1927 in Hamburg – 13.000 Zuschauer waren im Stadion, der
norddeutsche Sender Norag übertrug live im Radio – hatte der Schiedsrichter
insgesamt acht Linienrichter an seiner Seite. Vier davon dürften Torrichter
gewesen seien.
Die Idee mit dem Torrichter – im Rückblick sehr fortschrittlich anmutend,
während die heutige Praxis der Uefa angesichts der zur Verfügung stehenden
besseren Kontrollmöglichkeiten ja eher regressiv wirkt – war das Resultat
eines gewissen Gerechtigkeitsfanatismus. Der kam auch in der von Rolf
Frommhagen in seinem Buch „Die andere Fußball-Nationalmannschaft“ erwähnt…
„ethischen Anschauung“ zum Ausdruck, dass Elfmeter absichtlich zu
verschießen seien, wenn man im Spiel deutlich überlegen ist.
Wären die historischen Kenntnisse über den Arbeitersport weiter verbreitet,
könnten die Ideen von einst die Diskussion darüber beeinflussen, ob sich
Sport heute anders organisieren ließe als in den etablierten Verbänden. Ob
an der unter Fußballhistorikern kursierenden Spekulation, der
Arbeiterfußball werde ab 2014 im geplanten DFB-Museum in Dortmund
berücksichtigt, etwas dran ist, lässt sich schwer sagen.
Auf eine entsprechende Anfrage reagierten die Organisatoren nicht. Würde
der DFB den Konkurrenten von einst Platz einräumen, wäre das allemal eine
souveräne Geste. Zumal der Arbeitersport im Deutschen Sportmuseum in Köln
gar nicht vorkommt. Im nächsten Jahr könnte ein Jubiläum Anlass geben,
Versäumtes nachzuholen: Dann jährt sich die Gründung des hiesigen
Arbeitersportbundes zum 120. Mal. Wird sich, wie beim letzten runden
Geburtstag, dann der Bundesvorsitzende der SPD äußern? Wohl eher nicht.
31 Dec 2012
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
Franz Beckenbauer
Deutscher Fußballbund (DFB)
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