# taz.de -- Moderne Sklaverei in Irland: Eine tiefe Schande für die Kirche | |
> Tausende Mädchen wurden in Irland zu Zwangsarbeit in katholischen Heimen | |
> verdonnert. Nun ist klar: Der Staat hatte seine Hände im Spiel. | |
Bild: Irland ist mitverantwortlich für die Zwangsarbeit in katholischen Klöst… | |
DUBLIN taz | Maureen Sullivan war zwölf, als sie zu den Nonnen des Ordens | |
zum Guten Hirten ins südostirische Wexford geschickt wurde. Ihr Vater war | |
gestorben, die Mutter hatte wieder geheiratet, für das Mädchen war kein | |
Platz mehr. Die Nonnen nahmen ihr die Bücher weg, ersetzten ihren Namen | |
durch eine Nummer und steckten sie in die Wäscherei. Dort musste sie zwölf | |
Stunden täglich ohne Bezahlung schuften. | |
Wenn sie zu langsam arbeitete oder mit einem anderen Mädchen redete, | |
stießen ihr die Nonnen ein Kreuz in die Rippen und beschimpften sie. Zu | |
essen bekam sie Brot und Tee, manchmal etwas Bratfett. Kontakt zur | |
Außenwelt wurde strikt unterbunden. Nach sechs Jahren kam Sullivan frei. | |
Sie lebte jahrelang auf der Straße. Einmal versuchte sie, sich umzubringen. | |
Die 60-Jährige gehört zu den 10.000 Mädchen und Frauen, die zwischen 1922 | |
und 1996 in den Magdalenen-Heimen von vier Nonnenorden wie Sklaven gehalten | |
wurden. Viele verbrachten den Rest ihres Lebens in den Heimen. Benannt sind | |
sie nach Maria Magdalena, jener Frau aus dem Lukas-Evangelium, die als | |
reumütige Sünderin zur glühenden Jesus-Anhängerin wurde. | |
Die irische Öffentlichkeit nahm erstmals 1993 Notiz von diesen Heimen, als | |
ein Nonnenorden in Dublin einen Teil seines Klosters an eine Baufirma | |
verkaufte und die Überreste von 155 Insassen in nicht gekennzeichneten | |
Gräbern auf dem Grundstück entdeckt wurden. Und 2002 wurden die Heime über | |
Irlands Grenzen hinaus bekannt, als der Film „Die unbarmherzigen | |
Schwestern“ von Peter Mullan den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in | |
Venedig gewann. | |
Die Regierung lehnte bisher jede Verantwortung für das Geschehen in den | |
Magdalenenheimen ab: Es seien private Einrichtungen gewesen, der Staat habe | |
damit nichts zu tun. Das stimmt aber nicht. | |
## Der Staat muss Verantwortung übernehmen | |
Am Dienstagabend veröffentlichte ein Untersuchungsausschuss unter Leitung | |
des Senators Michael McAleese einen 1.000 Seiten dicken Bericht. Daraus | |
geht hervor, dass in mehr als einem Viertel aller Fälle staatliche | |
Institutionen die Einweisung der Mädchen in ein Magdalenenheim angeordnet | |
haben. Bei einem weiteren Viertel waren Familienangehörige, Polizisten oder | |
Priester für die Einweisung verantwortlich. | |
Es traf fast ausnahmslos Mädchen aus besonders armen Familien. Als Grund | |
reichten Ungehorsam oder eine „sittliche Gefährdung“ aus, manche Mädchen | |
waren psychisch krank oder litten an Epilepsie, andere waren unverheiratet | |
schwanger geworden. Die Babys wurden ihnen gleich nach der Geburt | |
weggenommen. | |
Hotels und Krankenhäuser ließen ihre Wäsche in den Heimen waschen, aber | |
auch staatliche Einrichtungen wie Gefängnisse oder die Armee nutzten die | |
billige Dienstleistung. Dabei wurden sämtliche Arbeitsschutzgesetze | |
ignoriert, schreibt der McAleese-Ausschuss, der aufgrund einer Initiative | |
des UN-Komitees gegen Folter im Juni 2011 eingerichtet wurde. Darüber | |
hinaus habe der Staat die Heime regelmäßig inspiziert und dadurch ein | |
System der Zwangsarbeit gefördert, heißt es in dem Bericht, in dem auch die | |
Polizei nicht gut wegkommt: Sie habe Mädchen, die aus den Heimen geflohen | |
waren, stets wieder eingefangen und zu den Nonnen zurückgebracht. | |
Die Organisation „Justice for the Magdalenes“ forderte gestern | |
Entschädigung für die ehemaligen Insassinnen – und „dazu gehören | |
Rentenansprüche, entgangener Lohn und freie Gesundheitsversorgung“. Viele | |
der Wäscherinnen leiden unter chronischen Erkrankungen, die durch chemische | |
Dämpfe hervorgerufen wurden. | |
Von Entschädigungen war jedoch keine Rede, als der konservative | |
Premierminister Enda Kenny am Dienstagabend Stellung zu dem Bericht nahm. | |
Er sprach nicht mal eine formale Entschuldigung aus, sondern sagte | |
lediglich, er bedaure, dass den ehemaligen Heiminsassinnen ein Stigma | |
anhafte. Im Übrigen müsse man den Bericht erstmal verdauen. In zwei Wochen | |
soll im Parlament darüber debattiert werden. | |
„In dem Bericht steht eindeutig, dass wir all die Jahre die Wahrheit gesagt | |
haben“, sagte Maureen Sullivan. „Aber die Regierung verschließt die Augen | |
vor dieser Wahrheit. Der Staat hat uns im Stich gelassen.“ Das letzte Wort | |
steht noch aus. | |
6 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Irland | |
Zwangsarbeit | |
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