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# taz.de -- Schriftsteller Hugo Bettauer: Kuppler und Pornograf
> Hugo Bettauer war das erste berühmte Opfer der Nazis in Österreich. Heute
> erlebt der 1925 ermordete Wiener Freigeist eine überraschende
> Renaissance.
Bild: Erstes Titelblatt von Hugo Bettauers Zeitschrift „Er und Sie“, Wien 1…
WIEN taz | Er kämpfte gegen das Abtreibungsverbot und für Frauenrechte, gab
Erotikmagazine heraus und wurde das erste prominente Opfer der Nazis in
Österreich. Der 1925 ermordete Journalist und Verleger Hugo Bettauer erlebt
derzeit eine unerwartete Renaissance, obwohl niemand behauptet, dass seine
Romane literarische Meisterwerke seien. Zu Jahresbeginn brachte der
Metroverlag mit „Die Stadt ohne Juden“ sein bekanntestes Werk heraus.
Der Milena Verlag hat bereits drei Romane neu aufgelegt, zuletzt „Der Kampf
um Wien“. Für den bekanntesten Bettauer-Experten, den kanadischen
Germanistikprofessor Murray Hall, ist das auch das interessanteste Buch,
das Bettauer hinterlassen hat, denn es zeichnet ein Bild der Wiener
Gesellschaft zu Beginn der 1920er Jahre, dem auch so manche Parallelen zu
heutigen Verhältnissen abzugewinnen sind.
Der US-Millionär Ralph O’Flanagan, der auf der Suche nach den Spuren seiner
verstorbenen Mutter in das krisengeschüttelte Wien des Jahres 1922 kommt,
will mit seinem Geld das Land retten. Bald jedoch erkennt er, dass all die
Bankiers, Unternehmer, Politiker und feinen Damen der Gesellschaft, die ihn
umschmeicheln, nur hinter seinem Geld her sind und keine Absicht haben, die
verarmte Bevölkerung an dem erwarteten Dollarsegen partizipieren zu lassen.
O’Flanagans wirtschaftliche Pläne mit Arbeiterselbstverwaltung gelten als
kommunistisch, seine politischen Ansichten als umstürzlerisch, sein
gesellschaftspolitischer Liberalismus als anrüchig. Bettauer zeichnet da
ein Selbstporträt. Eingebettet ist die Geschichte seines Scheiterns als
Retter des Landes in eine romantische Lovestory, die in scharfem Kontrast
zu den von Bettauer in seinen Zeitschriften vertretenen
frauenrechtlerischen Thesen steht.
## Manischer Vielschreiber
So manche Inkonsistenz im Text lässt sich damit erklären, dass der manische
Vielschreiber seine Romane als Fortsetzungsgeschichten in Tageszeitungen
publizierte und oft tagesaktuelle Ereignisse in die neueste Episode
einbaute. So wie in manchen Telenovelas in Lateinamerika sind die
Groschenromane auch als Kommentare zum Zeitgeschehen zu lesen.
Murray Hall fand in der Korrespondenz von Martha Musil ein Zitat, das
belegt, wie die täglich erscheinenden Episoden mit Spannung verfolgt
wurden: „Egon Stirner ist nicht der Mörder, er hat bloß den Schmuck
genommen.“ Die Ehefrau des Schriftstellers Robert Musil hielt ihre in
Berlin lebende Tochter auf dem Laufenden, wie „Die freudlose Gasse“ endete.
Tatsächlich existierende Personen wie der damalige Bundeskanzler Ignaz
Seipel oder der Schriftsteller Hugo von Hoffmannsthal treten unter ihren
echten Namen auf. Andere Zeitgenossen sind zumindest für den Kenner hinter
den erfundenen Namen zu erkennen. Der bigotte Prälat Seipel betrachtete
Juden und Sozialisten als Feinde der jungen Republik. Mit dem in der
Politik offen zur Schau getragenen Antisemitismus setzt sich Bettauer immer
wieder auseinander. Bettauer selbst war als Sohn ostjüdischer Einwanderer
schon jung zum Protestantismus übergetreten und voll assimiliert.
Seinen Einsatz für die österreichischen Juden artikulierte er aber so
zwiespältig, dass Robert Stricker, der Chef der Jüdischnationalen Partei,
gegen „Die Stadt ohne Juden“ heftig protestierte. Stricker war ein
Fürsprecher der galizischen Juden, gegen die sich der alltägliche
Antisemitismus in besonderem Maße richtete. Murray Hall: „Es gab diese
Angst, dass eine Reaktion gegen die Ostjuden überschwappen und sich gegen
die assimilierten Juden richten könnte. Deswegen hatte Bettauer für die
Ostjuden nicht viel übrig.“
Das wird in „Die Stadt ohne Juden“ besonders deutlich, wenn er die
wirtschaftliche und intellektuelle Rolle der assimilierten Juden als
unentbehrlichen Teil der Gesellschaft preist, gegen eine Abschiebung der
mehrheitlich armen und orthodoxen Ostjuden, die nach dem Zusammenbruch der
Monarchie nach Wien strömten, aber keine Einwände vorbringt.
## Philosemitische Position
Bettauer wurde weniger wegen seiner philosemitischen Position gegenüber den
assimilierten Juden als wegen seiner erotischen Publikationen verfolgt,
geschmäht und schließlich ermordet. Seine umstrittene Publikation Er und
Sie – Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik war eher ein
Aufklärungsmagazin als ein Sexheft.
Es gab einen Vorläufer von Bravos Dr. Sommer als Ratgeber und einen
Frauenarzt, der den Leserinnen bei einschlägigen Problemen Tipps gab.
Illustriert wurde mit Schwarzweißreproduktionen Alter Meister. Aktfotos,
wie sie damals unter Kavalieren zirkulierten, kamen nicht ins Blatt. So
wurde der wegen Pornografie und Kuppelei (Kontaktanzeigen) angeklagte
Bettauer denn auch freigesprochen.
## „Perverses Kloakentier“
Dennoch blieb der Freigeist für Katholiken und Deutschnationale eine
permanente Provokation. Mit der Sozialdemokratie kämpfte er gegen den
Abtreibungsparagrafen, der ständig junge Frauen vor Gericht brachte, und
gegen die soziale und politische Ausgrenzung von Prostituierten, die kein
Wahlrecht hatten. Die deutschnationale Presse hetzte gegen die „räudige
Talmudseele“ und dieses „perverse Kloakentier“ und rief nach Lynchjustiz.
Bettauers Mörder, der 21-jährige Otto Rothstock, rechtfertigte seine in den
Redaktionsräumen mit fünf Schüssen vollstreckte Tat denn auch mit der
Notwendigkeit, seine Altersgenossen vor dem „großen Pornografen“ schützen
zu müssen. Für die NS-Presse war der Mord eine „Tat praktischer
Jugendfürsorge“. Aber auch die Christlichsozialen zeigten Verständnis für
die verdiente „Hinrichtung“ eines jüdischen Pornografen.
Drei Bettauer-Romane, einst als Fortsetzungsgeschichten publiziert, hat der
Milena Verlag bisher in der Reihe „Revisited – Klassiker neu entdeckt“
aufgelegt. Im ehemaligen Frauenverlag bekennt man sich zum Trashigen, wenn
es denn jenseits der literarischen Qualität von Interesse ist. Man solle
seine Bücher lesen, wenn man glaube, dass sich die Geschichte nicht
wiederholt.
Hugo Bettauer: „Der Kampf um Wien“. Milena Verlag, Wien 2012. 296 Seiten,
22,90 Euro; ders.: „Die Stadt ohne Juden“. Metroverlag, Wien 2012. 175
Seiten, 16,90 Euro
30 Jan 2013
## AUTOREN
Ralf Leonhard
Ralf Leonhard
## TAGS
Österreich
Debütroman
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