# taz.de -- Alternatives Arbeitssystem: „20 Stunden Arbeit sind genug“ | |
> Weniger, lokaler und fröhlicher: Eine neue Form der Arbeit ist möglich, | |
> meint der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann. | |
Bild: Grün, gesund, gemeinschaftlich. Nachbarschaftsgärten im Brightmoorviert… | |
taz: Herr Bergmann was ist neu an der „Neuen Arbeit“? | |
Frithjof Bergmann: Die alte Arbeit ist die Arbeit, die man tun muss, und | |
die Neue Arbeit ist die Arbeit, die man wirklich wirklich tun will. Sie ist | |
menschenentwickelnd statt menschenverzweifelnd. Sie ist die Arbeit, die | |
Kraft gibt und sinnstiftend ist. Und – das möchte ich besonders betonen – | |
sie findet vor Ort, lokal statt. Die Menschen produzieren vor Ort. | |
Wieso ist das so wichtig? | |
Ziel ist die Entwicklung eines neuen Arbeitssystems – und dafür ist es | |
allerhöchste Zeit. Ein Teil ist die Entwicklung einer Grundwirtschaft am | |
Ort. Heute ist es möglich, nahezu alles, was man zum Leben braucht, vor Ort | |
herzustellen; also nicht nur Obst und Gemüse, Butter und Käse. | |
Man kann am Ort auch Elektrizität selbst herstellen, Zement und Möbel – und | |
sogar Kühlschränke, Mikrowellen, Autoersatzteile und medizinische | |
Hilfsmittel. Statt auf kolossale Fabriken setzen wir auf kleine | |
Werkstätten. Das Ziel dabei ist wirtschaftliche Unabhängigkeit. | |
Sie sagen, zwanzig Stunden Arbeit sind genug. Reicht das wirklich, um damit | |
seinen Lebensunterhalt decken zu können? | |
Das ist eine Frage, die immer als Erstes gestellt wird. Die Lohnarbeit | |
teilt sich auf in zehn Stunden Grundarbeit und zehn Stunden einer Arbeit, | |
die man tun will. Und gemeinsam – ich möchte betonen: gemeinsam –, nicht | |
allein, kann man so viel herstellen, dass die Kosten zum Leben sehr | |
gedrückt werden können. | |
Das Modell geht davon aus, dass die Menschen gemeinsam kleine Werkstätten | |
aufbauen und parallel dazu neue Unternehmen gründen, die sich vor allem | |
dadurch unterscheiden, dass man dort nur zehn Stunden arbeiten kann. Aber | |
für diese zehn Stunden wird man gut bezahlt. | |
Wie lange braucht eine Gesellschaft, um dieses Modell leben zu können, und | |
wie weit ist die Umsetzung Ihrer Vision? | |
Das ist auf jeden Fall ein Prozess. Er hat schon begonnen, auch in | |
Deutschland. Die Idee einer neuen Wirtschaft findet immer mehr Anhänger. Am | |
weitesten in der Umsetzung ist derzeit die Stadt Detroit – besonders | |
bekannt sind dabei die urban gardens von Detroit: Überall in der Stadt wird | |
Gemüse angebaut, die Stadt ertrinkt schon fast in dem vielen selbst | |
hergestellten Gemüse. | |
Ein wichtiger Schritt sind auch andere Wohnformen. Auch hier gibt es viele | |
Modelle. Ein Modell ist das sogenannte co-housing, wo die Menschen in | |
Gemeinschaften leben, aber trotzdem ihre Individualität erhalten. | |
Wie sähe die Welt aus, wenn alle Gesellschaften nach Ihrem Modell leben | |
würden? | |
Die Welt würde sich verändern. Nicht nur unsere Gesellschaft. Da die | |
Menschen alles vor Ort selbst herstellen könnten, bräuchten sie ihre Länder | |
und Kontinente nicht mehr zu verlassen. Auch Landflucht würde aufhören. Die | |
Spaltung in Arm und Reich könnte überwunden werden. Die Menschen, die jetzt | |
von Armut bedroht sind, weil sie sich nicht selbst helfen können, würden | |
völlig neu motiviert, sich selbst zu versorgen. | |
Auch das Internet ist bei dieser Entwicklung hilfreich. Es ermöglicht neue | |
Formen des Lernens – sogenanntes long-distance-learning. Schon heute | |
verfügt unser Netzwerk über eine Vielzahl von Koryphäen, die gern in der | |
Wissensvermittlung tätig werden. Und ich glaube, das Modell der Neuen | |
Arbeit würde dazu beitragen, dass die Menschen fröhlicher werden, weil sie | |
das tun können, was sie wirklich wollen. | |
3 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Manuela Knipp-Lillich | |
## TAGS | |
Detroit | |
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