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# taz.de -- Mitmachen oder verweigern: "Er war am Boden zerstört"
> Detlev Hosenfeld widmet sich dem Nachlass seines Vaters, der 1944 den
> Pianisten Szpilman rettete und trotzdem als Kriegsverbrecher verurteilt
> wurde.
Bild: Will das Andenken an seinen Vater sinnvoll weitergeben und seine Visionen…
taz: Herr Hosenfeld, Sie haben Ihren Vater zuletzt gesehen, als Sie 16
waren. Haben Sie Ihn richtig gekannt?
Detlev Hosenfeld: Ich glaube schon. Er war ja Lehrer in unserem Dorf und
hat mich zwei Jahre lang unterrichtet.
Wie war Ihr Familienleben?
Bis Kriegsbeginn war das sehr unbeschwert. Wir fünf Geschwister haben uns
sehr wohl gefühlt in dem kleinen Dorf. Wir hatten viel Freiheit. Mein Vater
gehörte ja schon 1920 zu den Pionieren der Reformpädagogik. Er strafte
nicht mit dem Stock und erteilte wenig Strafarbeiten.
War er religiös?
Ja, aber etwas anders als seine streng katholischen Eltern. Er schrieb
1919: ’Meine Eltern meinen, sie müssten alles für Gott im Gesetz der Kirche
tun, um das Himmelreich zu gewinnen. Mir ist das Leben in anderer Form und
das Diesseits eine Vorstufe, und wenn ich hier richtig gelebt habe, fällt
mir jenes von selbst zu, aber nicht als Lohn.‘
Aber seine evangelische Frau musste konvertieren.
Die Begründung war: Der Vater muss katholischen Religionsunterricht geben.
Aber meine Mutter gab ihre Prägungen durch ihr Elternhaus nicht auf.
Welche zum Beispiel?
Ihren Pazifismus. Denn Annemarie Krummacher, Tochter des Worpsweder Malers
Karl Krummacher, war durch die Freideutsche Jugend ihrer
Wandervogelorganisation eher linksorientiert. Sie war sehr liberal
aufgewachsen.
Wie stand Ihre Mutter dazu, dass Ihr Vater Mitglied der SA wurde?
Sie war skeptisch und hat meinen Vater immer darauf hingewiesen, wie
ekelhaft die Nazis waren.
Hat Ihr Vater nicht erkannt, dass Hitler Krieg wollte?
Wohl nicht. Das war eine Schwäche von ihm: Mein Vater war gutgläubig und
optimistisch. Er ist in die NSDAP eingetreten, um seine Familie
abzusichern. Denn nachdem er die Theorien des Nazi-Ideologen Alfred
Rosenberg öffentlich abgewertet hatte, hatte man ihm die Lehrbefugnis für
den Fortbildungsunterricht entzogen.
Trotzdem ist Ihr Vater 1939 begeistert in den Krieg gezogen.
Begeistert war er nicht. Er empfand aber eine gewisse Nostalgie wegen des
verlorenen Ersten Weltkriegs und glaubte, er müsse das Vaterland
verteidigen. Er dachte auch, der Krieg wäre in ein paar Wochen vorbei. Aber
das änderte sich bald.
Woran machen Sie das fest?
An einem Brief, den er im November 1939 unter dem Eindruck einer
Hitler-Rede schrieb: ’Ich entnehme ihr, dass der Führer den Krieg will.
Eine Verhaftungswelle geht über das Land. Aufgrund von Angaben hiesiger
deutscher Einwohner werden hunderte Polen gegriffen und verschleppt. Wie
man sie behandelt, kann man sich denken. Mag darin auch eine gewisse
Berechtigung liegen, aber was in den letzten friedlichen Wochen Gutes getan
ist, wird mit einem Schlag zerstört.‘
Warum sagt er: „Möge es auch seine Berechtigung haben“?
Das ist in der Tat ein merkwürdiger Zwischenton. Ich kann mir diesen
Vergeltungsgedanken nur mit der damals kursierenden Propaganda von den
Gräueltaten der Polen erklären. Einige davon – den Bromberger Blutsonntag �…
gab es. Andere wurden von den Nazis inszeniert.
Ihr Vater hat Hitlers Angriffskrieg als „Naturkatastrophe“ bezeichnet.
Das habe ich noch nie verstanden. Vermutlich war es eine damals weit
verbreitete Haltung, dass man gegen den Krieg nichts tun konnte. Mein Vater
hat die alleinige Verantwortlichkeit der Deutschen nicht so klar gesehen
wie wir heute. In Polen hat sich seine Haltung dann gewandelt. Im November
1939 erlebte er die Verhaftung des Polen Joachim Prut durch die SS mit. Er
hatte sich in Pabianice, wo er das Kriegsgefangenenlager leitete, mit der
Familie angefreundet und setzte sich dann für Pruts Freilassung ein.
Und für die von Władysław Szpilman, der darüber später das Buch „Der
Pianist“ schrieb.
Szpilman war einer der letzten Menschen, den mein Vater 1944 nach dem
Warschauer Aufstand retten konnte. Von weiteren drei Juden und einer
jüdischen Familie wissen wir die Namen. Die meisten Menschen – 20 bis 30
Personen – rettete er während des Warschauer Aufstandes im August und
September 1944. Später hat er gesagt: ’Ich habe, soweit es in meiner Macht
stand, jedem Polen geholfen, mit dem ich in Berührung kam.‘
Außerdem hat er Menschen unter Tarnnamen beschäftigt.
Das war an der Wehrmachts-Berufsförderungsschule, die die Soldaten auf das
zivile Leben nach dem Krieg vorbereiten sollte. Die hat mein Vater in
Warschau aufgebaut und geleitet. Dort hat er Juden und Polen unter falschem
Namen angestellt.
Hatte Ihr Vater Mitwisser?
Er muss Vorgesetzte und Untergebene gehabt haben, die ihn nicht denunziert
haben. Denn irgendwer muss die gefälschten Ausweise geschrieben und die
Leute, die quasi aus dem Nichts kamen, gesehen haben.
Wie lange funktionierte das?
Die Wehrmachtskurse liefen bis Frühjahr 1944. Im August 1944 begann der
Warschauer Aufstand. Hier musste mein Vater den eigentlich zuständigen
Offizier vertreten und Aufständische verhören. 1945 kam mein Vater dann in
sowjetische Kriegsgefangenschaft – zuerst in Polen, dann bei Minsk. Dort
wurde er 1950 als Kriegsverbrecher zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
Trotz der Rettungsaktionen?
Die Russen haben ihm nicht geglaubt. Sie konnten sich nicht vorstellen,
dass mein Vater in Warschau mitten im Krieg eine Sportschule leitete und
Berufsförderungskurse gab. Ausschlaggebend war aber, dass er der Abteilung
angehört hatte, die für Truppenbetreuung und Spionageabwehr zuständig war.
Gab es Versuche, ihn zu retten?
Mehrfach. Schon 1947 reiste meine Mutter gemeinsam mit einem Kommunisten,
den mein Vater gerettet hatte, nach Ostberlin – ohne Erfolg. 1950 bekam
meine Mutter dann Besuch von Leon Warm, einem Juden, der im Sportstadion
gearbeitet hatte. Er bat Władysław Szpilman in einem Brief um Hilfe.
Szpilman sprach daraufhin in Warschau mit dem Chef der polnischen NKWD –
des Volkskommissariats –, erreichte aber nichts.
Wie lange blieb Ihr Vater in Gefangenschaft?
Im August 1952 ist er mit 57 Jahren nach mehreren Schlaganfällen in
Wolgograd gestorben.
Wie klingen die letzten Briefe?
Er war nach der Verurteilung am Boden zerstört. Außerdem muss er gefoltert
worden sein. Er hat so etwas angedeutet.
Wo liegt er begraben?
Mein älterer Bruder, der 1989 nach Wolgograd reiste, konnte noch das Areal
des früheren Gefangenenfriedhofs sehen. Über dem einstigen Friedhof wurden
später Schrebergärten angelegt. Inzwischen ist das Areal bebaut. Der Name
meines Vaters steht aber auf einem Granitwürfel auf dem Friedhof der
deutschen Stalingrad-Toten in Rossoschka.
Sind Sie dort gewesen?
Mein Bruder, der kürzlich verstarb, wollte immer, dass wir Geschwister
dorthin reisen. Ich halte es aber eher mit dem, was ich bei der ersten
Verleihung des Hosenfeld-Szpilman Preises 2005 in Lüneburg gesagt habe:
’Wir Kinder von Wilm Hosenfeld können das Grab unseres Vaters nicht
besuchen, weil es nicht mehr existiert. Sein Andenken lebt jedoch am
sinnvollsten weiter, wenn seine Visionen von Menschlichkeit und Versöhnung
weitergetragen werden.‘
Haben Sie einen anderen Erinnerungsort?
Auf unserem Familiengrab in Hessen ist sein Name aufgeführt. Dorthin gehe
ich immer, wenn ich meine Geschwister besuche.
Hadern Sie noch mit der Verurteilung Ihres Vaters?
Verstehen kann ich es immer noch nicht. Ich kann mir nur immer wieder
sagen: Dieser Prozess ist ganz schematisch abgelaufen. Es hat niemanden
interessiert, ob er Leute gerettet hat. Die Richter haben nur gesehen:
Parteimitgliedschaft, SA-Mitgliedschaft, Abteilung Spionageabwehr. Das hat
genügt.
6 Jan 2013
## AUTOREN
Petra Schellen
Petra Schellen
## TAGS
Kommunisten
Wandervogel
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