# taz.de -- Berlin apart: Streicheleinheiten fürs Telefon | |
> Flirten in der U-Bahn? Vorbei. Ein Grund: Das Smartphone in fast | |
> jedermanns Manteltasche. | |
Bild: Wischen und ziehen - das muss man heute drauf haben. | |
Schon 1931 beschrieb Erich Kästner in seinem Roman für Kinder „Der 35. Mai�… | |
die Stadt der Zukunft: Elektropolis. Niemand muss mehr schuften, weil alle | |
Arbeit von Maschinen und Computern automatisch verrichtet wird. Die | |
Menschen müssen nicht mal mehr selbstständig laufen: Förderbänder sind in | |
die Gehsteige integriert. „Am meisten imponierte ihnen aber folgendes: Ein | |
Herr, der vor ihnen auf dem Trottoir langfuhr, trat plötzlich aufs | |
Pflaster, zog einen Telefonhörer aus der Manteltasche, sprach eine Nummer | |
hinein und rief: ,Gertrud, hör mal, ich komme heute eine Stunde später zum | |
Mittagessen. Ich will vorher noch ins Laboratorium. Wiedersehen, Schatz!‘ | |
Dann steckte er sein Taschentelefon wieder weg, trat aufs laufende Band, | |
las in einem Buch und fuhr seiner Wege.“ | |
Kästners Vision ist längst von der Gegenwart überholt worden. Wer | |
telefoniert noch mit Telefonen? Die Kommunikation mit dem Gerät ist vom | |
Akustischen ins Schriftliche übertragen worden. Wir tippen auch nicht mehr, | |
wir wischen, ziehen, schieben. Wir führen kaum noch Gespräche mit | |
anwesenden Unbekannten. Alle Antworten und alle Freunde stecken stets in | |
unserer Manteltasche. Niemand flirtet mehr in der U-Bahn, weil alle nur | |
noch ihre Telefone streicheln. | |
Fragt man heute jemanden nach dem Weg: „Entschuldigen Sie, wo geht’s zum | |
Bode-Museum?“, dann wird niemand mehr nachdenklich den Finger an die Nase | |
legen und sich langsam um die eigene Achse drehen, während er murmelt: | |
„Warten Sie mal, Bode, das muss hier irgendwo sein!“, um schließlich den | |
Ratsuchenden in die völlig falsche Richtung zu schicken. | |
Wenn man heutzutage jemanden nach dem Weg fragt, wird derjenige in den | |
meisten Fällen gar nicht erst anfangen nachzudenken, sondern sofort sein | |
Smartphone zücken und sagen: „Augenblick. Bode. Buchstabieren Sie mal!“, um | |
einem daraufhin die exakte Anzahl der Meter zu nennen, die man noch | |
zurückzulegen hat bis zum Ziel. | |
Neulich erzählte eine Freundin, wie sie telefonlos an einem S-Bahnhof stand | |
– sie hatte ihr Smartphone vergessen – und überlegen musste, wie sie | |
rauskriegen sollte, wann die Bahn käme. An der Station gab es keine | |
Anzeigen. Sie stellte sich vor die Fahrplan-Vitrine. Und weil die Schrift | |
so furchtbar klein war, legte sie die Fingerspitzen auf die Glasscheibe und | |
machte diese öffnende Handbewegung, mit der wir uns als Kinder gegenseitig | |
an die Knie gefasst haben, weil es so schön kitzelte. | |
In Kästners Elektropolis brennt am Ende wegen Hochspannung die Sicherung | |
durch. Wir müssen uns wohl ganz andere Sorgen machen. | |
6 Jan 2013 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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