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# taz.de -- Debatte über Frauen & Ehre: Schminken, Fußball spielen
> Im Club Südblock wurde in Erinnerung an Hatun Sürücü darüber diskutiert,
> was muslimische Mädchen in Berlin alles dürfen sollen bei der Suche nach
> ihrer Identität.
Bild: Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Frauen im Namen der "Ehre".
Montagabend, eine Podiumsdiskussion im Südblock, der Kneipe am Kottbusser
Tor. Berlins Multikulti-Fußballverein Türkiyemspor hat geladen. Das Thema:
„Ich darf nicht – Berliner Mädchen auf der Suche nach der eigenen
Identität“. Dahinter steht also die Frage, wie Berliner Mädchen aus
strenggläubigen Familien ein selbstbestimmtes Leben führen können. Fußball
spielen, sich schminken, studieren, mit deutschen Männern schlafen. Wie
können sie eine eigene Identität aufbauen, ohne mit ihren Familien brechen
zu müssen?
Anlass der Veranstaltung ist die Gedenkwoche an Hatun Sürücü, die 2005 von
ihrem Bruder erschossen wurde. Weil ihm der „Lebenswandel“ seiner Schwester
missfiel.
## Geschminkt, figurbetont
Auf einer Tribüne, gleich neben den genderfreien Toiletten, sitzt das
Mädchenteam von Türkiyemspor. Alles Mädchen um die sechzehn Jahre,
Kreuzbergerinnen mit türkischer Herkunft. Geschminkt, figurbetont
gekleidet. Nur ein Mädchen fällt mit ihrem schwarzen Kopftuch aus dem Bild.
Das Team und ein ansonsten bunt gemischtes Publikum von 60 Leuten schauen
zuerst einen Dokumentarfilm zur Tragödie um Hatun Sürücü. Der Film zeigt
eine Familie, die den Tod der Tochter nicht wirklich bereut. Harter Tobak.
Zehn Minuten Pause zum Verarbeiten, dann beginnt die Diskussion.
„Wir brauchen Vätervereine für jeden Stadtbezirk“, fordert Kazim Erdogan.…
Erdogan betreut sechs inhaftierte Berliner „Ehrenmörder“ psychologisch. Er
hat den Verein „Aufbruch Neukölln“ gegründet und versucht das Konzept der
Vätervereine populär zu machen. In den Gruppen lernen türkischstämmige
Väter mit dem Freiheitsbedürfnis ihrer Töchter umzugehen. Ohne, dass es zu
Zerwürfnissen, oder schlimmstenfalls zu Gewalt kommt. Erdogan rechnet vor,
dass für nur 48.000 Euro im Jahr, jeder Stadtbezirk Berlins eine eigene
Vätergruppe haben könnte. Die Bereitschaft bei den Männern sei vorhanden,
und seine Treffen in Neukölln platzten aus allen Nähten.
## Klare Grenzen aufzeigen
Matthias Deiß, Journalist und Autor des Films über die Familie Sürücü,
schaltet sich ein. Solche präventiven Projekte seien zwar wichtig, aber
ohne richtige Politik wirkungslos. „Die Sürücüs haben genau gewusst, dass
der Mord moralisch falsch ist. Dennoch haben sie sich entschlossen Hatun zu
töten. Solchen Leuten muss der Staat klare Grenzen aufzeigen.“
„Vätergruppen okay, Staat okay, aber in erster Linie müssen sich die Frauen
doch selbst befreien wollen! Die Töchter müssen ihre Mütter fragen: Mama,
warum machst du einen auf Opfer?“ Das ist die Position von Schauspielerin
Idil Baydar. Sie habe als heranwachsende Frau irgendwann gegen die
Bevormundung in ihrem Umfeld rebelliert. Und die Mädchen müssten aufhören
so zu tun, als ob es ihnen gefällt, in Unterdrückung zu leben. Aufhören,
damit zu kokettieren, dass sie anders sind als die deutsche Gesellschaft,
die sie umgibt und oft genug ausgrenzt. „Schwachsinn“, knurrt das Mädchen
im schwarzen Kopftuch.
Danach schießt das Gespräch in alle möglichen Richtungen. Deutschsprachige
Imame, Behördenversagen, Integrationswille. Alles kommt zur Sprache und
alle sind sich auf diffuse Weise einig, dass etwas geschehen müsse. Nur
über die Suche der muslimischen Mädchen nach Identität spricht keiner mehr.
Vielleicht wäre man eher beim Thema geblieben, wenn auch Gesprächspartner
eingeladen worden wären, die eine andere Meinung haben. Die nicht wollen,
dass ihre Töchter Fußball spielen und selbst über ihre Zukunft entscheiden.
5 Feb 2013
## AUTOREN
Dmitrij Kapitelman
## TAGS
Ehrenmord
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